Der Alte hielt eine Ansprache an seine Kameraden und bat sie, sich ihres Soldateneides und ihrer Dankesschuld gegenüber Nero sowie der Striemen von den Stockhieben des Tigellinus auf ihren Buckeln zu erinnern. Die beiden Prätorianerlegionen beschlossen so gut wie einhellig, zu Nero zu stehen. Seiner Freigebigkeit durften sie gewiß sein, während Galba dagegen als Geizhals verschrien war.
Sie beschlossen, es auf einen Kampf ankommen zu lassen, an dessen gutem Ausgang sie nicht zweifelten, denn sie waren überzeugt, daß viele Legionäre von Galba abfallen würden, wenn sie sahen, daß es Ernst wurde und daß ihnen die besten Truppen Roms gegenüberstanden. Sie sandten unverzüglich eine Reiterabteilung unter Führung eines Zenturio aus, die Nero suchen und sicher ins Prätorianerlager begleiten sollte. Die Männer verloren aber viel Zeit, weil sie Neros Versteck nicht gleich fanden und erst nach längerem vergeblichen Suchen an die abseits gelegene Villa des Pfaus dachten.
Doch Nero hatte genug von der Macht. Er schickte den Pfau hinaus, um die Reiter aufzuhalten, sobald er erfahren hatte, weshalb sie gekommen waren. Dann stieß ihm Epaphroditus, der in gewissen Spielen, an denen Nero Gefallen fand, wohlgeübt war, einen Dolch in die Kehle. Nero wählte für seinen Selbstmord einen Stich in die Kehle, um den Senat davon zu überzeugen, daß er sogar seine Stimmbänder opferte. Auf diese Weise konnte an seinem Tode kein Zweifel aufkommen. Wenn später irgendwo im Osten ein neuer großer Sänger von sich reden machte, würde niemand an Nero denken, da man wußte, daß er mit durchschnittener Kehle gestorben war.
Während nun das Blut aus der geschickt vorgetäuschten Halswunde quoll, empfing Nero unter Aufbietung seiner letzten Kräfte den Zenturio, dankte ihm mit gebrochener Stimme für seine Treue, verdrehte die Augen und gab den Geist so glaubwürdig röchelnd und zuckend auf, daß der alte erfahrene Soldat mit Tränen in den Augen seinen Zenturionenmantel über ihn deckte, damit er mit verhülltem Antlitz starb, wie es sich für einen Herrscher geziemt. Auch Julius Caesar verhüllte ja sein Haupt, um die Götter zu ehren, als ihn die Dolche der gedungenen Mörder durchbohrt hatten. Der Pfau und Epaphroditus erklärten nun dem Zenturio, daß es für ihn selbst und für alle treuen Prätorianer das klügste war, wenn er rasch ins Lager zurückkehrte und den Tod Neros meldete, damit niemand dumme Streiche machte. Darauf sollte er in die Kurie eilen und berichten, er habe in der Hoffnung auf Belohnung Nero aufgespürt, um ihn lebend zu fangen und dem Senat auszuliefern. Leider sei es aber Nero gelungen, seinem Leben noch rechtzeitig selbst ein Ende zu machen.
Der Mantel, den er über die Leiche geworfen hatte, so daß er nun voll Blut war, sei Beweis genug, sagten sie, aber selbstverständlich dürfe er Nero auch den Kopf abschneiden und in die Kurie mitnehmen, sofern er dies mit seiner Soldatenehre vereinbaren könne. Man werde ihn so oder so belohnen für die gute Nachricht, die er brachte. Nero selbst habe gewünscht, daß sein Leichnam unverstümmelt in aller Stille verbrannt werde.
Der Zenturio ließ seinen Mantel liegen, da zu erwarten war, daß der Senat augenblicklich einen Untersuchungsausschuß in die Villa des Pfaus sandte, um alle Einzelheiten über Neros Tod in Erfahrung zu bringen. Sobald die Reiter aufgebrochen waren, machten sich die treuen Verschworenen rasch ans Werk. Eine Leiche von Neros Größe und Wuchs war in diesen unruhigen Zeiten, da nach den Schlägereien vor Galbas Ankunft so mancher in den Gräben längs der Straßen liegenblieb, nicht schwer zu finden gewesen. Also rasch auf den Scheiterhaufen mit der Leiche, Feuer ans Holz gelegt und das Ganze mit Öl übergossen! Wohin, wie und in welcher Verkleidung Nero floh, weiß ich nicht zu sagen. Ich bin jedoch ziemlich gewiß, daß er in den Osten ging, vermutlich um bei den Parthern Schutz zu suchen. Die Arsakiden haben in über dreihundert Jahren so viele Geheimnisse gesammelt, daß sie es besser als wir Römer verstehen, sie zu hüten. Wir schwatzten sogar im Senat zuviel. Die Parther dagegen beherrschen die Kunst des Schweigens.
