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Der Drache nahm jetzt meinen Käfig und hielt ihn in die Höhe, um mich eingehend und gründlich zu mustern. Endlich sagte er:,Ssssso, mein Kind. Mit Puppenspielen, Faulenzen, Spazierrrrrengehn, Ferrrrrrien und all diesem Firrrrrlefanz ist es jetzzzzzzt ein für allemal vorrrrrbei. Es wird höchchchste Zzzzzzeit, daßßßß du einmal den Errrrnst des Lebens kennenlerrrrrrnst.'

Und dann wickelte er meinen Käfig in eine dicke, vollkommen undurchsichtige Decke, so daß ich nun ganz und gar im Dunkeln saß, und von allem, was draußen vorging, nichts mehr sah und kaum etwas hörte.

Zunächst schien allerdings gar nichts zu geschehen. Ich wartete und begann mich schon zu fragen, ob der Drache mich vielleicht einfach stehen gelassen hatte. Aber wozu hatte er mich denn eingehandelt? Wie lange dieses Warten dauerte, weiß ich nicht mehr, weil ich nämlich einschlief. Es wird euch vielleicht wundern, wieso man in einer so aufregenden Situation einschlafen kann, aber ihr müßt bedenken, daß ich seit dem Augenblick, als mich die Seeräuber fingen, kaum ein Auge zugetan hatte vor Angst und auch wegen der Kälte des Windes. Unter der Decke war es warm und dunkel und - kurz, ich schlief ein.

Plötzlich schreckte ich auf. Ich hörte entsetzlichen Lärm. Es war ein Rattern und ein Zischen und ein Kreischen, ihr könnt es euch nicht vorstellen. Und dazu wurde mein Käfig hin und hergeschüttelt, und dann ging es hinauf und hinunter, daß mir im Magen so komisch wurde, als säße ich in einer Achterbahn. Das dauerte vielleicht eine halbe Stunde, dann hörte es plötzlich auf. Eine Weile blieb es ganz still, schließlich fühlte ich, wie mein Käfig niedergestellt wurde. Das Tuch wurde fortgenommen, und als ich mich umsah - ich brauche es euch ja nicht weiter zu beschreiben, denn ihr alle habt ja die Wohnung von Frau Mahlzahn kennengelernt. Das einzige, was mich tröstete, war, daß ich nicht ganz allein und verlassen in all dem Unglück war, sondern daß es noch andere Kinder gab, denen es ebenso ging.

Ja, jetzt ist eigentlich nicht mehr viel zu erzählen. Das Leben, das jetzt anfing, war schrecklich langweilig und traurig. Wir saßen jeden Tag von morgens bis abends an die Schulbänke gefesselt und mußten lesen, schreiben, rechnen und noch anderes lernen. Mir erging es eigentlich noch am glimpflichsten von allen, weil ich schon lesen, schreiben und rechnen konnte wie alle chinesischen Kinder in meinem Alter. Aber meine Klassenkameraden mußten es zum Teil erst lernen, und der Drache quälte sie ganz gemein. Wenn er übrigens keine gute Laune hatte, und das war fast immer, dann war es ganz egal, ob wir Fehler machten oder nicht, wir wurden auf jeden Fall angeschrien und verhauen.

Sobald es Nacht wurde, schloß der Drache uns von den Bänken los und trieb uns mit Püffen in den Schlafsaal hinüber. Abendessen bekamen wir eigentlich nie, weil Frau Mahlzahn jeden Tag einen anderen Grund fand, uns zur Strafe ohne Essen ins Bett zu schicken. Unterhalten durften wir uns auch nicht, nicht einmal flüsternd. Das war streng verboten. Der Drache setzte sich jeden Abend so lange zu uns, bis er sicher war, daß wir alle schliefen.

Aber eines Nachts war es mir gelungen, ihn zu täuschen. Kaum war er gegangen, stand ich auf - mein Bett stand ganz an der Außenwand - kletterte auf das Kopfende hinauf und schaute durch das Felsenloch hinaus. Ich sah sofort, daß es viel zu hoch war, um zu fliehen, aber ich entdeckte den Fluß, der unten vorbeizog. Ich überlegte, was ich tun könne, und plötzlich fiel mir eine kleine Puppenflasche ein, die ich in meiner Spielschürze gefunden und als Andenken an Zuhause aufgehoben hatte. Sofort stand mein Plan fest. Rasch und leise weckte ich die anderen Kinder und sagte ihnen, was ich vorhatte. Eines hatte einen Bleistiftstummel und ein anderes ein Fetzchen sauberes Papier. Dann schrieb ich den Brief, tat den Zettel in das Fläschchen, verschloß es mit einem Restchen Wachs, das sich auch noch fand, und dann kletterte einer der Jungen, der gut werfen konnte, auf mein Bett und warf die Flaschenpost durch das Felsenloch hinaus in den Fluß.

