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Weil ich gerade von Fortuna spreche: Deine Mutter ist immer merkwürdig eifersüchtig auf den einfachen Holzbecher gewesen, den ich von meiner Mutter erbte. Vielleicht erinnert er sie allzu deutlich daran, daß Du zu einem Viertel griechisches Blut in den Adern hast. Zum Glück weiß sie nicht, welch niederer Herkunft dieses Blut ist. Wie dem auch sei, ich schenkte diesen Becher vor einigen Jahren Linus, einmal weil ich des ewigen Gezänkes Deiner Mutter müde war, und zum andernmal weil ich in einer Stunde der Übersättigung meinte, ich hätte nun genug Erfolg gehabt. Die Christen können meiner Meinung nach Fortunas Gunst brauchen, und außerdem hat Jesus von Nazareth selbst nach seiner Auferstehung aus diesem Becher getrunken. Damit sich der Holzbecher nicht zu rasch abnützte, habe ich einen Prunkbecher aus Gold und Silber schmieden lassen, der ihn umschließt und auf der einen Seite das Bild des Kephas im Relief zeigt, auf der anderen Seite dagegen das des Paulus.

Diese Bilder sind sehr ähnlich geworden, denn der Handwerker, der sie machte, hat die beiden selbst oft gesehen und überdies die Zeichnungen anderer und ein Mosaik als Vorlage benutzt. Zwar waren die beiden Juden und duldeten als solche keine Menschenbilder, aber Paulus hat das jüdische Gesetz in manch anderer Hinsicht umgestoßen, weshalb ich nicht glaube, daß er es mir übelnimmt, wenn ich mit Hilfe des Linus sein Aussehen der Nachwelt überliefern will. Wozu, weiß ich freilich selbst nicht. Die Christuslehre hat neben anderen, aussichtsreicheren Religionen, von den Gymnosophisten bis zur Mithras-Bruderschaft, keine Zukunft.

Beide waren sie gute Menschen, und ich verstehe sie nun besser als früher, vor allem Paulus. So geht es einem ja oft: man vergißt gewisse Charakterzüge, die einen ärgerten, und ist endlich imstande, sich ein klares Bild von dem Menschen zu machen, wie er wirklich gewesen ist. Im übrigen besitzen die Christen sogar ein Bild ihres Jesus von Nazareth. Es blieb auf einem Stück Tuch haften, das eine Frau ihm reichte, damit er sich das Blut aus dem Antlitz trockne, als er mit dem Kreuz auf dem Rücken auf einer Straße Jerusalems stürzte. Dieses Bild wäre gewiß nicht auf dem Tuch zurückgeblieben, wenn er selbst es nicht gewollt hätte. Ich folgere daraus, daß er es, im Gegensatz zu den rechtgläubigen Juden, gestattete, daß man ein Bild vom Menschen macht.

Der Becher, den ich weggeschenkt habe, wird fleißig benützt, aber mir scheint, seine Kraft hat wegen des Goldes und des Silbers, das ihn nun umschließt, abgenommen. Jedenfalls streiten die Christen miteinander noch ebenso heftig und scharfsinnig wie eh und je. Linus hat alle Mühe, sie wenigstens so weit zu besänftigen, daß sie nicht mitten unter ihrem heiligen Abendmahl übereinander herfallen.

Was in den dunklen Gassen geschieht, wenn, die verschlossenen Türen geöffnet worden sind und die Teilnehmer am Mahle sich entfernen, mag ich nicht näher schildern. Die Unduldsamkeit und der Neid, die Paulus und Kephas ins Verderben stürzten, herrschen noch immer unter ihnen. Schon aus diesem Grunde kann aus ihnen nichts werden. Ich warte nur noch darauf, daß eines Tages ein Christ einen anderen Christen in Christi Namen erschlägt. Der Arzt Lucas schämt sich all dessen so, daß er nun kein drittes Buch zu dem Werk, das er plante, schreiben will, sondern die Arbeit aufgegeben hat.

Es hilft auch nichts, daß gelehrte und gebildete Menschen sich ihnen angeschlossen haben und sich ebenfalls zu Christus bekennen. Im Gegenteil, die Sache scheint davon nur noch schlimmer geworden zu sein. Kurz vor meiner Erkrankung lud ich zwei Sophisten zum Mahl, weil ich hoffte, ihre Bildung und Vernunft könnten Linus von Nutzen sein, aber die beiden begannen so erbittert miteinander zu streiten, daß sie mir beinahe meine kostbaren alexandrinischen Glasschalen zerschlugen.

Meine Einladung hatte einen rein praktischen Grund. Ich dachte mir, daß gebildete Männer wie sie einsehen würden, wie vorteilhaft es für die Christen wäre, wenn ihr Oberhaupt irgendein Zeichen seines Ranges trüge, etwa eine Kopfbedeckung wie die Mithras-Priester und zu dem einfachen Hirtenstab dazu den gewundenen Himmelsleiterstab der Auguren. Solche äußerlichen Zeichen ihres Bundes würden meiner Meinung nach gewöhnliche Bürger dazu ermuntern, sich ihnen anzuschließen.