Ich gebe zu, daß sich meine Schlußfolgerungen eigentlich nur darauf stützen, daß plötzlich das Zitherspiel bei den Parthern Mode wurde. Ich weiß jedoch, daß der wirkliche Nero nicht mehr nach der Macht in Rom strebt. Alle, die dies versuchen oder tun, sind, auch wenn sie eine Dolchnarbe am Halse tragen, falsche Neros, und wir kreuzigen sie, sobald wir ihrer habhaft werden.
Als die vom Senat ausgesandten Männer eintrafen, war man schon dabei, Wasser auf die glühenden Marmorblöcke zu gießen, die zu Kalk zerfielen und die Leichenreste mit einer Kruste überzogen, die alle Einzelheiten verbarg. Nero hatte kein Gebrechen, an dem man seine Leiche hätte erkennen können. Den Zahn, den er sich in Griechenland hatte ziehen lassen, hatte man vorsichtshalber auch dem Leichnam des Unbekannten gezogen.
Die traurigen Reste wurden in einen weißen, goldbestickten Mantel gesammelt, den Nero im selben Winter beim Saturnalienfest getragen hatte. Mit Galbas Genehmigung gab man für die Bestattungsfeier einige hunderttausend Sesterze aus. So liegt nun im Mausoleum der Domitier in einem Porphyrsarkophag in einer Kalkkruste eine halbverbrannte Leiche. Wer will, kann hingehen und sich davon überzeugen, daß Nero wirklich tot ist. Statilia und Acte haben nichts dagegen, daß man sein Andenken ehrt.
Ich habe Dir von Neros Tod berichtet, damit Du bereit bist, falls irgend etwas Unerwartetes geschehen sollte. Nero war ja erst zweiunddreißig Jahre alt, als er seinen symbolischen Tod wählte, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, seine Verbrechen zu sühnen und ein neues Leben zu beginnen. Wo, das läßt er uns raten. Während ich dies schreibe, ist er gerade erst dreiundvierzig.
Mein Mißtrauen erwachte, als mir bewußt wurde, daß sich all dies am Vorabend des Tages zutrug, an dem einst Agrippina ermordet worden war, und daß Nero mit verhülltem Haupt und bloßen Füßen, den Göttern geweiht, aus der Stadt geflohen war. Auch das geheimnisvolle Verschwinden des Sporus ist eine Art Beweis. Nero konnte ohne ihn nicht mehr leben, denn er war dem Äußeren nach ein treues Abbild Poppaeas. Viele Senatoren, die ihren Kopf zu gebrauchen verstehen, sind hinsichtlich Neros Tod der gleichen Ansicht wie ich, aber wir sprechen selbstverständlich nie darüber.
Galba ließ den Leichnam Neros nur des Volkes wegen ordentlich bestatten, das seinen Tod aufrichtig und mit gutem Grund betrauerte. Er wollte die Welt davon überzeugen, daß Nero wirklich tot war. Daher kümmerte er sich nicht darum, daß der Senat ihn zum Staatsfeind erklärt hatte. Aus Mißtrauen dem Senat gegenüber beabsichtigte Galba, die Amtszeit der Senatoren auf zwei Jahre zu begrenzen. Das war ein wahnwitziger Einfall, denn unser Amt hat man von alters her auf Lebenszeit. Deshalb dulden wir auch die Altersschwachen unter uns, die uns manchmal die Zeit stehlen, indem sie ohne Ende von den vergangenen goldenen Zeiten reden. Das ist eine Krankheit, die uns alle einmal trifft. Wir achten daher das Alter und die Dienstjahre – im Gegensatz zu den jungen Leuten, die erst zur Einsicht kommen, wenn sie selbst die Senatorenstiefel anziehen.
Es war also nicht weiter verwunderlich, daß man Galbas Kopf bald um das Forum trug. Der Soldat, der dies tat, mußte die Daumen in seinen Mund stecken, um den Kopf richtig fassen zu können, so kahl war er. Als der Mann seine Belohnung von Otho erhalten hatte, reichte er den Kopf anderen Prätorianern, die ihn weiter um das Lager trugen, lachten und riefen: »Cupido, Galba, nütze deine Jugend!«
Er hatte den Prätorianern nicht einmal bei seiner Thronbesteigung ein passendes Geschenk gemacht, aber sie waren nicht deshalb verbittert. Galba hatte sich in einen Hünen von der germanischen Leibwache verliebt. Er hatte den Mann eine ganze Nacht bei sich behalten und auf alle erdenkliche Weise angestrengt, dann aber am Morgen entlassen, ohne ihm auch nur ein paar Sesterze für einen Schluck Wein zu geben. Statt dessen hatte er ihm gesagt, er müsse dafür dankbar sein, daß er die Freundschaft eines so jugendlichen alten Mannes hatte genießen dürfen. Das war mit ein Grund dafür, daß er gestürzt wurde. Zu des Tigellinus Zeiten hatten die Prätorianer von solchen Männern immer genug und übergenug bekommen.