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„Lieber Ping Pong", sagte Lukas, der mit Jim einen bestürzten Blick gewechselt hatte, „das sind sicher alles große Leckereien. Aber wir sind erst ganz kurz in China und müssen uns zunächst einmal an eure Kost gewöhnen. Gibt es denn nicht vielleicht etwas ganz Einfaches?"

„Oh, doch!" rief Ping Pong eifrig. „Zum Beispiel panierte Pferdeäpfel in Elefanten-Sahne."

„Ach nein", sagte Jim, „so was meinen wir nicht. Gibt's denn nicht irgendwas Vernünftiges?"

„Irgendwas Vernünftiges?" fragte Ping Pong ratlos. Doch dann hellte sich sein Gesicht auf. „Ich verstehe!" rief er. „Zum Beispiel Mäuseschwänze und Froschlaichpudding. Das ist das Vernünftigste, was ich kenne."

Jim schüttelte sich.

„Nein", sagte er, „das meine ich auch nicht! Ich meine zum Beispiel einfach ein großes Butterbrot." „Ein was?" fragte Ping Pong. „Ein Butterbrot", wiederholte Jim.

„Nein, das kenne ich gar nicht ", sagte Ping Pong verwirrt. „Oder Bratkartoffeln mit Spiegelei", schlug Lukas vor.

„Nein", antwortete Ping Pong, „davon habe ich nie etwas gehört."

„Oder einen Schweinebraten", fuhr Lukas fort, und dabei lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

Aber jetzt schüttelte sich der kleine Ping Pong und schaute die beiden Freunde ganz entsetzt an.

„Verzeiht, ehrenwerte Fremdlinge, daß ich mich schüttle", piepste er, „aber würdet ihr so etwas wirklich essen mögen?"

„Ach ja", riefen die beiden Freunde wie aus einem Munde, „das würden wir!"

Eine Weile überlegten sie noch hin und her. Plötzlich schnippte Lukas der Lokomotivführer mit dem Finger und sagte:

„Leute, ich hab's! Wir sind doch hier in China, und in China gibt's doch Reis."

„Reis?" fragte Ping Pong. „Ganz gewöhnlichen Reis?"

„Ja", erwiderte Lukas.

„Oh, jetzt weiß ich etwas!" rief Ping Pong glücklich. „Ihr bekommt eine kaiserliche Reisplatte. Sofort, sogleich, ich eile!" Er wollte schon davonrennen, aber Lukas hielt ihn am Ärmelchen zurück.

„Aber bitte, Ping Pong", sagte er, „keine Käfer oder gebratene Schuhbänder dazwischen, wenn's geht."

Ping Pong versprach es und verschwand in der Dunkelheit. Als er zurückkam, trug er ein paar Schälchen, kaum größer als Fingerhüte, und stellte sie auf den Tisch.

Die beiden Freunde wechselten einen Blick und dachten bei sich, ob das nicht vielleicht ein bißchen wenig wäre für zwei hungrige Lokomotivführer. Aber sie sagten natürlich nichts, denn sie waren ja zu Gast.

Doch Ping Pong rannte sofort wieder davon, brachte weitere Schüsselchen und verschwand aufs neue. Schließlich stand das ganze Tischchen voll, aus allen Näpfchen duftete es ganz unbeschreiblich appetitlich. Vor jedem der beiden Freunde lagen zwei Stäbchen, die aussahen wie dünne Bleistifte.

„Ich möcht' wissen", flüsterte Jim Lukas zu, „wozu diese Stäbchen da sind."

Ping Pong, der die Worte gehört hatte, erklärte:

„Diese Stäbchen, ehrenwerter Knopfträger, sind das Besteck. Man ißt mit ihnen."

„Aha!" murmelte Jim besorgt.

„Na schön", meinte Lukas. „Versuchen wir's mal. Guten Appetit!"

Sie versuchten es also. Aber jedesmal, wenn sie mühsam ein Reiskorn auf einem Stäbchen balancierten, fiel es herunter, ehe sie es in den Mund bekommen konnten. Das war wirklich recht unangenehm, denn sie wurden beide immer hungriger, und das Essen duftete so unbeschreiblich verführerisch.

Ping Pong war natürlich viel zu höflich, um über die Ungeschicklichkeit der beiden Fremden auch nur zu lächeln. Aber schließlich mußten Jim und Lukas selber lachen, und da stimmte auch Ping Pong ein.

