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Als er mich sah, rief er:,Ha, ein kleines Mädchen! Das ist ein prächtiger Fang!'

Er hatte eine ganz rauhe, tiefe Stimme und ich wollte schnell davonrennen, aber er packte mich an meinen Zöpfen und lachte. Dabei sah man seine Zähne, die groß und gelb waren wie bei einem Pferd. Er sagte:,Du kommst uns gerade recht, du kleine Kröte!' Ich schrie und wehrte mich, aber jetzt war natürlich niemand da, der mir helfen konnte. Der große Mann hob mich hoch und warf mich - hopp! - auf das Schiff hinauf.

Während ich durch die Luft flog, dachte ich noch: „Wenn ich doch nur nicht…' und wollte eigentlich fertig denken:,weggelaufen wäre!' Aber dazu kam ich nicht mehr, weil ich nämlich im selben Moment oben auf dem Schiffsdeck von einem anderen Mann aufgefangen wurde, der dem vorigen so ganz und gar bis aufs letzte Haar gleich sah, daß ich im ersten Augenblick meinte, es wäre derselbe. Aber das war ja nicht gut möglich. Als ich nun auf die Planken des Verdecks niedergestellt wurde und mich umschauen konnte, sah ich, daß auf dem Schiff noch eine ganze Menge Männer waren, die alle einander so zum Verwechseln ähnlich sahen wie ein Ei dem anderen. Deshalb konnte ich sie auch zu Anfang noch nicht einmal zählen, weil sie natürlich nicht stillhielten, sondern durcheinander liefen und ich mir keinen merken konnte.

Zuerst steckten mich die Seeräuber in einen Käfig. Es war so eine Art großes Vogelbauer, das an einem dicken Haken am Mastbaum aufgehängt war. Jetzt war auf einmal mein ganzer Mut von vorher verschwunden, und ich weinte so, daß meine Spielschürze ganz naß wurde, und ich bat die Männer, mich doch wieder frei zu lassen. Aber die Kerle kümmerten sich überhaupt nicht mehr um mich. Das Schiff segelte in Windeseile davon, und bald war die Küste verschwunden und weit und breit nur noch Wasser.

So verging der erste Tag. Am Abend kam einer der Burschen und steckte mir ein paar Scheiben trockenes Brot zwischen die Gitterstäbe. Auch einen kleinen Krug mit Trinkwasser schob er in meinen Käfig. Aber ich hatte keinen Hunger und rührte das Brot nicht an. Nur von dem Wasser nippte ich ein wenig, denn von der heißen Sonne und dem vielen Weinen war ich sehr durstig geworden.

Als es dunkel zu werden anfing, zündeten die Seeräuber einige Laternen an, dann rollten sie ein großes Faß in die Mitte des Verdecks und setzten sich im Kreis darum herum. Jeder hatte einen großen Humpen und füllte ihn an dem Faß, und dann fingen sie an zu trinken und mit gröhlender Stimme wüste Lieder zu singen. Eines davon habe ich sogar behalten, weil sie es immer und immer wieder sangen. Wahrscheinlich war es ihr Lieblingslied. Es ging so:

„Dreizehn Mann saßen auf einem Sarg, Ho! Ho! Ho! - und ein Faß voller Rum.
Sie soffen drei Tage, der Schnaps war stark, Ho! Ho! Ho! - und ein Faß voller Rum.
Sie liebten das Meer und den Schnaps und das Gold. Ho! Ho! Ho! - und ein Faß voller Rum.
Bis einst alle dreizehn der Teufel holt, Ho! Ho! Ho! - und ein Faß voller Rum.

Übrigens konnte ich die Männer jetzt zählen, und es waren tatsächlich dreizehn, wie sie in ihrem Lied gesungen hatten. Plötzlich verstand ich auch, warum sie eine 13 auf ihre Segel gemalt hatten."

Hier unterbrach Jim die Erzählung der kleinen Prinzessin und bemerkte: „Und ich verstehe jetzt, warum der Absender auf meinem Paket eine 13 war."

„Welcher Absender auf was für einem Paket?" fragte Li Si. „Du hast schon bei deiner Verhandlung mit dem Drachen so etwas erwähnt, und ich wollte es dich schon längst fragen."