Statt eines vernünftigen Gesprächs begannen aber die beiden Männer einen hitzigen Streit, und der eine sagte: »Ich glaube an ein unsichtbares Reich, an die Engel und daran, daß Christus Gottes Sohn ist, denn dies ist die einzige begreifliche Erklärung für die Unbegreiflichkeit und den wahnwitzigen Lauf der Welt. Ich glaube, um zu verstehen.«

Der andere wollte das nicht gelten lassen und entgegnete: »Verstehst du nicht, du kleiner Geist, daß menschliche Vernunft die Göttlichkeit Christi nicht fassen kann? Ich glaube nur, weil die Lehre über ihn absurd und vernunftlos ist. Ich glaube, weil sie sinnlos ist.«

Ich fiel ihnen rasch ins Wort, bevor sie handgemein wurden, und sagte begütigend: »Ich für mein Teil bin kein Gelehrter, obgleich ich die Philosophen und nicht wenige Dichter gelesen und selbst ein Buch über Britannien geschrieben habe, das man noch in den öffentlichen Bibliotheken finden kann. An Gelehrsamkeit und in der Kunst des Disputierens kann ich es nicht mit euch aufnehmen. Viel glaube ich nicht, und ich bete auch um nichts, denn in meinen Augen ist es reine Unvernunft, um etwas zu beten, was ein unerklärlicher Gott selbst am besten weiß. Er gibt mir gewiß, was mir not tut, wenn er so will. Eurer langatmigen Gebete bin ich müde. Wenn ich denn beten müßte, so möchte ich in meiner Sterbestunde flüstern: Jesus Christus, Gottes Sohn, erbarme dich meiner. Ich bilde mir nicht ein, daß meine wenigen guten Taten meine bösen Taten und Verbrechen aufzuwiegen vermögen. Ein Reicher kann nicht ohne Schuld sein. Hat er Schlimmeres nicht auf sich geladen, so sind die Tränen seiner Sklaven sein Verbrechen. Ich verstehe die Menschen, die ihre Habe den Armen schenken, um Christus zu folgen, aber ich selbst behalte und vermehre lieber, was ich besitze, für meinen Sohn und das Gemeinwohl. Es könnte sonst jemandem in die Hände fallen, der grausamer ist als ich, zum Schaden für die vielen, die mein Brot essen. Schont daher bei eurem Streit meine Glasschalen, die nicht nur kostbar sind, sondern auch mir selbst als Erinnerungsstücke teuer.«

Sie beherrschten sich aus Rücksicht auf meinen Rang und meine Stellung, wenngleich sie einander wahrscheinlich an die Kehle fuhren, sobald sie mein Haus und meinen guten Wein verlassen hatten. Glaube aber nicht, mein Sohn Julius, ich sei zu den Christen übergegangen, weil ich all dies erzähle. So viel weiß ich über Jesus von Nazareth und sein Reich, daß ich es nie wagen würde, mir einen so anspruchsvollen Namen zuzulegen und mich Christ zu nennen. Deshalb habe ich mich auch nie für würdig gehalten, die Taufe zu empfangen, sooft auch Deine Mutter mich dazu zu überreden versuchte.

Ich begnügte mich damit, zu sein, was ich bin, mit meinen Schwächen und meinen Fehlern, und ich will mich, wie Du aus diesen Erinnerungen ersiehst, nicht einmal rechtfertigen. Ich habe nur versucht, Dir begreiflich zu machen, mit welcher Unausweichlichkeit ich zu gewissen Taten gezwungen worden bin, die ich später bereute – Taten, die nur Dir zum Vorteil gereichten.

Was meine sittlichen Verirrungen anbelangt, will ich Dir nur sagen, daß kaum ein Mensch ohne Tadel ist, nicht einmal die Heiligen, die sich Gott geweiht haben. Nie aber, das kann ich Dir versichern, habe ich einen anderen Menschen nur zu meinem Genuß mißbraucht. Ich habe in meiner Bettgefährtin immer auch den Menschen gesehen, mochte sie nun Sklavin sein oder Freie.

Meiner Meinung nach geschehen aber die unsittlichsten Dinge nicht im Bett, wie viele glauben, sondern das Schlimmste ist die Verhärtung des Herzens. Hüte Dich davor, daß Du hart in Deinem Herzen wirst, mein Sohn, wer auch immer Du eines Tages sein und vor welch schweren Entscheidungen immer Du stehen wirst. Eine gewisse menschliche Eitelkeit ist, innerhalb vernünftiger Grenzen, wohl erlaubt, nur darfst Du in Deinem Herzen Deine Gelehrsamkeit und Deine Dichtergabe nicht zu hoch einschätzen. Glaube nicht, ich wüßte nicht, daß Du mit Juvenal in der Dichtkunst zu wetteifern trachtest!