Man war übereingekommen, daß in vier Wochen die Verlobung der Prinzessin Li Si mit Jim Knopf gefeiert werden sollte. Und während der ganzen Zeit nähte und arbeitete Frau Waas abends an einer Überraschung für die beiden Kinder. Schneidern war ja ihre besondere Leidenschaft.
Der Kaiser und Li Si wohnten während dieser vier Wochen mit dem König zusammen in dem Schloß zwischen den beiden Gipfeln. Das war natürlich etwas eng, aber sie schränkten sich gerne ein, denn auf Lummerland war es einfach gar zu schön. Nicht einmal das Schlößchen aus himmelblauem Porzellan, das die kleine Prinzessin in den großen Ferien zu bewohnen pflegte, konnte sich mit dieser Insel vergleichen.
Eines Tages war es so weit, die vier Wochen waren um. Der Tag der Verlobung war gekommen. Als erstes bekamen die beiden Kinder die Überraschungen, die Frau Waas für sie vorbereitet hatte.
Für Jim hatte sie einen himmelblauen Lokomotivführeranzug geschneidert, genauso einen wie Lukas hatte, bloß kleiner. Und natürlich war auch eine richtige Schirmmütze dabei. Für die kleine Prinzessin hatte sie ein wunderschönes kleines Brautkleid genäht, mit einem Schleier und einer langen seidenen Schleppe. Natürlich zogen die beiden ihre neuen Sachen sofort an.
Dann schenkte Li Si Jim zur Verlobung eine Tabakspfeife, so eine wie Lukas hatte, bloß viel neuer und auch nicht so groß. Und Jim schenkte Li Si ein kleines, zierliches Rubbelbrett zum Wäschewaschen. Die kleine Prinzessin freute sich riesig, denn so etwas hatte sie natürlich bisher nie in die Hand nehmen dürfen, wegen ihres hohen Standes, obwohl sie wie alle Chinesen für das Wäschewaschen begeistert war.
Und schließlich gaben sie sich einen Kuß, und König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte erklärte im Namen der Vereinigten Staaten von Lummerland und Neu-Lummerland, daß sie nun verlobt seien. Die Untertanen warfen ihre Hüte in die Luft, und auch der Kaiser von China schrie mit allen zusammen aus Leibeskräften: „Das Brautpaar, es lebe hoch! hoch! hoch!"
Und die Matrosen auf dem kaiserlichen Staatsschiff entzündeten einen großen Böller, den sie eigens mitgebracht hatten, und schossen Salut und winkten und schrien Vivat, während Jim und Li Si sich bei den Händen nahmen und feierlich auf den beiden Inseln herumzogen.
Das Fest ging den ganzen Tag fort. Nachmittags rief Ping Pong an, um dem Verlobungspaar zu gratulieren. Alle waren vergnügt und ausgelassen. Nur Lukas schien noch auf irgend etwas zu warten.
Als es Abend geworden war und die Dunkelheit hereinbrach, wurden auf Lummerland und Neu-Lummerland Hunderte von Lampions aufgehängt. Und dann ging der Mond auf, und da das Meer an diesem Abend ganz still und glatt war, spiegelten sich all die bunten Lichter im Wasser. Ein unvergleichlicher Anblick, wie sich denken läßt.
Frau Waas hatte sich für diesen Anlaß ganz besondere Mühe gegeben und nicht nur Vanilleeis und Erdbeereis, sondern auch Schokoladeneis gemacht. Und jeder mußte zugeben, daß es das beste Eis war, das er je gegessen hatte. Sogar der Kapitän, der doch weit auf der Welt herumgekommen war. Und das wollte schon etwas heißen.
Jim war gerade ein wenig an den Strand gegangen, um von hier aus in aller Ruhe die Lichterpracht zu betrachten. Er stand ganz versunken in den märchenhaften Anblick, da fühlte er plötzlich eine Hand, die sich auf seine Schulter legte. Er drehte sich um. Es war Lukas, der ihm mit dem Finger winkte.
„Komm mal mit, Jim", raunte er geheimnisvoll.
„Was is'?' fragte Jim.
„Du wolltest doch immer eine Lokomotive haben, alter Junge. Den passenden Anzug hast du ja schon", antwortete Lukas schmunzelnd.
