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„Ja, darfst du denn da einfach hinein?" fragte er.

„Warum nicht?" erwiderte Ping Pong achselzuckend und machte wieder sein wichtiges Gesicht. „Schließlich bin ich doch das zweiunddreißigste Kindeskind von Herrn Schu Fu Lu Pi Plu, dem Oberhofkoch."

„Darfst du denn da einfach Essen wegholen?" erkundigte sich Lukas besorgt. „Ich meine, es war doch sicher für jemand bestimmt."

„Es war das Abendessen des erhabenen Kaisers", antwortete Ping Pong mit einer nachlässigen Handbewegung, als ob das nichts Besonderes wäre.

„Was?" riefen Lukas und Jim gleichzeitig. Sie schauten sich ganz entgeistert an.

„Nun ja", erklärte Ping Pong, „der erhabene Kaiser hat wieder einmal nicht essen mögen."

„Warum denn nicht?" fragte Jim. „Es war doch sehr gut."

„Ja, wißt ihr denn nicht, ehrenwerte Fremdlinge, was mit unserem Kaiser los ist? Alle Welt weiß das doch."

„Nein", antwortete Lukas, „was ist denn mit ihm los?"

Ping Pongs Gesicht wurde plötzlich sehr ernst.

„Ich werde es euch zeigen, wenn ich fertig bin", versprach er. „Nur noch einen Augenblick, bitte."

Er griff wieder zu seiner kleinen Flasche und saugte emsig.

Lukas und Jim wechselten einen bedeutungsvollen Blick. Vielleicht konnte Ping Pong ihnen einen Weg zum Kaiser zeigen.

Während sie warteten, nahm Lukas gedankenvoll eines der Eßstäbchen, betrachtete es genauer, dann untersuchte er auch das andere und sagte schließlich:

„Da steht ja was drauf. Scheint, es ist ein Gedicht."

„Was steht denn da?" fragte Jim. Er konnte ja noch nicht selbst lesen.

Lukas brauchte eine ganze Weile zum Entziffern der Schrift, denn es waren chinesische Buchstaben, die außerdem noch untereinander standen statt nebeneinander. So schreibt man nämlich in China. Es sah ungefähr folgendermaßen aus:

„Das klingt aber sehr traurig", stellte Jim fest, als Lukas die Anschrift vorgelesen hatte.

„Ja, jemand trauert um sein Kind, wie es scheint", antwortete Lukas. „Vielleicht ist es gestorben oder krank. Es könnte auch weit weg sein, und der Jemand ist traurig, weil er es nicht sehen kann. Zum Beispiel, wenn es geraubt ist."

„Ja, geraubt!" nickte Jim nachdenklich. „Das könnte sein."

„Man müßte wissen", meinte Lukas und zündete sich seine Pfeife an, „wer das gedichtet hat."

Ping Pong war inzwischen mit seinem Fläschchen fertig und hatte dem Gespräch der beiden Freunde aufmerksam gelauscht. Jetzt sagte er:

„Dieses Gedicht, ehrenwerte Fremdlinge, hat der erhabene Kaiser verfaßt. Er hat befohlen, daß es auf alle Eßstäbchen in China gemalt wird, damit wir alle immerfort daran denken."

„Woran?" fragten Jim und Lukas zugleich.

„Wartet einen Augenblick!" antwortete Ping Pong.

Er trug schnell das Geschirr, das Tischchen und die Kissen in den Palast zurück. Den Lampion machte er los und behielt ihn in der Hand.

„So kommt denn, ehrenwerte Fremdlinge!" forderte er die Freunde feierlich auf und marschierte los. Doch schon nach wenigen Schritten blieb er stehen und drehte sich um.

„Ich habe eine Bitte", gestand er verschämt lächelnd. „Ich würde überaus gern einmal auf der Lokomotive fahren. Ließe sich das vielleicht einrichten?"

„Warum nicht!" erwiderte Lukas. „Du mußt uns nur sagen, wohin wir fahren sollen."

Jim nahm den kleinen Ping Pong auf den Arm, dann stiegen sie ein und dampften los.

Ein bißchen Angst schien Ping Pong doch zu haben, obgleich er tapfer und höflich lächelte.