Von da an hofften wir, daß vielleicht irgend ein netter Mensch das Fläschchen eines Tages finden und zu meinem Vater bringen würde. So warteten wir Tag für Tag - bis ihr kamt und uns befreitet. Und jetzt sind wir hier."

So beendete die kleine Prinzessin ihre Erzählung. Nach ihr berichteten nun die anderen Kinder der Reihe nach, wie es ihnen ergangen war. Da waren zum Beispiel fünf braune Kinder mit Turbanen, die alle auf einmal überfallen worden waren, als sie mit ihren Elefanten zusammen ein abendliches Erfrischungsbad im Fluß nahmen. Der kleine Indianerjunge dagegen hatte sich beim Fischen mit seinem Kanu zu weit auf das Meer hinaus gewagt. Das Eskimokind wiederum hatte auf einem Eisberg gesessen, mit dem es unterwegs nach dem Nordpol war, um dort seine Großtante zu besuchen. Einige der Kinder waren auf Ozeandampfern gefahren, die unterwegs, mitten auf dem Meer, von den Piraten überfallen und erobert worden waren. Alles Geld und alle wertvollen Dinge, ebenso die Kinder, hatten die Seeräuber auf ihr eigenes Schiff hinüber gebracht und dann den ausgeraubten Dampfer mit Mann und Maus versenkt.

Es mußten wirklich vollkommen gewissenlose und verwegene Burschen sein, diese Dreizehn.

So verschieden die Erlebnisse der Kinder auch waren, sobald sie einmal die eisernen Klippen erreicht hatten, war es ihnen allen ganz gleich ergangen wie der kleinen Prinzessin. Wie sie von dort in die Steinwohnung des Drachen gekommen waren, konnte keines von ihnen sagen.

Zu guter Letzt erzählte Jim auf das Drängen der Kinder, besonders der kleinen Prinzessin hin, was er und Lukas alles erlebt hatten, ehe sie den Weg in die Drachenstadt fanden.

„Und eines weiß ich jetzt genau", beendete er seinen Bericht, noch ganz in Gedanken an die Schule, die er in Kummerland gesehen hatte: „Lesen und Schreiben möcht' ich überhaupt nicht lernen. Und Rechnen auch nicht. Dazu hab' ich keine Lust."

Li Si blickte ihn von der Seite an, zog die Augenbrauen hoch und sagte: „Ach, kannst du es denn noch nicht?"

„Nein", antwortete Jim. „Ich brauch's ja auch nicht."

„Aber du bist doch schon mindestens ein Jahr älter als ich!" meinte Li Si verwundert. Und dann fügte sie hinzu: „Wenn du willst, dann zeig' ich dir, wie es geht."

Jim schüttelte den Kopf.

„Ich find', das sind ganz überflüssige Sachen, die bloß lästig sind und zu nichts nützen. Das Lernen hält einen nur von wichtigeren Dingen ab. Ich bin bis jetzt ganz gut ohne Lesen und Schreiben ausgekommen."

„Da hat er ganz recht!" rief der kleine Indianer.

„Nein", sagte die kleine Prinzessin mit Nachdruck, „diese Sachen sind schon nützlich. Wenn ich zum Beispiel nicht schreiben gelernt hätte, dann hätte ich keine Flaschenpost abschicken können, und niemand hätte uns gerettet."

„Die ganze Flaschenpost hätte dir aber nichts geholfen", widersprach Jim, „wenn wir euch nicht herausgeholt hätten."

„Jawohl!" rief der kleine Indianer.

„So?" antwortete die kleine Prinzessin ein wenig schnippisch, „dir hat eben Lukas der Lokomotivführer geholfen. Aber was wäre aus euch und aus uns geworden, wenn Lukas ebensowenig hätte lesen können wie du?"

Jim wußte nicht mehr, was er antworten sollte. Er spürte, daß Li Si vielleicht nicht ganz unrecht hatte, aber gerade deshalb ärgerte er sich. Wie kam die kleine Prinzessin dazu, ihm solche weisen Lehren zu geben? Immerhin hatte er sie vor kurzem erst unter Lebensgefahr befreit. Mut und Tapferkeit waren doch wohl etwas mehr wert als Gescheitheit. Jedenfalls hatte er nun einmal keine Lust zu lernen und damit basta!