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Von der neumodischen Musik der jungen Leute kann einem alternden Mann wie mir ganz übel werden, und manchmal denke ich geradezu sehnsüchtig an das Zithergeklimper zu Neros Zeiten zurück, aber ich bin ja, wie ich von Dir und Deiner Mutter ständig zu hören bekomme, völlig unmusikalisch.

Deshalb ist es mir aber doch unbegreiflich, daß Du, wenn Du liest und studierst, einen Sklaven in Deiner Nähe haben mußt, der ein Sistrum schwenkt oder zwei Kupferdeckel zusammenschlägt, während ein heiserer Sänger ägyptische Schlager grölt. Ich würde den Verstand verlieren, wenn ich mir das ununterbrochen anhören müßte. Du aber behauptest allen Ernstes, Du könntest Dich ohne das nicht in Deine Lektüre vertiefen, und Deine Mutter, die immer und in allen Dingen zu Dir hält, erklärt, ich verstünde eben nichts davon. Wenn einem Fünfzehnjährigen schon der Bart wüchse, würdest Du gewiß auch einen tragen.

Nero, um auf ihn zurückzukommen, unternahm also nichts. Die Lügen und die öffentlichen Beleidigungen, die er hatte einstecken müssen, hatten ihn tief gekränkt. Galbas Truppen zogen siegreich, und dank Nero ohne eine einzige Schlacht schlagen zu müssen, gegen Rom. Und dann kam der Tag vor dem Minervafest, da Tigellinus es, um seine eigene Haut zu retten, für gut befand, die Prätorianer dem Senat zur Verfügung zu stellen. Der Senat wurde im Morgengrauen in aller Heimlichkeit zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen. Es erging aber nicht an alle, die in Rom wohnten, die Aufforderung zu erscheinen, sondern nur an die zuverlässigen, und selbstverständlich nicht an Nero, der allerdings das Recht gehabt hätte, an der Versammlung teilzunehmen, denn er war Senator wie die anderen und sogar in höherem Grade als sie. Tigellinus sorgte dafür, daß die Prätorianerposten und die germanische Leibwache am Abend ohne Ablösung vom Goldenen Haus abgezogen wurden.

Die beiden von Nero abgesetzten Konsuln führten widerrechtlich das Wort, und der Senat beschloß einstimmig, Galba zum Kaiser zu machen, einen kahlköpfigen, liederlichen Greis, der sich die athletischsten Liebhaber hielt, die er nur finden konnte. Ebenso einstimmig erklärte der Senat Nero zum Staatsfeind und verurteilte ihn zum Tode, und zwar sollte er nach altem Brauch zu Tode gegeißelt werden. Alle nahmen an, Nero werde Selbstmord begehen, um einer so unmenschlichen Bestrafung zu entgehen. Bei alldem tat sich Tigellinus am eifrigsten hervor.

Nero erwachte mitten in der Nacht im Schlafgemach seines verlassenen Goldenen Hauses. An seiner Seite lag seine treue »Gattin« Sporus. Sonst waren im ganzen Hause nur noch einige wenige Sklaven und Freigelassene zu finden. Er schickte Boten zu seinen Freunden, aber keiner von den vielen sandte ihm auch nur eine Antwort. Um den Undank der Welt in vollem Maße zu erfahren, begab sich Nero zu Fuß und nur von einigen Getreuen begleitet in die Stadt und klopfte an die Türen einiger Häuser, die er einst Freunden geschenkt hatte. Die Türen blieben geschlossen, und von drinnen war kein Laut zu hören. Die Leute, die in diesen Häusern wohnten, hatten vorsichtshalber sogar den Hunden die Schnauzen zugebunden.

Als Nero ins Goldene Haus und in sein Schlafgemach zurückkehrte, sah er, daß man bereits die seidenen Bettücher und andere Kostbarkeiten gestohlen hatte. Er stieg zu Pferde und ritt davon, mit verhülltem Haupt und bloßen Füßen, nur mit dem Untergewand und einem Sklavenmantel bekleidet, und zwar ritt er zu einem Landgut, das einem seiner Freigelassenen gehörte, der Pfau hieß. Der Pfau hatte seinem eigenen Bericht zufolge Nero sein Haus als Versteck zur Verfügung gestellt. Es liegt an der Via Salaria, beim vierten Meilenstein. Du wirst Dich erinnern, daß Seneca den letzten Tag seines Lebens in seinem Haus beim vierten Meilenstein verbrachte und daß Kephas beim vierten Meilenstein der Via Appia umkehrte und nach Rom zurückging.

