Apollonius antwortete so rasch, daß ich seine Geschmeidigkeit nur bewundern konnte: »Was kümmert mich letzten Endes der Aufbau des Staates! Ich lebe nur den Göttern. Aber ich möchte nicht, daß die große Mehrheit aller Menschen ins Verderben stürzt, weil es ihr an einem guten Hirten mangelt. Wenn ich es recht bedenke, ist die beste Form der Demokratie eine aufgeklärte Tyrannei, sorgsam überwacht von einem Senat, der sich von Tugend und Rechtschaffenheit leiten läßt und nur das Gemeinwohl im Auge hat.«
Danach begann er weitschweifig zu erklären, daß er sich die alte Weisheit Ägyptens zu eigen machen, die Pyramiden untersuchen und womöglich aus den Quellen des Nils trinken wolle. Leider fehle es ihm aber an dem nötigen Geld, um ein Flußboot samt Ruderern zu mieten. Vespasian ergriff rasch die Gelegenheit, zeigte auf mich und sagte: »Ich besitze nicht mehr, als was dem dringendsten Bedarf des Staates dient, das weißt du in deiner Weisheit gewiß selbst, lieber Apollonius. Aber mein Freund Minutus Manilianus ist als Senator ein ebenso eifriger Freund der Demokratie wie du. Er ist vermögend und schenkt dir sicherlich ein Schiff samt Ruderern, wenn du ihn darum bittest. Auch gibt er dir, was du sonst für deine Reise zu den Quellen des Nils benötigst. Vor Gefahren brauchst du dich nicht zu fürchten. Es befindet sich nämlich eine Expedition von Gelehrten, die Nero vor einigen Jahren ausschickte, auf dem Wege dorthin, und sie wird von Prätorianern begleitet. Schließe dich nur ihr an.«
Erfreut über dieses Versprechen, das Vespasian nicht eine schäbige Kupfermünze kostete, versank Apollonius in Verzückung und rief: »O kapitolinischer Jupiter, du Heiliger aller Staatswirren, erhalte diesen Mann zu deinem eigenen Besten. Er wird deinen Tempel, den gottlose Hände soeben im Flammenschein zerstörten, wiederaufbauen!«
Wir entsetzten uns über dieses Gesicht und diese Prophezeiung. Doch ich hielt seine Worte, offen gesagt, für Verstellung. Erst einige Wochen später erfuhren wir, wie Vitellius abgesetzt worden war und wie Flavius Sabinus und Domitian zuvor gezwungen worden waren, sich im Kapitol zu verschanzen.
Domitian floh feige während der Belagerung, nachdem er sich das Haar geschoren und sich als Isispriester verkleidet hatte. Er schloß sich einer Schar fremder Opferpriester an, als die Soldaten des Vitellius, nachdem sie den Tempel angezündet und seine Mauern mit Belagerungsmaschinen niedergebrochen hatten, die eingeschlossenen Priester hinausschleppten, um sie niederzumetzeln. Mein ehemaliger Schwiegervater Flavius Sabinus starb, so alt er war, tapfer mit dem Schwert in der Hand.
Domitian floh auf die andere Seite des Tibers hinüber und versteckte sich bei der jüdischen Mutter eines seiner früheren Schulkameraden. In die Palatiumschule gehen auch immer Angehörige der jüdischen Fürstengeschlechter. Einer von ihnen war sogar der Sohn des Königs von Chalkis, dessen Schicksal seinerzeit meinen Sohn Jucundus dazu trieb, sich der kindischen Verschwörung anzuschließen, die Rom zerstören und die Hauptstadt des Reiches in den Osten verlegen wollte. Ja, ich will nun auch davon sprechen, obwohl ich es eigentlich für mich zu behalten gedachte.
Tigellinus machte den Prinzen von Chalkis betrunken und mißbrauchte ihn für seine Gelüste. Darauf beging der Knabe in Gegenwart seiner Mitschüler Selbstmord, da seine religiösen Vorurteile ihm den Verkehr mit Männern verboten. Er hätte hernach nie nach seinem Vater erben und König von Chalkis werden können. Aus Rache dafür zündeten die Knaben die Gärten des Tigellinus an, so daß der große Brand von neuem ausbrach, als er schon im Verlöschen zu sein schien. Jucundus war mit dabei. Er starb also nicht ganz ohne Schuld. Ich muß allerdings hinzufügen, daß den neu auflodernden Flammen das Viertel Suburra zum Opfer fiel, das seit eh und je ein Schandfleck für Rom gewesen war.