„Entschuldige, Ping Pong", sagte Lukas, „aber wir essen doch lieber ohne diese Stäbchen. Sonst verhungern wir noch."

Und dann aßen sie einfach so aus den Schälchen, die ja ohnehin nur so groß waren wie Teelöffel.

In jedem Schälchen befand sich anders zubereiteter Reis, und einer schmeckte immer besser als der andere. Es gab roten Reis, grünen Reis und schwarzen Reis, süßen Reis, scharfen Reis und gesalzenen Reis, Reisbrei, Reisauflauf und Puffreis, blauen Reis, kandierten Reis und vergoldeten Reis. Sie aßen und aßen.

„Sag mal, Ping Pong", fragte Lukas nach einer Weile, „warum ißt du eigentlich nicht mit?"

„Oh, nein!" antwortete Ping Pong mit wichtiger Miene, „für Kinder in meinem Alter ist dieses Essen nicht bekömmlich. Wir sollen lieber flüssige Nahrung zu uns nehmen."

„Wieso?" meinte Jim mit vollem Mund. „Wie alt bist du denn?"

„Ich bin genau 368 Tage alt", antwortete Ping Pong stolz. „Aber ich habe schon vier Zähne."

Das war ja nun wirklich recht unglaublich, daß Ping Pong erst ein Jahr und drei Tage sein sollte! Um das zu verstehen, muß man folgendes wissen:

Die Chinesen sind ein sehr, sehr kluges Volk. Sie sind sogar eines der klügsten Völker der Erde. Sie sind auch ein sehr altes Volk. Es hat sie schon gegeben, als es die meisten anderen Völker noch nicht gab. Daher kommt es, daß bereits die winzigsten Kinder ihre Wäsche selbst waschen können. Mit einem Jahr sind sie schon so gescheit, daß sie herumlaufen und ganz erwachsen reden können. Mit zwei Jahren können sie lesen und schreiben. Mit drei Jahren rechnen sie die schwersten Rechenaufgaben aus, die bei uns höchstens ein Professor bewältigen kann. Das fällt aber in China nicht weiter auf, weil eben alle Kinder so gescheit sind.

So ist es zu erklären, daß der kleine Ping Pong sich schon so gewählt ausdrücken konnte und auf sich selbst achtgab wie seine eigene Mutter. Aber im übrigen war er noch genauso ein Säugling wie alle anderen Babys der Welt in seinem Alter. Zum Beispiel mußte er statt Höschen noch Windeln tragen. Die Enden der Windeln waren auf seinem Hinterteil zu einer großen Schleife zusammengebunden.

Nur sein Verstand war eben schon sehr erwachsen.

ACHTES KAPITEL

in dem Lukas und Jim geheimnisvolle Inschriften entdecken

Der Vollmond war aufgegangen, und sein silberweißes Licht erfüllte die Straßen und Plätze der Stadt Ping. Vom Turm des Palastes erklangen tiefe, dunkle Gongschläge, schwollen an und verhallten wieder.

„Es ist Jau, die Stunde der Grille", sagte Ping Pong. „Das ist die Zeit, wo alle Babys in China ihr Gute-Nacht-Fläschchen bekommen. Gestattet, daß ich mir das meinige hole!"

„Bitte!" antwortete Lukas.

Ping Pong lief fort und tauchte gleich wieder auf. Am Arm trug er eine Schnullerflasche, so klein wie für eine Puppe. Er legte sich auf seinem Kissen zurecht und erklärte:

„Eidechsenmilch schätze ich ungemein. Für Babys in meinem Alter ist sie einfach unentbehrlich. Zwar ist sie nicht besonders wohlschmeckend, jedoch überaus nahrhaft."

Und damit begann er eifrig zu schnullen.

„Sag mal, Ping Pong", fragte Lukas nach einer Weile, „wo hast du eigentlich dieses Abendessen für uns so schnell hergenommen?"

Ping Pong unterbrach seine Mahlzeit.

„Aus der Küche des kaiserlichen Palastes", entgegnete er leichthin. „Seht ihr, gleich da vorne neben der Silbertreppe ist der Eingang."

Jetzt, im Mondschein, war die Tür gut zu sehen. Sie war den beiden Freunden tagsüber gar nicht aufgefallen. Jim wunderte sich sehr.