Ich aber hatte plötzlich das Gefühl, all dies schon einmal erlebt zu haben: die Säulen des Tempels, der Richterstuhl, die Volksmenge, ja ich glaubte sogar die beiden Männer zu kennen. Da entsann ich mich des Traums, den ich in meiner Jugend im Lande der Briganter gehabt hatte. Ich erinnerte Vespasian daran und ermahnte ihn, zu tun, was er in meinem Traum getan hatte. Widerstrebend stand er auf und spuckte dem Blinden auf die Augen, worauf er den Lahmen kräftig gegen sein Bein trat. Der Blinde erhielt sein Augenlicht zurück, und das verkürzte Bein des Lahmen genas so rasch, daß wir unseren Augen nicht trauten. Da glaubte Vespasian endlich, daß er zum Kaiser geboren war, obwohl er sich nach diesem Ereignis weder heiliger noch göttlicher fühlte als zuvor oder zumindest alle Gefühle dieser Art verbarg.
Ich weiß gewiß, daß er später nie wieder seine Kräfte an dergleichen Heilungen erprobte. Ich bat ihn einmal, seine göttliche Hand auf meine blutende Darmöffnung zu legen, als er mich, über meinen Zustand bekümmert, auf meinem Sterbebett besuchte. Er weigerte sich mit aller Bestimmtheit und sagte mir, das seltsame Geschehnis in Alexandria habe so an seinen inneren Kräften gezehrt, daß er in der darauffolgenden Nacht ernstlich fürchtete, den Verstand zu verlieren. »Wahnsinnige Kaiser hat Rom genug gehabt«, sagte er, und darin hatte er recht. Einer solchen Gefahr durfte ich Rom Deinetwegen nicht aussetzen, auch um den Preis meiner Gesundheit nicht.
Manch einer, der nur glaubt, was er selbst zu sehen, zu hören und zu riechen vermag – obgleich man den Sinnen des Menschen nicht immer trauen darf –, wird geneigt sein, an meinem Bericht zu zweifeln, da die Zauberkniffe der ägyptischen Priester berühmt sind. Ich kann aber bezeugen, daß die Serapispriester jeden Kranken genau untersuchen, bevor sie zulassen, daß man eine Wunderheilung an ihm versucht. Verstellung und Heilung einer eingebildeten Krankheit hieße nach ihrem Glauben die Götter beleidigen.
Ich weiß außerdem, daß auch Paulus nicht jedem seine Schweißtücher zur Heilung ernsthafter Krankheiten schicken ließ. Einen Mann, der Krankheit heuchelte, hätte er schonungslos aus der Gemeinschaft der Christen ausgestoßen. Ich möchte also aufgrund meiner eigenen Erfahrungen meinen, daß Vespasian wirklich die beiden Kranken heilte. Wie das möglich ist, kann ich freilich nicht erklären. Ich will auch zugeben, daß Vespasian gut daran tut, seine Macht nicht von neuem zu erproben. Diese Wunderheilungen zehren gewißlich entsetzlich an den Kräften.
Von Jesus von Nazareth wird berichtet, er habe es nicht zugelassen, daß einer heimlich auch nur seine Mantelquasten berührte. Er fühlte wohl sogleich, wie ihn die Kräfte verließen. Zwar hat er Kranke geheilt und Tote auferweckt, aber nur auf flehentliche Bitten hin oder aus Mitleid mit den Angehörigen. Im allgemeinen war er nicht darauf erpicht, Wunder zu tun. Er tadelte die, welche sahen und doch nicht glaubten, und pries jene selig, die nicht sahen und doch glaubten. So hat man mir berichtet. Mein eigener Glaube wiegt zwar nicht mehr, als ein Sandkorn wiegen mag, und ich fürchte sehr, ihm wird er nicht genügen, aber ich will zumindest versuchen, ehrlich zu sein und ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Weil ich gerade die Zauberkniffe der ägyptischen Priester erwähnte: Da fällt mir ein Grieche in Alexandria ein, der das Erbe seiner Väter und die Mitgift seiner Gattin an wahnwitzige Erfindungen verschwendete und so hartnäckig um Vortritt bei Vespasian bat, daß wir ihn zuletzt empfangen mußten. Er berichtete mit leuchtenden Augen von seinen Erfindungen und pries insbesondere die Kraft des Wasserdampfs, der seiner Meinung nach imstande wäre, die schweren Mühlsteine zu treiben. Vespasian fragte ihn: »Was fangen wir dann aber mit den Sklaven an, die sich damit ihr Brot verdienen, daß sie die Mühlsteine drehen? Versuche einmal auszurechnen, wie viele Arbeitslose da der Staat ernähren müßte.«
Der Mann rechnete rasch im Kopf und gab ehrlich zu, daß er an den Schaden nicht gedacht hatte, den seine Erfindung auf wirtschaftlichem Gebiet anrichten würde. Dann aber erklärte er hoffnungsvoll, daß die Kraft des kochenden Wassers an Bord der Schiffe ausgenutzt werden könne, um die Ruder zu treiben. Es fehle ihm nur am Geld für die nötigen Versuche. Die Schiffe würden nicht mehr so vom Wind abhängen.