„Das geht aber sehr schnell!" piepste er. „Die nächste Straße bitte links - ich glaube -" und dabei strich er sich sorgenvoll über sein pralles Bäuchlein - „jetzt bitte rechts - ich glaube, ich habe - jetzt gradaus - ich glaube, ich habe meine Milch etwas zu schnell getrunken - jetzt über die Brücke, bitte - das ist für Kinder in meinem Alter - immer gradeaus - Kinder in meinem Alter nicht bekömmlich - nochmal rechts bitte - gar nicht bekömmlich - oh, geht das aber schnell!"

Wenige Minuten später waren sie auf einem anderen Platz angelangt, der kreisrund war. In der Mitte stand ein riesengroßer Lampion, so groß wie eine Litfaßsäule. Er leuchtete dunkelrot. Das sah sehr merkwürdig und ein wenig unheimlich aus auf dem großen leeren Platz, der im blauen Mondlicht vor ihnen lag.

„Halt!" sagte Ping Pong gedämpft. „Wir sind da. Hier ist der Mittelpunkt von China. Und dort, wo der große Lampion steht, ist genau der Mittelpunkt der Welt. Das haben unsere weisen Männer ausgerechnet. Deshalb heißt dieser Platz einfach: Die Mitte."

Sie hielten Emma an und stiegen aus.

Als sie auf den großen Lampion zugingen, sahen sie, daß etwas darauf geschrieben war. Wieder mit chinesischen Buchstaben und untereinander.

Nachdem Lukas die Aufschrift entziffert hatte, stieß er einen überraschten Pfiff aus.

„Was steht denn da?" wollte Jim wissen.

Lukas las es ihm vor.

Der kleine Ping Pong war inzwischen immer unruhiger geworden.

„Ich habe meine Milch wirklich zu schnell getrunken", murmelte er ein paarmal sorgenvoll vor sich hin. Und plötzlich rief er: „Ach, du gütiger Himmel!"

„Was is' denn?" fragte Jim teilnahmsvoll.

„Ach, ihr ehrenwerten Fremdlinge", antwortete Ping Pong bekümmert. „Ihr wißt ja, wie das bei Wickelkindern in meinem Alter ist: all die Aufregung zu so später Stunde! Nun ist es leider passiert, und ich muß mich ganz geschwind in neue Windeln wickeln."

Sie fuhren also, so rasch es ging, zum Palast zurück, und Ping Pong verabschiedete sich eilig.

„Es ist ja auch schon allerhöchste Zeit zum Schlafen für einen Säugling wie mich", sagte er. „Also dann: bis morgen früh! Schlaft wohl, ehrenwerte Fremdlinge! Es war mir ein Vergnügen, euch kennengelernt zu haben."

Er verbeugte sich und verschwand im Schatten des Palastes. Man sah die Tür zur kaiserlichen Küche auf- und zugehen. Dann war alles still und dunkel.

Die beiden Freunde schauten dem Kleinen lächelnd nach. Und Jim meinte:

„Ich glaub', es war nicht die Milch, sondern die Fahrt auf unserer alten Emma. Was meinst du?"

„Schon möglich", brummte Lukas. „War ja auch das erstemal für ihn, und er ist wirklich noch sehr klein. Komm, Jim, legen wir uns aufs Ohr. War ein ereignisreicher Tag heute."

Sie stiegen in das Führerhäuschen und machten sich's bequem, so gut es ging. Sie waren es von der Seereise her ja gewöhnt, so zu schlafen.

„Meinst du", fragte Jim leise, während er sich in seine Decke wickelte, „wir sollten versuchen, die Prinzessin zu befreien?"

„Das meine ich", antwortete Lukas und klopfte seine Pfeife aus. „Wenn es uns gelänge, Jim, dann würde der Kaiser uns bestimmt erlauben, eine Eisenbahnlinie quer durch das Land China anzulegen. Die gute alte Emma käme dann endlich mal wieder auf ordentliche Schienen, und wir könnten hier bleiben."

Jim dachte, daß er eigentlich gar nicht so furchtbar gerne hier bleiben wollte. Natürlich war es schön in China. Aber er wollte doch lieber dahin, wo etwas weniger Leute waren, Leute, die man auseinanderhalten konnte. Lummerland wäre zum Beispiel so ein hübsches Land. Aber er sprach seine Überlegungen nicht laut aus, weil Lukas sonst vielleicht denken würde, er hätte Heimweh. Darum sagte er nur:

„Hast du denn Erfahrung mit Drachen? Ich denk' mir das gar nicht so einfach."

Lukas erwiderte fröhlich: „Ich habe noch nie einen Drachen gesehen, nicht mal im Tierpark. Aber ich denke, meine Emma wird's schon aufnehmen mit so einem Biest."