Domitian sagte sich in seiner feigen Listigkeit, daß ihn niemand ausgerechnet im jüdischen Stadtteil suchen würde, denn die Juden haßten Vespasian und sein ganzes Geschlecht wegen der Belagerung Jerusalems und der ungeheuren Verluste, die die Aufständischen erlitten hatten, als sie in ihrem Übermut zuerst in offener Feldschlacht zu kämpfen wagten und von Vespasian in die Zange genommen und aufgerieben wurden.
Apollonius von Tyana versuchte übrigens noch vor seiner Abreise, sich zugunsten der Griechen in die inneren Machtkämpfe Alexandrias einzumischen. Als er sich von Vespasian verabschiedete, bevor er sich auf das Boot begab, das ich ihm gekauft hatte, sagte er: »Ich habe aufgehorcht, als ich hörte, daß du in einer Schlacht dreißigtausend und in einer anderen fünfzigtausend Juden vernichtet hast. Schon damals dachte ich: Wer ist dieser Mann? Er könnte zu Besserem taugen! Die Juden haben seit langem nicht nur Rom, sondern die ganze Menschheit verraten. Ein Volk, das sich von allen anderen absondert, das nicht mit anderen essen und trinken will und sich sogar weigert, die herkömmlichen Gebete und Weihrauchopfer zu verrichten, ein solches Volk steht uns ferner als Susa und Baktra. Es wäre besser, wenn nicht ein Jude am Leben bliebe.«
So unduldsam sprach der größte Weise aller Zeiten, weshalb ich ihn gerne auf die Reise schickte und im Innern wünschte, sein Boot möchte sinken oder die Wilden in Nubien möchten ihn auf ihre Bratspieße stecken. Am meisten beunruhigte mich allerdings sein Geschwätz über die Demokratie. Vespasian neigte allzusehr zu gerechtem Denken und hatte mehr das Beste des Volkes im Auge denn seinen eigenen Vorteil als Kaiser.
Apollonius von Tyana besaß ohne Zweifel übernatürliche Kräfte. Wir rechneten uns später aus, daß er wirklich in demselben Augenblick, als es geschah, das Kapitol hatte brennen sehen. Einige Tage danach kroch Domitian aus dem Keller der Jüdin hervor und rief sich frech selbst zum Kaiser aus. Daran war freilich zum Teil der Senat schuld, der von einem Achtzehnjährigen auf dem Kaiserthron größeren Nutzen zu haben glaubte als von Vespasian, der gewohnt war zu befehlen, wenn es not tat. An Vitellius rächte sich Domitian für den Schrecken und die Demütigung, die er hatte ausstehen müssen, indem er dem Volk die Erlaubnis gab, ihn mit dem Kopf nach unten an einer Säule des Forums aufzuhängen und langsam mit kleinen Dolchstichen zu töten. Danach wurde die Leiche an einem eisernen Haken zum Tiber geschleift. Auch aus solchen Gründen darfst Du Dich nie der Willkür des Volkes ausliefern. Liebe Dein Volk, soviel Du willst, mein Sohn, aber halte es in Zucht.
All dies wußten wir jedoch damals in Alexandria noch nicht. Vespasian war hinsichtlich der zu wählenden Regierungsform noch immer im Zweifel, obwohl er zum Kaiser ausgerufen worden war. Die Republik war ihm, wie allen älteren Senatoren, lieb. Wir sprechen oft und gern von ihr, machen aber deshalb keine Dummheiten. Die Verzückung des Apollonius überzeugte ihn nicht, da er bei der langsamen Postverbindung keine Möglichkeit hatte, die Wahrheit seines Gesichts zu überprüfen. Da hielt es die Priesterschaft Alexandrias für gut, ihm seine eigene Göttlichkeit zu bestätigen, so daß endlich die Prophezeiungen wahr wurden, die seit einem Jahrhundert von einem Kaiser gesprochen hatten, der aus dem Osten kommen werde.
Eines heißen Morgens, als Vespasian vor dem Serapistempel zu Gericht saß, wo er, um die Götter Ägyptens zu ehren, sein Richterpodium hatte aufstellen lassen, traten auf den Rat der Priester zwei Kranke vor ihn hin und baten um Heilung. Der eine war blind, der andere lahm. Vespasian mochte nichts unternehmen, denn vor dem Tempel war eine große Menge Volks zusammengeströmt, um den Kaiser zu begaffen, und er wollte nicht in aller Augen zum Gespött werden.