„Wenn ihr nichts dagegen habt", mischte sich jetzt Lukas ins Gespräch, dann soll jetzt erst mal Li Si ihre Geschichte zu Ende erzählen, damit alles hübsch der Reihe nach geht. Nachher erzählt dann Jim, was ihm passiert ist. Sonst gibt's nur einen Durcheinander."

Das sahen alle ein, und Li Si fuhr in ihrer Erzählung fort:

„Wie die Seeräuber so beisammen saßen und tranken, konnte ich übrigens merken, daß sie sich sogar untereinander dauernd verwechselten und sich mal mit dem einen, mal mit dem andern Namen anredeten. Das schien sie allerdings nicht weiter zu stören. Offenbar wußte keiner von ihnen genau, wie er eigentlich hieß und ob er nun der eine war, oder der andere. Es schien ihnen auch ziemlich egal zu sein, das zu wissen, weil es ja nicht weiter wichtig war. Nur ihren Käpten konnten sie sofort erkennen, denn der hatte zum Unterschied von ihnen allen einen roten Stern am Hut stecken. Ihm gehorchten alle widerspruchslos.

Am zweiten Tag aß ich dann doch ein wenig von dem trocknen Brot, weil ich sehr hungrig war. Sonst war alles genauso wie am Tag vorher. Als es Abend geworden war und die Seeräuber wieder um das Branntweinfaß herumsaßen, hörte ich, wie der Käpten zu den anderen sagte:

,Hört zu, Brüder! Morgen um Mitternacht treffen wir uns wieder an der verabredeten Stelle mit dem Drachen. Er wird sich freuen.'

Dabei schaute er zu mir hinauf und grinste.

,Das ist gut, Käpten', hörte ich einen der anderen sagen,,da gibt's wieder neuen Schnaps. War ja auch die höchste Zeit. Das Faß da ist schon beinah leer.'

Daß diese Worte irgendwas mit mir zu tun hatten, war mir klar, wenn ich auch nicht wußte was. Wie mir zumute war, könnt ihr euch vorstellen.

In der nächsten Nacht wehte ein schneidender Wind und jagte schwarze Wolkenfetzen am Vollmond vorüber, so daß es abwechselnd hell und wieder finster wurde. Ich fror schrecklich in meinem Käfig. Gegen Mitternacht sah ich plötzlich einen Moment lang am Horizont etwas durch die Dunkelheit blinken, auf das sich unser Schiff zubewegte. Als wir näher kamen und der Mond wieder für einige Augenblicke hervorleuchtete, erkannte ich, daß es ein paar nackte, schroffe Klippen aus blankem Eisen waren, die aus dem Meer aufragten. Und auf einer dieser Klippen saß wartend ein riesiger Drache. Seine schwarzen Umrisse hoben sich deutlich gegen den sturmzerfetzten Himmel ab.

,Chchchchch!' fauchte er, als das Seeräuberschiff neben ihm anlegte, dabei schoß eine giftgrüne und eine violette Stichflamme aus je einem seiner Nasenlöcher.,Habt ihrrrrr wiederrrrr was fürrrrr michchchchch, ihrrrrr Burrrrrschen?'

,Und ob!' rief der Kapitän zu ihm hinüber.»Diesmal ist's ein besonders feines kleines Mädchen!'

,Ssssssssso?' zischte der Drache und grinste boshaft.,Und was wollt ihrrr dafürrr haben, ihrrr alten Gaunerrrrrrr?'

,Dasselbe wie immer', antwortete der Kapitän.,Ein Faß voll echtem Kummerländer Branntwein, Marke Drachengurgel. Das ist der einzige Schnaps auf der Welt, der mir und meinen Brüdern scharf genug ist. Wenn du nicht willst, fahren wir wieder ab.'

Sie handelten noch eine Weile hin und her, aber schließlich gab der Drache das Faß voll Branntwein heraus, auf dem er die ganze Zeit gesessen hatte, und dafür bekam er von den Seeräubern den Käfig mit mir drin. Nachdem sie schließlich noch ausgemacht hatten, wann sie sich das nächste Mal treffen wollten, verabschiedeten sie sich. Eine kurze Weile war durch das Pfeifen des Windes noch der Gesang der Dreizehn zu hören, dann verschwand das Schiff in der Ferne.