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Nach dem Frühstück, das sie mit dem Kaiser und der kleinen Prinzessin gemeinsam einnahmen, gingen Jim und Lukas zum Kapitän auf die Kommandobrücke hinauf und erklärten ihm die Sache mit der schwimmenden Insel, die ihnen am zweiten Tag pünktlich um zwölf Uhr mittags bei 321 Grad 21 Minuten und i Sekunde westlicher Länge und 123 Grad 23 Minuten und 3 Sekunden nördlicher Breite begegnen sollte.

Der Kapitän, dessen Gesicht so von Wind und Wetter gegerbt war, daß die Haut aussah wie ein alter lederner Handschuh, sperrte vor Staunen Mund und Nase auf.

„Da soll mich doch gleich ein betrunkener Haifisch beißen!" brummte er. „Ich fahre jetzt schon ein halbes Jahrhundert zur See, aber eine schwimmende Insel hab' ich noch nie gesehen. Woher wißt ihr denn so genau, daß morgen mittag gerade dort eine vorbeikommt?"

Die beiden Freunde sagten es ihm. Der Kapitän kniff ein Auge zu und knurrte: „Ihr wollt mich wohl verulken?"

Aber Jim und Lukas versicherten, daß es ihr voller Ernst sei.

„Na", sagte der Kapitän schließlich und kratzte sich hinter dem Ohr, „wir werden ja sehen. Wir kommen nämlich sowieso morgen mittag genau über den Punkt, den ihr angegeben habt. Falls das Wetter so bleibt."

Die beiden Freunde stiegen wieder zum Kaiser und der kleinen Prinzessin hinunter. Dann setzten sie sich an eine windgeschützte Stelle auf das Vorderdeck und spielten zu viert Mensch-ärgere-dich-nicht. Li Si kannte das Spiel noch nicht, und Jim erklärte es ihr. Und nachdem sie es zweimal gespielt hatten, konnte sie es schon besser als die drei anderen und gewann in einem fort. Jim wäre es lieber gewesen, wenn sie sich ein wenig ungeschickt angestellt hätte. Dann hätte er ihr helfen können. Aber so war sie es, die ihm gute Ratschläge gab und die Gescheitere war. Das war ihm natürlich nicht besonders angenehm.

Als sie dann später beim Mittagessen saßen, erkundigte sich der Kaiser plötzlich:

„Sagt einmal, Jim und Li Si, wann soll denn eigentlich eure Verlobung gefeiert werden?"

Die kleine Prinzessin wurde ein wenig rot und sagte mit ihrer Vogelstimme: „Das muß Jim bestimmen."

„Ja", sagte Jim mit runden Augen, „ich weiß auch nicht. Ich richt' mich ganz nach dir, Li Si."

Aber sie schlug die Augen nieder und schüttelte den Kopf.

„Nein, du mußt es sagen."

„Also", erklärte Jim nach kurzem Nachdenken, „dann feiern wir die Verlobung, wenn wir in Lummerland sind."

Damit waren alle einverstanden. Und der Kaiser meinte: „Die Hochzeit könnt ihr dann später feiern, wenn ihr groß genug seid."

„Ja", sagte die kleine Prinzessin, „wenn Jim lesen und schreiben kann."

„Ich will aber nicht solche Sachen lernen!" rief Jim.

„Doch, bitte, Jim!" bat Li Si. „Du mußt lesen, schreiben und rechnen lernen! Tu es für mich!"

„Warum?" fragte Jim. „Du kannst es doch selbst, wozu soll ich es denn auch noch lernen?"

Die kleine Prinzessin senkte ihr Köpfchen und sagte leise und stockend: „Jim, ich kann doch nicht - es ist nämlich - es geht doch nicht - also, ich möchte eben, daß mein Bräutigam nicht nur mutiger ist als ich, er soll auch viel klüger sein, damit ich ihn bewundern kann."

„So", sagte Jim und machte ein verstocktes Gesicht.

„Also ich finde", brummte Lukas begütigend, „wir sollten uns darüber jetzt nicht streiten. Vielleicht will Jim selber eines Tages lesen und schreiben lernen, und dann wird er's auch tun. Und wenn er nicht will, ist es auch gut. Wir sollten ihm das ruhig selbst überlassen, meine ich."

Danach wurde über diese Sache nicht weiter gesprochen, aber Jim mußte doch noch ab und zu an das denken, was die kleine Prinzessin zuletzt gesagt hatte.