Nero wurde von vier Männern begleitet: Sporus, dem Pfau und – wundere Dich nicht – Epaphroditus. Den vierten ließ der Senat hinrichten, weil er auf dem Forum das Maul gar zu weit aufriß. Acte erwartete Nero in der Villa des Pfaus. Das Schauspiel war meiner Meinung nach sorgfältig vorbereitet und wurde gut ausgeführt. Nero war einer der hervorragendsten Schauspieler seiner Zeit und legte auch großen Wert auf eine gute Ausstattung, weshalb er auf der Bühne immer eine Bemerkung machte, wenn etwa eine Säule ungeschickt aufgestellt oder die Beleuchtung falsch war und irgendeine Nebenfigur hervorhob, während er selbst sang.

Während er noch auf dem Weg zur Villa des Pfaus war, bebte plötzlich die Erde, und ein Blitz schlug vor ihm in die Straße. Zugleich scheute sein Pferd vor dem Gestank einer Leiche zurück und bäumte sich. Nero hatte, wie ich schon sagte, sein Haupt verhüllt. Als aber das Pferd sich bäumte, fiel das Tuch herunter und gab sein Gesicht frei. Ein alter verabschiedeter Prätorianer erkannte ihn und grüßte ihn als Kaiser. Das trieb Nero zu noch größerer Eile an, denn er fürchtete, sein Plan könnte vorzeitig entdeckt werden. All dies haben der Pfau und Epaphroditus so berichtet. Sporus verschwand später so spurlos, daß es Otho nicht gelang, ihn zu finden, obwohl er gern seine Begabung im Bett erprobt hätte. Er warb ja sogar um Statilia, weil er sich auf Neros Erfahrung und Geschmack in diesen Dingen verließ.

Ich will nicht alles wiederholen, was diese beiden Männer über Neros Seelenqualen, Schrecken und Leiden berichteten: wie er mit der Hand Wasser aus einer Pfütze schöpfte, um zu trinken, und die Dornen aus seinem Sklavenmantel zog, nachdem er durch das Gestrüpp zur Villa gekrochen war. Sie erzählten, zur Freude des Senats und der Geschichtsschreiber, ohne zu zögern alles. Nero hatte alles so umsichtig vorbereitet, daß er sogar eine fertig geschriebene Rede hinterließ, in der er um Vergebung für die Verbrechen bat, die er aus politischen Gründen begangen hatte, und den Senat anflehte, sein Leben zu schonen und ihn zum Prokurator irgendeiner kleinen Provinz im Osten zu ernennen, da er doch dem Senat und dem Volk von Rom immerhin einige gute Dienste geleistet hätte. Auf diese Weise ließ Nero den Eindruck entstehen, als hätte er in drohender Lebensgefahr und von blindem Entsetzen ergriffen gehandelt. Darum konnten die beiden Augenzeugen aber doch keinen vernünftigen Zuhörer überzeugen. Nur die ließen sich überzeugen, die alles getan hatten, um Nero zum Selbstmord zu treiben, und daher gern glaubten, ihre Hoffnungen hätten sich erfüllt.

Nero dachte auch daran, der Nachwelt einen großartigen Ausspruch zu hinterlassen. »Welch einen Künstler verliert die Welt an mir!« rief er aus. Diese Worte unterschreibe ich gern, denn heute weiß ich, was für einen Lebenskünstler und Sänger, ja, was für einen wahren Menschenfreund Rom an Nero verlor, so schwer er auch manchmal seiner Launen und seiner Künstlereitelkeit wegen zu behandeln war. Man darf eben einem Siebzehnjährigen nicht unbegrenzte Macht in die Hände geben. Denk daran, mein Sohn, wenn Du Dich wieder einmal über das Zaudern Deines Vaters ärgerst.

Als das Grab fertig war und man die Marmorsteine darum herum aufgestapelt hatte, und als genug Holz beisammen war und man in Eimern Wasser herbeischleppte, um es über den zu Kalk gebrannten Marmor zu gießen, kam ein Eilbote aus Rom mit einem Brief an den Pfau. Darin bekam Nero zu lesen, daß Galba zum Kaiser ausgerufen worden war und daß er selbst zu Tode gegeißelt werden sollte. Dennoch sollte das Schauspiel fortgesetzt werden und Sporus Gelegenheit erhalten, an der Leiche Witwentränen zu vergießen. Da aber geschah etwas, was die Komödianten und Ränkeschmiede zur Eile antrieb.

Der treue Veteran, der Nero auf der Straße wiedererkannt hatte, beeilte sich nicht, seine Flucht zu melden, wie es jeder vernünftige Mensch getan haben würde, sondern rannte auf seinen altersschwachen Beinen geradewegs ins Lager der Prätorianer. Dort kannte man seine Narben und seinen guten Namen, und als Mitglied der Mithras-Bruderschaft genoß er sogar das Vertrauen der Zenturionen. Die Gelegenheit war denkbar günstig, denn Tigellinus hielt sich noch im Senat auf, wo geschwätzige Männer noch immer dabei waren, ihrem Zorn und ihrem vaterländischen Eifer Ausdruck zu verleihen, da sie endlich einmal reden durften, ohne unterbrochen zu werden.