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Ich kehre zu Vespasian zurück. Es war eine Freude zu sehen, wie er sich verwunderte, als ihn die Legionen im Morgengrauen zum Kaiser ausriefen, wie er Einwände machte, die Hände rang und mehrere Male von dem Schild sprang, auf dem man ihn um die Mauern Jerusalems trug. Ein Schild ist allerdings eine unbequeme Sitzgelegenheit, besonders wenn die Soldaten einen, wie sie es mit Vespasian machten, vor Freude in die Luft prellen. Sie waren nämlich dank der Sesterze, die ich hatte austeilen lassen, recht betrunken. Einen Teil des Geldes bekam ich übrigens durch meinen neuen syrischen Freigelassenen wieder zurück. Es war mir gelungen, ihm das ausschließliche Recht zu verschaffen, im Lager Wein zu verkaufen, und er verdiente sehr gut daran, daß er das Schankrecht an die jüdischen Händler des Lagers weiterverkaufte.

Nachdem er den Legionen in Pannonien und Mösien den Sold geschickt und den Kohorten in Gallien wegen der Plünderungen und Gewalttaten an friedlichen Bewohnern einen sanften Verweis erteilt hatte, reiste Vespasian unverzüglich nach Ägypten. Zu diesem Zweck brauchte er die Truppen, die er Titus übergeben hatte, nicht von der Belagerung abzuziehen. Eine kleine Ehrenwache genügte ihm, denn er verließ sich auf die Treue der ägyptischen Garnisonstruppen. Der Treue Ägyptens mußte er sich hingegen persönlich versichern. Nicht, weil Ägypten die Kornkammer Roms ist, sondern weil es uns all das Papier liefert, das man für die ordentliche Verwaltung der Welt braucht, von den Steuereinnahmen ganz zu schweigen.

Die Kunst der Besteuerung hat Vespasian dann zu bisher ungeahnter Höhe entwickelt, so daß wir Wohlhabenden manchmal aus Nase und Ohren zu bluten vermeinen, wenn er uns zwackt … und aus dem Mastdarm könnte ich hinzufügen, denn deshalb bin ich hier in diesem Badeort. Die Ärzte waren wegen meines Zustandes und der Blutungen, die mich schwächten, so besorgt, daß sie mich, anstatt mir Arzneien zu geben, ermahnten, schleunigst mein Testament zu machen.

Ich wandte mich, da die Ärzte mich aufgegeben hatten, an Jesus von Nazareth. Auf der Schwelle des Todes wird ein von seinen Leiden geschwächter Mensch klein und demütig. Ein Gelübde legte ich jedoch nicht ab. Neben meinen zahllosen Verbrechen und meiner Härte wiegen meine wenigen guten Taten gewiß nicht viel, weshalb mir ein Gelübde zwecklos erschien.

Meine Ärzte trauten, ihren Augen nicht, als die Blutungen plötzlich von selbst aufhörten. Sie kamen zu dem Schluß, daß mein Leiden gar nicht lebensgefährlich gewesen war, sondern nur eine Folge meines Ärgers darüber, daß Vespasian gewisse steuertechnische Maßnahmen ablehnte, die der Erhaltung meiner Einkünfte und meines Vermögens dienlich gewesen wären.

Ich gebe zu, daß er uns nicht auspreßt, um sich selbst zu bereichern, sondern nur zum Nutzen des Staates, aber es hat alles seine Grenzen. Selbst Titus verabscheut die Kupfermünzen, die man nun in Rom für die Benutzung der öffentlichen Abtritte entrichten muß, obwohl jeden Tag ganze Körbe voll zusammenkommen. Die neuen Abtritte haben zwar fließendes Wasser und Marmorsitze und sind mit Statuen geschmückt, aber die uralte Bürgerfreiheit ist dahin. Man kann es den Armen nicht verdenken, daß sie aus reinem Trotz ihr Wasser an den Tempelmauern und vor den Türen der Reichen abschlagen.

Als wir vor Alexandria ankamen, zog Vespasian es vor, sich nicht in den Hafen rudern zu lassen, denn in den Becken trieben die stinkenden Leichen von Griechen und Juden. Er wollte den Bewohnern der Stadt Zeit geben, mit ihren Streitigkeiten fertig zu werden und sich in ihren verschiedenen Stadtteilen zu verschanzen, weil er kein unnützes Blutvergießen duldete. Alexandria ist eine viel zu große Stadt, als daß Zwistigkeiten zwischen Griechen und Juden auf eine ebenso einfache Weise hätten bereinigt werden können wie beispielsweise in Caesarea. Wir gingen außerhalb der Stadt an Land, und ich setzte zum erstenmal in meinem Leben den Fuß auf Ägyptens heilige Erde. Ich muß freilich hinzufügen, daß ich mir dabei nur meine feinen weichen Senatorenstiefel schmutzig machte.