Es war am nächsten Tag, kurz vor zwölf Uhr mittags und die vier saßen gerade beim Essen, als plötzlich der Matrose hoch oben im Mastkorb durch die hohle Hand herunterrief:

„Laaaaaaand in Sicht!"

Alle sprangen auf und rannten nach vorne zum Bug, um Ausschau zu halten. Jim, der ein Stückchen in die Takelage hinaufgeklettert war, sah es als erster.

„Eine Insel!" schrie er aufgeregt. „Da - eine ganz kleine Insel!"

Und als sie näher kamen, sahen auch die anderen das kleine Eiland, das anmutig durch die Wellen dahintrieb.

„He!" rief Lukas zum Kapitän hinauf, „was sagen Sie jetzt?"

„Ich will mich von einem erkälteten Walroß platt walzen lassen!" antwortete der Kapitän. „Wenn ich's nicht selber sähe, würde ich's nicht glauben. Wie fangen wir das Ding denn ein?"

„Habt Ihr vielleicht zufällig ein großes Fischnetz an Bord?" fragte Lukas.

„Haben wir!" rief der Kapitän zurück. Er gab den Matrosen Befehl, die Netze auszulegen. Das geschah, während das Schiff in einem großen Kreis um das Eiland herumfuhr. Das letzte Ende ließen sie nicht ins Wasser, sondern machten es auf Deck fest. Und als sie schließlich an ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt waren, holten sie auch den Anfang des Netzes wieder ein, und nun lag das schwimmende Eiland wie in einer großen Schlinge im Schlepptau des Segelschiffes. Die Matrosen zogen es nahe heran, damit man es genau betrachten konnte.

Der Drache hatte wirklich ein Lob dafür verdient, daß er den Freunden gerade diese Insel angegeben hatte. Eine bessere gab es wohl auf der ganzen Welt nicht. Sie war zwar noch etwas kleiner als Lummerland, aber beinahe noch hübscher. Drei grüne Rasenterrassen, auf denen verschiedene Bäume standen, erhoben sich stufenweise. Unter den Bäumen waren übrigens drei durchsichtige, wie sie in China wuchsen. Darüber freute sich die kleine Prinzessin besonders. Um die Insel herum lief ein flacher Sandstrand, der ganz famos zum Baden geeignet war. Und auf der obersten Terrasse entsprang ein kleiner Bach und rauschte in mehreren Wasserfällen bis ins Meer hernieder. Natürlich gab es auch eine Menge wunderschöner Blumen und bunter Vögel, die in den Zweigen der Bäume ihre Nester gebaut hatten.

„Wie gefällt dir die Insel, Li Si?" fragte Jim.

„O Jim, sie ist einfach wundervoll!" sagte die kleine Prinzessin begeistert.

,,Is' sie nicht vielleicht ein bißchen klein?" erkundigte sich Jim. „Ich mein', im Verhältnis zu China."

„O nein!" rief die Prinzessin. „Ich finde ein kleines Land viel hübscher als ein großes. Besonders wenn es eine Insel ist."

„Dann is' ja alles in Ordnung", meinte Jim zufrieden.

„Man könnte ein paar schöne Tunnel bauen", stellte Lukas fest. „Quer durch die Terrassen durch. Was meinst du, Jim? Es soll ja deine Insel werden."

„Tunnel?" sagte Jim nachdenklich. „Das wär' famos. Aber ich hab' ja noch nicht einmal eine Lokomotive."

„Willst du denn immer noch Lokomotivführer werden?" fragte Lukas.

„Freilich", antwortete Jim ernsthaft. „Was denn sonst?"

„Hm", brummte Lukas und zwinkerte mit einem Auge. „Vielleicht habe ich schon was für dich in Aussicht."

„Eine Lokomotive?" rief Jim aufgeregt.

Aber Lukas wollte noch nichts Näheres sagen, so sehr Jim auch bat und bettelte. „Wart ab, bis wir nach Lummerland kommen", mehr war aus ihm nicht herauszubringen.

„Hast du übrigens schon einen Namen für die neue Insel, Jim?" mischte sich schließlich der Kaiser ins Gespräch. „Wie wirst du sie taufen?"

Jim überlegte eine Weile, dann schlug er vor: „Wie wär's mit Neu-Lummerland?"

Damit waren alle einverstanden, und so blieb es gleich dabei.

SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL