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Jim machte ein so finsteres Gesicht, daß Lukas ihm lachend auf die Schulter schlug und rief: „Jim, alter Junge, schau mal dort hin!"

Und er zeigte zum östlichen Horizont, auf den sie sich mit der Strömung des Flusses zubewegten. Dort ging eben mit unbeschreiblicher Pracht die Sonne auf, so daß alle Wellen glänzten wie pures Gold. Und kurz darauf sahen die Reisenden in der Ferne noch etwas anderes golden blinken und gleißen: Es waren die tausend Dächer von Ping.

VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

in dem Emma eine seltene Auszeichnung bekommt und die Reisenden ausgiebig und ganz verschieden frühstücken

Es dauerte nicht lang, da hatten Lukas und Jim mit Hilfe der Kinder die Lokomotive an Land gezogen. Auch der Drache kroch aufs Ufer und blieb vor Erschöpfung wie tot liegen. Es war ihm anzusehen, daß ihm vorderhand die Lust vergangen war, sich schlecht zu benehmen.

Etwa eine halbe Stunde später hatten Lukas und Jim Emma wieder landflott gemacht. Die kalfaterten Türen waren vom Pech befreit, der Kessel war wieder voll Wasser, und darunter prasselte ein lustiges Feuer.

Alle waren so eifrig bei der Arbeit, daß keiner von den Reisenden den chinesischen Landgendarm bemerkte, der auf einem hochrädrigen Fahrrad in einiger Entfernung die Landstraße entlangkam. Als er die Gruppe der Reisenden bemerkte, hielt er an und überlegte, ob es sich vielleicht um irgendwelche gefährlichen ausländischen Truppen handeln könne. Nachdem er aber festgestellt hatte, daß es fast nur Kinder waren, ließ er diese Vermutung fallen und fuhr etwas näher heran. Als er jedoch um das letzte Gebüsch herum einbog, wäre er um ein Haar auf den Schwanz des Drachen gefahren. Zu Tode erschrocken riß er sein Rad herum und jagte davon, als ob hundert Teufel hinter ihm her wären. Mit heraushängender Zunge erreichte er die Hauptstadt und meldete seinem Vorgesetzten, was er gesehen hatte.

„Mann!" rief der, „das ist die größte Glücksnachricht, die überhaupt möglich ist! Dafür wird Sie der Kaiser mindestens zum Generalgendarm ernennen, Sie Glückspilz!"

„Wiewiewieso?" stotterte der Gendarm.

„Ja, wissen Sie denn wirklich nicht, was Sie da gesehen haben?" schrie der Vorgesetzte in höchster Aufregung. „Dafür gibt es doch nur eine Erklärung: Es sind die beiden ehrenwerten Lokomotivführer mit ihrer Lokomotive. Und wenn sie tatsächlich den Drachen mitgebracht haben, dann muß auch unsere Prinzessin Li Si bei ihnen sein. Wir müssen sofort dem Kaiser Meldung machen!"

Und die beiden Gendarmen rannten zum kaiserlichen Palast. Allerdings nicht ohne die Neuigkeit unterwegs durch alle Gassen zu schreien.

Es ist einfach nicht zu beschreiben, was für eine Aufregung in der Hauptstadt auf diese Nachricht hin entstand. Wie ein Lauffeuer flog die Botschaft von Mund zu Mund, und in kürzester Zeit wußte jedermann in Ping, bis herab zum winzigsten Kindeskind, was für ein überaus freudiges Ereignis noch diesen Morgen bevorstand. Und da auch nicht einer in der ganzen Stadt war, der nicht auf irgendeine Weise mithelfen wollte, den Empfang der Heimkehrer so festlich wie möglich zu gestalten, waren in kürzester Zeit alle Straßen, durch die die Lokomotive auf ihrem Weg zum Palast kommen mußte, mit Blumen, Bändern, Fahnen, Luftschlangen und Transparenten geschmückt. Und zu beiden Seiten der Straßen stand die Menschenmenge dicht gedrängt und wartete auf den Einzug der ehrenwerten Helden.

Und schließlich kamen sie. Schon lange ehe sie zu sehen waren, hörte man viele Straßen weit die brausenden Hochrufe aus hunderttausend Kehlen. Emma mußte langsam fahren, denn der angekettete Drache war so schwach, daß er sich nur noch mühsam und Schritt für Schritt hinter ihr herschleppen konnte. Im Führerhäuschen standen Lukas und Jim und winkten aus den Fenstern nach links und rechts. Auf dem Dach saßen die Kinder, und in ihrer Mitte stand Li Si, die kleine Prinzessin.

Sie war zeitweilig kaum noch zu sehen in den Wolken von Blumen, die die Chinesen aus allen Fenstern der vielstöckigen Häuser andauernd über die Ankömmlinge ausschütteten, und die anderen, die die Straßen säumten, winkten mit Papierfähnchen und warfen ihre runden Hüte in die Luft und schrieen „Hoch!" und „Bravo!" und „Vivat!", und was man eben bei solchen Gelegenheiten in China sonst noch so schreit.

Übrigens konnte man noch den ganzen Tag lang in allen Kaufläden alles umsonst bekommen, was man nur haben wollte. Denn niemand hatte an diesem Freudentag Lust, Geld zu verdienen. Jeder wollte jedem Geschenke machen. So sind die Chinesen eben, wenn sie sehr glücklich sind.

Hinter dem Drachen - natürlich in respektvollem Abstand - bildete sich ein Zug von singenden und lachenden Chinesen, die so ausgelassen tanzten, daß ihre Zöpfe wie Propeller kreiselten. Und je näher die Lokomotive dem kaiserlichen Palast kam, desto länger wurde dieser Festzug.

Der Platz vor dem Palast war gedrängt voll von jubelnden Leuten. Und als Emma schließlich vor den neunundneunzig Silberstufen anhielt, sprangen oben die Flügel der großen Ebenholztüre auf, und der Kaiser kam mit wehendem Gewand die Treppe heruntergeeilt. Hinter ihm sah man Ping Pong, der sich an einem Zipfel des kaiserlichen Mantels festhielt, um mitzukommen.

„Li Si!" rief der Kaiser, „meine liebe, kleine Li Si!"

„Vater!" rief Li Si, sprang einfach von dem Dach der Lokomotive herunter, und der Kaiser fing sie in seinen Armen auf und drückte sie an sich und küßte sie immer wieder. Alle Chinesen auf dem Platz waren gerührt und schnauzten sich und wischten sich die Augen vor Ergriffenheit.

Inzwischen begrüßten Lukas und Jim den kleinen Ping Pong und bewunderten den winzig kleinen goldenen Schlafrock, den er jetzt anhatte. Ping Pong erklärte ihnen, daß er mittlerweile anstelle des abgesetzten Herrn Pi Pa Po zum Oberbonzen ernannt worden sei und die beiden Freunde gratulierten ihm herzlich.

Als der Kaiser schließlich mit der Begrüßung seiner Tochter fertig war, wandte er sich Lukas und Jim zu und umarmte sie beide. Er konnte vor Freude kaum sprechen. Dann schüttelte er all den anderen Kindern die Hände und sagte:

„Jetzt kommt erst einmal herein, meine Lieben, und stärkt euch mit einem guten Frühstück. Ihr seid doch gewiß sehr hungrig und müde. Jeder von euch darf sich wünschen, was er am liebsten mag."

Schon wollte er sich umdrehen, um seine Gäste in den Palast zu führen, da zupfte ihn Ping Pong am Ärmel, flüsterte ihm etwas zu und zeigte unauffällig mit dem Daumen auf Emma.

„Richtig!" rief der Kaiser bestürzt, „wie konnte ich das nur vergessen!"

Er winkte nach der Ebenholztür hinauf. Jetzt erschienen dort zwei Leibwächter. Der eine trug einen großen Stern aus purem Gold in den Händen, der so groß war wie ein Suppenteller. Der andere hielt wie eine Schleppe eine riesengroße Schleife, die an dem Stern befestigt war.

Und nun hielt der Kaiser folgende kleine Ansprache:

„Liebe Emma! Es gibt heute auf der ganzen Welt keinen glücklicheren Menschen als mich, weil ich meine kleine Tochter wiederbekommen habe. An deinem verbeulten Gesicht sehe ich, daß du für sie große Gefahren erduldet und Kämpfe ausgestanden hast. Als ein kleines Zeichen meiner großen Dankbarkeit möchte ich dir gerne diesen Orden verleihen. Ich habe ihn von meinen Hofgoldschmieden für den Fall eurer glücklichen Heimkehr anfertigen lassen. Ich weiß zwar nicht, ob Lokomotiven großen Wert auf Orden legen. Aber ich möchte gern, daß in Zukunft alle Leute sehen sollen, was für eine besondere Lokomotive du bist. Darum nimm ihn hin und trage ihn!"