Выбрать главу

Er zündete seine Pfeife an und paffte eine Weile schweigend vor sich hin. Er war schon nahe daran, zuzustimmen; aber er wollte den Jungen prüfen. Darum begann er wieder:

„Denk doch mal nach, Jim! Emma soll ja gerade weg, damit du in Zukunft genügend Platz hast. Wenn du jetzt gehst, dann könnte Emma ja ruhig bleiben. Und ich auch."

„Nein", sagte Jim mit trotzigem Gesicht, „ich werd' doch meinen besten Freund nicht verlassen. Entweder wir bleiben alle drei hier, oder wir gehen alle drei weg. Hier bleiben können wir nicht. Dann gehn wir eben - alle drei."

Lukas lächelte.

„Das ist wirklich nett von dir, alter Jim", sagte er und legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. „Ich fürchte nur, das wird dem König gar nicht recht sein. So hat er sich das sicher nicht vorgestellt."

„Das is' mir gleich", erklärte Jim. „Ich fahr' jedenfalls mit dir."

Lukas überlegte wieder eine ganze Weile und hüllte sich in den Rauch seiner Pfeife. Das tat er immer, wenn er gerührt war. Er wollte nicht, daß jemand es sehen sollte, aber Jim kannte ihn.

„Gut!" kam schließlich Lukas' Stimme aus der Rauchwolke. „Ich erwarte dich also um Mitternacht hier."

„In Ordnung", antwortete Jim.

Sie gaben sich die Hand, und Jim war schon im Weggehen, als Lukas ihn noch einmal zurückrief.

„Jim Knopf", sagte Lukas, und es klang beinahe feierlich, „du bist wirklich der feinste kleine Kerl, den ich in meinem Leben gesehen habe."

Damit drehte er sich um und ging schnell davon. Jim schaute ihm gedankenvoll nach, dann lief auch er nach Hause. Lukas' Worte klangen noch in seinem Ohr, und zugleich mußte er an Frau Waas denken, die immer so gut und lieb zu ihm gewesen war.

Und ihm war ganz glücklich und elend zugleich zumut.

VIERTES KAPITEL

in welchem ein höchst sonderbares Schiff in See sticht und Lukas erkennt, daß er sich auf Jim Knopf verlassen kann

Das Abendessen war vorüber. Jim gähnte, als sei er schrecklich müde, und sagte, er wolle gleich ins Bett gehen. Darüber war Frau Waas einigermaßen erstaunt. Für gewöhnlich hatte sie nämlich ziemliche Mühe, Jim zum Schlafengehen zu überreden, aber sie dachte, er würde vielleicht langsam vernünftig. Als er schon im Bett war, kam sie noch einmal zu ihm, wie jeden Abend, deckte ihn gut zu, gab ihm einen Gute-Nacht-Kuß und verließ seine Kammer, nachdem sie das Licht gelöscht hatte. Dann ging sie in die Küche zurück, um noch eine Weile an einem neuen Pullover für den Jungen zu stricken.

Jim lag in seinem Bett und wartete. Der Mond schien zum Fenster herein. Es war sehr still. Nur das Meer rauschte friedlich an den Landesgrenzen, und ab und zu war von der Küche herüber leise das Klappern der Stricknadeln zu hören.

Jim mußte plötzlich daran denken, daß er den Pullover, an dem Frau Waas da arbeitete, niemals tragen würde, und was sie wohl täte, wenn sie das wüßte…

Und als er das überlegt hatte, wurde es ihm so furchtbar wehmütig ums Herz, daß er am liebsten geweint hätte oder in die Küche gelaufen wäre, um Frau Waas alles zu erzählen. Doch dann dachte er wieder an die Worte, die Lukas ihm zum Abschied gesagt hatte, und da wußte er, daß er schweigen mußte. Aber es war schwer, beinahe zu schwer für jemand, der erst ein halber Untertan war.

Und dazu kam noch etwas, womit Jim nicht gerechnet hatte: die Müdigkeit. Er war noch nie so lange aufgeblieben, und nun konnte er die Augen kaum offenhalten. Wenn er wenigstens hin und her gehen oder irgend etwas hätte spielen können! Aber da lag er im warmen Bett, und dauernd fielen ihm die Augen zu.