Am nächsten Morgen erschien eine Abordnung aus der Stadt mit allem ägyptischen Prunk, Juden und Griechen in bestem Einvernehmen, und alle beklagten mit vielen Worten den Aufruhr, den einige unbedachte Heißsporne angezettelt hatten. Nun seien aber Ruhe und Ordnung wiederhergestellt, versicherten sie. In der Schar befanden sich Philosophen und Gelehrte sowie der Oberbibliothekar der Stadt mit seinen nächsten Untergebenen. Darauf legte Vespasian, der selbst ungebildet war, großen Wert.

Als er hörte, daß sich Apollonius von Tyana in der Stadt aufhielt, um die ägyptische Weisheit zu studieren und die Ägypter in der Nabelbeschau der indischen Gymnosophisten zu unterweisen, beklagte er, daß es der größte Philosoph unserer Zeit nicht der Mühe wert gefunden hatte, die anderen zu begleiten und seinen Kaiser willkommen zu heißen.

Das Verhalten des Apollonius war jedoch reine Berechnung. Er war, wie bekannt, sehr eitel und ebenso stolz auf seine Weisheit wie auf seinen bis zum Gürtel reichenden weißen Bart. Er bemühte sich nachher nach besten Kräften um die Gunst des Kaisers, hielt es jedoch für klug, Vespasian zunächst einmal zu beunruhigen und ihn vermuten zu lassen, er mißbillige vielleicht seinen Staatsstreich. In Rom hatte Apollonius sich Neros Gunst versichern wollen, aber Nero hatte ihn nicht einmal empfangen, weil er der Philosophie die Künste vorzog. Immerhin war es ihm aber gelungen, Tigellinus mit seinen übernatürlichen Kräften einzuschüchtern, so daß er die Erlaubnis erhielt, in Rom zu bleiben, obwohl Nero alle kritischen Philosophen aus der Stadt verwies.

Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, erschien Apollonius von Tyana unerwartet vor dem Tor des kaiserlichen Palastes in Alexandria und begehrte Einlaß. Die Wachen hielten ihn zurück und erklärten ihm, daß Vespasian längst aufgestanden war, um wichtige Briefe zu diktieren. Da sagte Apollonius fromm: »Dieser Mann wird ein wahrer Herrscher sein.« Er hoffte, daß man seine Prophezeiung Vespasian hinterbrachte, was selbstverständlich auch geschah.

Als es heller Tag war, zeigte er sich erneut vor dem Tor. Diesmal wurde er unverzüglich unter allen Ehrenbezeigungen, die man für den gelehrtesten Mann der Welt fand, vor Vespasian geführt. Viele betrachten ja Apollonius noch immer als den Göttern ebenbürtig.

Ich hatte den Eindruck, daß Apollonius sich über das graue Legionärsbrot und den sauren Wein wunderte, die Vespasian ihm anbot, da er sonst bessere Bewirtung gewohnt war und die Kochkunst nicht verachtete, obwohl er bisweilen fastete, um seinen Körper zu reinigen. Er spielte jedoch die Rolle weiter, die er einmal gewählt hatte, und pries Vespasian um seiner einfachen Gewohnheit willen, die, wie er versicherte, für sich allein schon bewiesen, daß er zu Recht und zum Vorteil des Staates über Nero gesiegt habe.

Vespasian antwortete kurz: »Ich hätte mich nie gegen den rechtmäßigen Herrscher erhoben.«

Apollonius, der geglaubt hatte, er könne Eindruck machen, indem er mit seinem Anteil an dem Aufstand des Vindex in Gallien prahlte, schwieg enttäuscht und bat dann, einige seiner berühmten Begleiter hereinrufen zu dürfen, die noch vor dem Tor warteten. Auch Vespasians Gefolge nahm ja an dem Morgenmahl teil. Vespasian war ein wenig ungeduldig, denn wir hatten die halbe Nacht gewacht und die dringendsten Erlässe und Verordnungen diktiert. Er beherrschte sich jedoch und sagte: »Weisen Männern steht meine Tür allzeit offen. Dir aber, unvergleichlicher Apollonius, öffne ich sogar mein Herz.«

Danach hielt Apollonius in Gegenwart seiner beiden Schüler einen eindrucksvollen Vortrag über die Demokratie und wies nach, wie notwendig es sei, eine wahre Herrschaft des Volkes anstelle der Alleinherrschaft wiedereinzuführen, die sich als so verderblich erwiesen hatte. Ich wurde unruhig, aber Vespasian kümmerte sich nicht um meine Ellbogenstöße und mein Zwinkern. Er hörte Apollonius geduldig bis zum Ende an und sagte dann: »Ich fürchte sehr, daß die Alleinherrschaft, die der Senat nach bestem Vermögen einzuschränken suchte, das Volk von Rom verdorben hat. Es ist daher vorerst kaum möglich; die Neuerungen einzuführen, die du vorschlägst. Das Volk muß erst reif werden, die Verantwortung zu tragen, die die Freiheit mit sich bringt. Sonst gibt es nur Uneinigkeit und Streit, und wir haben ständig den Bürgerkrieg vor der Tür.«