Ich hielt es für richtig, mich einzumischen, und erklärte, wie entsetzlich die Feuersgefahr auf den kostbaren Getreideschiffen sein würde – von der Gefahr für die Reisenden ganz zu schweigen –, wenn man an Bord ständig ein Feuer unterhalten müßte, um das Wasser zu erhitzen. Sogar das Kochen ist auf den Schiffen so gefährlich, daß beim geringsten Anzeichen von Sturm die Feuer auf ihren Sandbetten gelöscht werden. Jeder Seemann begnügt sich lieber mit kalten Speisen, als daß er sich der Gefahr einer Feuersbrunst auf See aussetzte.
Vespasian bemerkte dazu, daß die griechischen Dreiruderer die sinnreichste Waffe des Seekriegs seien und für alle Zeiten bleiben würden. Von den Handelsschiffen seien dagegen die karthagischen die besten der Welt, und es bestehe kein Anlaß, irgend etwas an ihnen zu ändern.
Der Erfinder sah bedrückt drein, aber Vespasian ließ ihm eine bedeutende Summe ausbezahlen, damit er von weiteren wahnwitzigen Erfindungen Abstand nehme. Sicherheitshalber bestimmte er, daß das Geld der Gattin des Mannes auszuhändigen sei, so daß dieser nicht darüber verfügen und es für seine unnützen Versuche ausgeben konnte.
Ich für meinen Teil habe oft, wenn ich die sinnreichen Kriegsmaschinen betrachtete, ein wenig wehmütig daran gedacht, wie leicht ein geschickter Techniker Maschinen für beispielsweise den Ackerbau ersinnen könnte, die den Sklaven manch schwere Arbeit und unzählige Tropfen Schweißes ersparen würden. Auch für die Entwässerungskunst, die wir von den Etruskern lernten, wären solche Maschinen von großem Nutzen. Ich denke mir, man könnte auf dem Grunde der Abflußgräben anstelle der Reisigbündel auch Ziegelrohre und Steine verwenden, so wie wir es in den Kloaken tun, die allerdings weit größer sind. Andrerseits sehe ich ein, was für verheerende Wirkung auf wirtschaftlichem Gebiet solche Erfindungen haben würden. Wo sollten die Sklaven hinfort ihr Brot und Öl hernehmen? Die kostenlose Getreideausteilung kommt den Staat schon teuer genug zu stehen, und dann müssen Sklaven arbeiten, so schwer wie möglich arbeiten, sonst kommen sie nur auf dumme Gedanken. Wir haben unsere bitteren Erfahrungen!
Die Priester in Ägypten haben bereits alles erfunden, was man braucht. Sie haben beispielsweise eine Maschine, die Weihwasser versprüht, wenn man die richtige Münze hineinsteckt, und diese Maschine ist sogar imstande, vollgewichtige Münzen von abgefeilten zu unterscheiden, so unglaublich das auch klingen mag. Der verabscheuungswürdige Brauch, Späne von Gold- und Silbermünzen herunterzufeilen, ist nämlich in Alexandria aufgekommen. Macht man es mit Hunderten und Tausenden von Münzen, so lohnte es sich sehr wohl. Wer zuerst auf den Einfall kam, weiß ich nicht. Die Griechen beschuldigen die Juden, und die Juden die Griechen.
Ich erzähle das, um Dir zu zeigen, daß Vespasians Wunderheilung kein Taschenspielertrick war. Gerade aufgrund ihrer eigenen technischen Erfindungen sind die ägyptischen Priester besonders mißtrauisch.
Als Vespasian in jener schlaflosen Nacht erschüttert zu der Überzeugung gekommen war, daß die Götter ihn offenkundig dazu ausersehen hatten, Kaiser zu sein, atmete ich erleichtert auf. Es wäre verhängnisvoll gewesen, wenn er sich von längst veralteten demokratischen Ideen hätte dazu verleiten lassen, Änderungen am Aufbau des Staates vorzunehmen. Als ich meiner Sache ganz sicher war, wagte ich ihm in vertraulichem Gespräch mein Geheimnis zu enthüllen. Ich berichtete von Claudia und von Deiner Abstammung und wies ihm nach, daß Du der letzte männliche Nachkomme des julischen Geschlechts bist. Von dieser Stunde an nannte ich Dich in meinem Herzen Julius, obwohl Du diesen Namen erst erhieltst, als Du die Toga anlegtest und Vespasian mit eigner Hand die Spange des Augustus auf Deiner Schulter befestigte.