Dafür erzählte sie mir von den Sittenbegriffen der Juden und behauptete, die Aufgeklärten unter ihnen betrachteten Unzucht mit Ausländerinnen nicht als Sünde; nur von jüdischen Frauen hielten sie sich fern, weil das ihr Gesetz so gebiete. Zum Beweise tuschelte sie mir in der Dunkelheit des Schlafraumes ein paar Geschichten ins Ohr; aber ich glaubte ihr nicht recht. Immerhin hatte ich ja während meines Umgangs mit jüdischen Gelehrten in Alexandria dieses Volk achten gelernt.
Als die Berge Judäas schon wie eine Fata Morgana über dem juwelenglitzernden Meer auftauchten, vertraute Myrina mir ihren Zukunftstraum an, wie ein junges Mädchen manchmal einem älteren Bekannten das Herz ausschütten mag. Sie wisse sehr wohl, daß eine Tänzerin nur kurze Zeit auf der Höhe bleiben könne; deshalb hoffe sie, sich Geld zu ersparen und zu gegebener Zeit in einer vorurteilslosen Küstenstadt einen bescheidenen Parfümladen aufmachen und dazu ein verschwiegenes Vergnügungshaus betreiben zu können. Mit unschuldsvollen Augen sah sie mich an, während sie darlegte, die Wartezeit bis dahin könnte sie sich verkürzen, wenn es ihr gelänge, einen reichen Liebhaber zu finden. Ich wünschte ihr von Herzen viel Glück dazu.
Mochte es nun an den Opfern des Kapitäns gelegen haben oder an einem günstigen Zufall oder an den beharrlichen Glaubensübungen der jüdischen Pilger, jedenfalls liefen wir – von Ungeziefer geplagt, hungrig, durstig und schmutzig, aber ansonsten unversehrt – in den Hafen von Joppe ein, drei Tage vor dem Hauptfesttag des jüdischen Passah, der diesmal nach dem amtlichen Kalender der Juden auf einen Sabbat fiel und ihn zu einem besonders großen Feiertag machte. Die Juden hatten es so eilig, daß sie sich knapp Zeit nahmen, sich einer rituellen Reinigung zu unterziehen und bei ihren Landsleuten in der Hafenstadt eine Mahlzeit einzunehmen, ehe sie sich, obwohl schon die Nacht hereinbrach, auf den Weg nach Jerusalem machten. Doch die Luft war milde, zahllose Sterne brannten über dem Meer, und bei Mondlicht wanderte es sich leicht. Der Hafen war mit Schiffen vollgepfropft, darunter großen Seglern aus Italien, Spanien und Afrika. Daraus hätte ich, wäre mir das nicht schon früher klargeworden, entnehmen können, daß die Liebe der Juden zu ihrem Tempel für alle Reeder der Welt ein einträgliches Geschäft ist.
Du weißt, daß ich kein Vornehmtuer bin; aber ich hatte doch keine Lust, am nächsten Morgen meine Reise in Gesellschaft der griechischen Schauspielertruppe fortzusetzen, so eindringlich die Leute mich auch darum baten, in der Hoffnung, derart meinen Schutz – kein einziger von ihnen war römischer Bürger – zu erlangen. Ich beschloß vielmehr, in Joppe diesen Brief fertigzuschreiben, den ich schon an Bord des Schiffes begonnen hatte, um damit die Zeit zu verbringen und Dir zu erklären, welch merkwürdige Eingebung mich zu dieser Reise bewogen hat.
Ich nahm also ein Privatzimmer, wo ich mich jetzt nach der elenden Seefahrt ausruhe und diese Zeilen niederschreibe. Ich habe gebadet und große Mengen Insektenpulver verbraucht. Die auf dem Schiff getragenen Kleider habe ich, als ich bemerkte, daß meine Absicht, sie zu verbrennen, Anstoß erregte, armen Leuten geschenkt. Langsam fange ich an, mich wieder als Mensch zu fühlen; ich habe mir die Haare frisieren und einölen lassen und mir neue Kleider gekauft. Da ich ziemlich anspruchslos bin, führe ich wenig Gepäck mit mir, bis auf eine Menge neuen Papyrus, Schreibzeug und ein paar Andenken aus Alexandria, als Geschenke zu passenden Gelegenheiten.
