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Dieser Sturm dörrte mir augenblicklich die Gesichtshaut, und die Augen begannen mich zu schmerzen. Die schon hoch am Himmel stehende Sonne war zu einer rotglühenden Scheibe getrübt. Und nun sah ich jenseits des Tales die heilige Stadt der Juden aufsteigen, mauerumgürtet. Mit brennenden Augen und einem salzigen Geschmack im Munde erblickte ich die Türme des herodianischen Palastes, das Häusergewirr der großen Stadt auf den Hängen, die Theater- und Zirkusanlagen und, über all dem, den weiß und golden aufragenden Tempel mit seinen Mauern, Gebäuden und Säulenhallen.

Unter dieser verdüsterten Sonne leuchtete jedoch der Tempel meinen Augen nicht so, wie man es mir geschildert hatte. Der Marmor war fahl, und den Vergoldungen fehlte der Glanz. Fraglos handelte es sich um einen mächtigen, festgegründeten Bau, um ein unvergleichlich hoheitsvolles Wunderwerk neuer Baukunst. Aber das, was die Juden bei diesem Anblick empfinden, verspürte ich nicht. Im Banne einer ausgesprochenen Unlust betrachtete ich den Tempel nur aus Pflichtgefühl, weil es sich nach der langen Reise so gehörte. Ich war nicht mehr jener junge Mann, der einst den Tempel von Ephesus zum erstenmal gesehen hatte. Die Ehrfurcht vor dem Wunder der Schönheit kam jetzt, da ein heißer Wind mir Staub in die Augen trieb, nicht in mir auf. Als ich meinen Esel wieder antrieb, wandte er den Kopf und sah mich erstaunt an. Er war aus eigenem Willen am Scheitel der Straßensteigung stehengeblieben, auf dem besten Aussichtspunkt, und hatte offenbar erwartet, ich würde mich einige Zeit vor Bewunderung und Freude in Ausrufen, Preisliedern und Gebeten ergehen. Ich schalt mich selbst blasiert und einen Sklaven des Körpers, weil ich einem Anblick, der für zahllose Menschen der Gipfel weihevoller Erbauung war, nichts abzugewinnen vermochte, bloß, weil mein Leib müde und der Wind lästig war. Der Esel zuckte ärgerlich mit den Ohren und begann die nun in Windungen hinabführende Straße weiterzutrotten. Ich schritt neben dem Tier und hielt mich an dem Zaumzeug fest, so schwach in den Knien fühlte ich mich.

Je tiefer die Straße sich senkte, desto weniger quälend wurde der Wind, und unten spürte man ihn überhaupt kaum mehr. Gegen Mittag erreichte ich den Punkt, wo die Straße aus Joppe sich mit der aus Cäsarea vereinigt und zur römischen Heerstraße wird. Eine große Menschenmenge wanderte stadtwärts. Nächst dem Tore sah ich, daß Leute in Gruppen stehenblieben und auf einen nahen Hügel starrten, während andere die Gesichter verhüllten und weitereilten. Mein Esel wurde störrisch. Als ich die Augen hob, sah ich auf dem mit Dornengebüsch bedeckten Hügel drei Kreuze aufgerichtet und konnte die zuckenden Leiber der Verurteilten erkennen. Auf der zur Stadt abfallenden Böschung hatte sich eine ansehnliche Menschenschar versammelt und sah zu.

Auch die Straße war gedrängt voll von Leuten, und ich wäre, selbst wenn ich es gewollt hätte, kaum bis zum Tore durchgekommen. Natürlich habe ich schon öfter in meinem Leben gekreuzigte Verbrecher gesehen und ihre Qualen beobachtet, um mich gegen den Anblick von Leiden abzuhärten. In der Arena hatte ich noch grausamere Todesarten erlebt, aber daran war etwas Spannendes gewesen. Eine Kreuzigung bietet dem Beschauer nichts dergleichen; sie ist bloß ein entehrendes, langwieriges Verfahren der Todesstrafe. Wenn ich einigermaßen froh bin, römischer Bürger zu sein, so unter anderem deshalb, weil ich, sollte ich je durch ein Verbrechen mein Leben verwirken, sicher sein kann, mit einem raschen Schwertstreich hingerichtet zu werden.

In jeder anderen Gemütsverfassung hätte ich wahrscheinlich einfach den Kopf abgewandt, das üble Omen zu vergessen gesucht und mich, so gut es gehen mochte, auf der Straße vorwärtsgedrängt. Doch der Anblick der drei Gekreuzigten verstärkte, obwohl ihr Schicksal mich nichts anging, auf unerklärliche Weise in mir das wetterbedingte Gefühl der Beklemmung. Ich weiß nicht, was mich dazu bewog, aber ich führte den Esel ein paar hundert Schritte von der Straße weg und schob mich langsam durch die schweigende Menge den Hügel hinauf.