Er mußte sich immerzu vorstellen, wie wundervoll es wäre, wenn er jetzt einfach einschlafen dürfte. Er rieb sich die Augen und kniff sich in die Arme, um wach zu bleiben. Er kämpfte gegen den Schlaf. Aber plötzlich war er doch eingeschlummert.

Ihm war, als stünde er an der Landesgrenze, und weit draußen auf dem nächtlichen Meer fuhr die Lokomotive Emma. Sie rollte über die Wellen, als ob Wasser etwas Festes wäre. Und im Führerhaus, vom Feuerschein beleuchtet, sah Jim seinen Freund Lukas, der mit einem großen roten Taschentuch winkte und rief:

„Warum bist du nicht gekommen? - Leb wohl, Jim! - Leb wohl, Jim! - Leb wohl, Jim!"

Seine Stimme klang fremd und hallte durch die Nacht. Und jetzt fing es plötzlich zu blitzen und zu donnern an, und ein peitschender, eiskalter Wind wehte vom Meer her. Und im Sausen des Windes ertönte noch einmal Lukas' Stimme:

„Warum bist du nicht gekommen? - Leb wohl! - Leb wohl, Jim!"

Die Lokomotive wurde immer kleiner und kleiner. Noch ein letztes Mal war sie im grellen Schein eines Blitzes sichtbar, dann verschwand sie fern am dunklen Horizont.

Jim bemühte sich verzweifelt, über das Wasser hinterherzulaufen, aber seine Beine waren am Boden wie festgewachsen. Und von der Anstrengung, sie loszureißen, erwachte er und fuhr erschrocken in die Höhe.

Die Kammer war hell vom Mond erleuchtet. Wie spät mochte es sein? War Frau Waas schon schlafen gegangen? War Mitternacht am Ende schon vorüber und der Traum Wirklichkeit?

In diesem Augenblick schlug die Turmuhr auf dem königlichen Palast zwölfmal.

Jim fuhr aus dem Bett, schlüpfte in seine Kleider und wollte aus dem Fenster klettern - da fiel ihm der Brief ein. Den Brief an Frau Waas mußte er unbedingt noch zeichnen, sonst würde sie sich schrecklichen Kummer machen. Und das sollte sie doch nicht. Mit zitternden Händen riß Jim ein Blatt aus seinem Heft und malte folgendes darauf:

Das hieß: Ich bin mit Lukas dem Lokomotivführer auf Emma weggefahren.

Und dann zeichnete er noch schnell darunter:

Das hieß: Mach dir keinen Kummer, sondern sei unbesorgt.

Und zuletzt zeichnete er noch ganz schnell dies hier:

Das sollte heißen: Es küßt dich dein Jim.

Dann legte er das Blatt auf sein Kopfkissen und stieg schnell und leise zum Fenster hinaus.

Als er am verabredeten Ort ankam, war Emma, die Lokomotive, nicht mehr da. Auch Lukas war nirgends zu erblicken. Schnell lief Jim zur Landesgrenze hinunter. Da sah er Emma, die bereits im Wasser schwamm. Rittlings auf ihr saß Lukas der Lokomotivführer. Er hißte gerade ein Segel, dessen Mast er am Führerhäuschen befestigt hatte.

„Lukas!" rief Jim atemlos, „warte doch, Lukas! Ich bin doch da!"

Lukas drehte sich erstaunt um, und ein freudiges Lächeln glitt über sein breites Gesicht.

„Weiß Gott!" sagte er, „das ist Jim Knopf. Ich dachte schon, du wolltest lieber nicht mitkommen. Es hat schon vor einer ganzen Weile zwölf geschlagen."

„Ich weiß schon", antwortete Jim. Er watete hinüber, ergriff Lukas' Hand und schwang sich auf Emma hinauf. „Ich hatte nämlich den Brief vergessen, verstehst du? Darum mußte ich nochmal zurück."

„Und ich fürchtete schon, du hättest verschlafen", sagte Lukas und stieß dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife.

„Ich hab' überhaupt nicht geschlafen!" beteuerte Jim. Das war ja zwar gelogen, aber er wollte vor seinem Freund nicht gern unzuverlässig erscheinen.

„Wärst du wirklich einfach ohne mich abgefahren?"

„Na ja", meinte Lukas, „eine Weile hätte ich natürlich schon noch gewartet, aber dann… Ich konnte ja nicht wissen, ob du dir's inzwischen nicht anders überlegt hast. Wäre ja möglich gewesen, nicht wahr?"