Hier auf dem* Marktplatz von Joppe können hoch und niedrig Beförderungsmittel für die Reise nach Jerusalem finden. Ich hätte eine Sänfte mit Geleit nehmen oder in einem Ochsenwagen fahren oder sogar auf ein von einem Treiber geführtes Kamel klettern können. Aber, wie ich schon erwähnte, Einsamkeit bedeutet für mich den kostbarsten aller Genüsse, und so gedenke ich morgen in aller Frühe einen Esel zu mieten, ihn mit meinen wenigen Habseligkeiten, einem Weinschlauch und einem Proviantsack zu beladen und zu Fuß nach Jerusalem aufzubrechen, wie es einem friedlichen Pilger geziemt. Nach den Zeiten der Verweichlichung in Alexandria begrüße ich diese körperliche Übung; vor Räubern brauche ich keine Angst zu haben, da die Straßen von Leuten, die zum Feste, wollen, wimmeln und durch Streifen der zwölften Legion bewacht werden.
Tullia, meine Geliebte, nicht, um Dich zu quälen oder eifersüchtig zu machen, habe ich Dir von Myrina und den Alexandrinerinnen erzählt – falls Dich das überhaupt schmerzlich berührt, falls es Dein Herz auch nur im geringsten verwundet. Aber ich fürchte sehr, Du empfindest nichts als Befriedigung darüber, daß Du Dich meiner geschickt entledigt hast. Immerhin kenne ich Deine Gedanken nicht, und es mag ja sein, daß Dich irgend etwas an der Reise nach Ägypten gehindert hat. Deshalb gelobe ich Dir, daß ich Dich im Herbst wieder in Alexandria erwarten werde, bis zur winterlichen Einstellung des Schiffsverkehrs. Alle meine Sachen sind dort geblieben; nicht einmal ein Buch habe ich mitgenommen. Sollte ich bei Deiner Ankunft nicht am Hafen sein, so kannst Du meine Anschrift im römischen Reisebüro oder bei meinem Bankier erfragen. Doch im Herzen weiß ich, daß ich wieder zu jeder Schiffsankunft aus Italien an die Mole gehen werde, genau so wie im vergangenen Herbst.
Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Du Dir die Mühe nehmen wirst, diesen Brief zu Ende zu lesen, obwohl ich ihn so abwechslungsvoll wie möglich zu gestalten versuchte. Übrigens bin ich in viel gesetzterer Stimmung, als man aus meinen Zeilen schließen könnte. Mein Leben lang habe ich zwischen den Lehren des Epikur und denen der Stoiker geschwankt, zwischen Genuß und Entsagung. Alexandrias maßlose Vergnügungen, die unsinnige Gefräßigkeit von Körper und Geist haben meine Seele ausgedörrt. Daß Sinnlichkeit und Liebe zwei ganz verschiedene Dinge sind, weißt Du ebenso wie ich. In der Wollust kann man sich eine gewisse Fertigkeit erwerben, wie im Laufen oder Schwimmen; aber bloße Wollust führt zu Trübsinn. Dagegen ist es etwas Ungewöhnliches, ja Unglaubliches, jenen Menschen zu finden, für den man geboren wurde. Ich bin für Dich, Tullia, geboren, und mein törichtes Herz sagt mir noch immer, daß auch Du für mich geboren bist. Denke an die Nächte in Baiae, zur Zeit der Rosenblüte!
Jedenfalls nimm, was ich über Weissagungen geschrieben habe, nicht allzu ernst! Dein stolzer Mund mag ruhig lächeln und flüstern: »Marcus ist noch immer der gleiche unverbesserliche Träumer!« Indes, wenn ich anders wäre, würdest Du mich vielleicht nicht lieben – falls Du es überhaupt noch tust, was ich nicht weiß.
Joppe ist eine uralte Hafenstadt, ganz syrisch. Aber während ich Dir schrieb, habe ich mich hier heimisch gefühlt. Tullia, meine Geliebte, vergiß mich nicht! Ich nehme diesen Brief mit und schicke ihn von Jerusalem aus weg; vor dem Ende des jüdischen Passahfestes fahren ohnedies keine Schiffe nach Brundisium ab.
2
Marcus an Tullia.
Ich schreibe diesen Brief am Passah-Sabbat der Juden in deren heiliger Stadt Jerusalem, in der Burg Antonia. Etwas völlig Unvorhergesehenes ist mir widerfahren, und ich bin selbst noch nicht im klaren darüber, was es eigentlich war. Tullia, ich bin ganz verstört. So schreibe ich Dir denn, um – für mich selbst und für Dich – sorgfältig zu erhellen, was sich tatsächlich zugetragen hat.
Ich verachte nun nicht länger Vorzeichen; in tiefstem Herzen tat ich es ja nie, so spöttisch ich auch über sie geredet und geschrieben haben mag. Mit bestürzender Unbeirrtheit glaube ich jetzt daran, daß mein Weg auf diese Reise gelenkt wurde und daß ich sie, auch beim ernstesten Willen, nicht hätte vermeiden können. Aber welche Mächte die Hand dabei im Spiele hatten, das weiß ich nicht. Ich will der Reihe nach erzählen.