In der Nähe der Kreuze kauerten auf dem Boden einige syrische Soldaten der zwölften Legion, würfelten und tranken sauren Wein. Ganz gewöhnliche Sklaven oder Verbrecher konnten übrigens die Verurteilten offenbar nicht sein; denn in einiger Entfernung von den Soldaten hielt auch ein Zenturio Wache.

Zunächst warf ich nur einen flüchtigen Blick auf die krampfhaft zuckenden Gestalten. Dann jedoch bemerkte ich auf dem mittleren Kreuz, über dem Kopfe des, daran hängenden Mannes, eine Tafel, auf der in griechischer, lateinischer und der Landessprache geschrieben stand: ›Jesus von Nazareth, der König der Juden‹. Anfangs erfaßte ich in meiner Benommenheit nicht den Sinn des Gelesenen. Dann aber sah ich, daß der schlaff herabhängende Kopf des Mannes einen tief in die Haut gedrückten Dornenkranz in der Art einer Königskrone trug. Über das Gesicht des Gekrönten zogen sich Streifen geronnenen Bluts, das aus den Dornwunden gesickert war.

Im nächsten Augenblick konnte ich die Inschrift und auch die Gesichtszüge des Gekreuzigten nur mehr undeutlich erkennen; die Sonne verschwand vom Himmel, und es wurde, obwohl es Mittag war, so dunkel, daß ich selbst die mir zunächst stehenden Leute nur mit Mühe sah. Die Vögel hörten zu singen auf, wie während einer Sonnenfinsternis, und auch die Menschen verstummten, so daß man schließlich nichts mehr hörte als das Rollen der Würfel auf den Schilden der Soldaten und das keuchende Atmen der Verurteilten.

Wie ich Dir, Tullia, in meinem letzten Brief halb im Scherz schrieb, hatte ich mich auf die Suche nach dem König der Juden begeben. Und nun fand ich ihn auf einem Hügel außerhalb der Stadtmauer von Jerusalem, an ein Kreuz geheftet, aber noch lebend. Nachdem ich den Sinn jener Inschrift begriffen und die Dornenkrone gesehen hatte, zweifelte ich keinen Augenblick mehr daran, daß ich vor dem Gesuchten stand, vor jenem Manne, dessen Geburt durch eine Sternbegegnung angekündigt worden war, dem König der Juden, der sich nach ihren heiligen Büchern zum Weltherrscher hätte aufschwingen sollen. Wie es kam, daß ich diese Gewißheit so plötzlich gewann, kann ich unmöglich erklären; sicherlich hat aber die Niedergeschlagenheit, die ich seit dem frühen Morgen verspürte, mich für den düsteren Anblick besonders empfänglich gemacht.

Ich war froh, daß der Himmel sich verdunkelt hatte und es mir ersparte, die Schmach und Qual des Verurteilten in aller Deutlichkeit mit anzusehen. Ich hatte schon gemerkt, daß man ihm heftig ins Gesicht geschlagen und ihn nach römischer Sitte gegeißelt hatte. Er befand sich deshalb in wesentlich schlechterer Verfassung als seine beiden Leidensgenossen, kräftige, rauhe Männer aus dem Volke.

Nach der Verdunkelung der Sonne waren für eine Weile alle Stimmen der Menschen und der Natur verstummt. Dann jedoch ertönten aus der Zuschauermenge Ausrufe der Bestürzung und Angst. Sogar der Zenturio hob den Blick und musterte den Himmel nach allen Richtungen. Unterdessen hatten meine Augen sich an die Finsternis gewöhnt, und ich begann wieder einigermaßen die Umrisse der Landschaft und die Leute um mich her zu sehen. Einige hochgestellte Juden, die das Entsetzen der Menge bemerkt hatten, mischten sich jetzt in das Gewühl. An ihren Kopfbedeckungen erkannte ich, daß es sogenannte Schriftgelehrte und Älteste des Volkes waren; an den Zipfeln ihrer Obergewänder trugen sie mächtige Quasten. Sie schrien den Leuten laut und aufmunternd zu und fingen an, den gekreuzigten Jesus zu verspotten, indem sie ihn aufforderten, sich als König zu erweisen und vom Kreuz herabzusteigen. Auch andere Hohnworte riefen sie ihm zu, offenbar Anspielungen auf Dinge, die er früher öffentlich gesagt hatte.

Derart versuchten sie, die Menschenmenge auf ihre Seite zu bringen, und tatsächlich wurden da und dort vereinzelte Schmährufe laut. Die meisten Zuschauer aber wahrten ein hartnäckiges Schweigen, als wollten sie ihre Empfindungen für sich behalten. Nach Kleidung und Gesichtszügen zu schließen, handelte es sich überwiegend um arme Leute, darunter viele Bauern, die zum Passahfest in die Stadt gekommen waren. Ich gewann den Eindruck, daß sie ihrem gekreuzigten König günstig gesinnt waren, diese Einstellung aber angesichts der Legionäre und ihrer eigenen Würdenträger nicht zu zeigen wagten. In der Menge gab es auch eine Anzahl Frauen, von denen einige die Köpfe verhüllt hatten und weinten.