Jims Herz begann zu klopfen.
„Eine Lokomotive?" fragte er, und seine Augen wurden größer und größer. „Eine richtige Lokomotive?"
Lukas legte den Finger an die Lippen und zwinkerte Jim verheißungsvoll zu. Dann nahm er ihn an der Hand und führte ihn zu der kleinen Bahnstation, wo Emma stand und schnaufte.
„Hörst du was?" fragte er.
Jim lauschte. Er hörte nur das Schnaufen von Emma. Aber da - täuschte er sich nicht? Da war doch noch ein anderes, ganz leises kurzes Zischen zu hören. Und jetzt klang etwas wie ein leiser, hoher, kleiner Pfiff.
Jim blickte Lukas mit großen, fragenden Augen an. Lukas nickte lächelnd, führte ihn zu Emmas Kohlentender und ließ ihn hineinblicken.
Da saß eine ganz kleine Lokomotive und schaute Jim mit großen, dummen Babyaugen an. Sie schnaufte emsig vor sich hin und stieß winzigkleine Rauchwölkchen aus. Es schien übrigens eine sehr gute kleine Babylokomotive zu sein, denn sie versuchte schon sehr tapfer, sich auf ihren Räderchen zu halten und zu Jim hinzurollen, wobei sie allerdings immer wieder umfiel. Aber das beeinträchtigte ihre gute Laune durchaus nicht.
Jim streichelte die Kleine.
„Ist das Emmas Kind?" fragte er leise.
Er war tief gerührt.
„Ja", sagte Lukas, „ich wußte schon seit einer ganzen Weile, daß sie eines kriegen würde. Aber ich habe dir nichts davon gesagt, um dich zu überraschen."
„Soll ich sie bekommen?" fragte Jim ganz atemlos vor Glück.
„Wer denn sonst?" antwortete Lukas und paffte. „Mußt sie eben gut pflegen. Sie wird bald größer werden. In ein paar Jahren ist sie so groß wie Emma. - Wie soll sie denn heißen?"
Jim nahm sie auf den Arm und streichelte sie. Nach einigem Nachdenken sagte er:
„Wie fändest du Molly?"
„Das ist ein guter Lokomotivenname", antwortete Lukas nickend. „Aber leg sie jetzt wieder zurück. Vorläufig muß sie noch bei Emma bleiben."
Jim setzte Molly wieder in den Tender und ging mit Lukas zu den anderen zurück und erzählte ihnen, was er bekommen hatte, und natürlich wollten alle die kleine Lokomotive sehen. Jim führte sie hin und zeigte sie ihnen, und sie wurde allerseits gebührend bewundert. Die kleine Molly merkte davon allerdings nichts, denn sie war inzwischen friedlich eingeschlafen und nuckelte vor sich hin.
Ein paar Tage später fuhren der Kaiser und die kleine Prinzessin nach China zurück, denn Li Si sollte natürlich vorerst noch bei ihrem Vater bleiben. Auch wollte die kleine Prinzessin gern wieder in eine Schule gehen - in eine richtige, natürliche, nicht in eine drachenhafte. Und so etwas gab es ja auf Lummerland nicht. Aber die beiden Kinder konnten sich so oft besuchen wie sie Lust hatten, denn das Staatsschiff segelte von nun an oft zwischen Lummerland und China hin und her. Außerdem durften sie natürlich auch das Telefon benützen, wenn König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte es nicht gerade brauchte. Er brauchte es allerdings die meiste Zeit, weil er ja nun diplomatische Beziehungen zum Kaiser von China hatte.
Auf Lummerland kehrte das alte friedliche Leben wieder ein. Herr Ärmel ging mit seinem steifen Hut auf dem Kopf und dem Regenschirm unter dem Arm spazieren. Er war hauptsächlich Untertan und wurde regiert. Er war eben nur so da. Genau wie früher.
Lukas fuhr mit Emma über das kurvenreiche Gleis von einem Ende der Insel zum anderen. Und manchmal pfiffen sie zweistimmig, was sich sehr hübsch anhörte, besonders in den Tunnels, weil es da hallte.
Jim war natürlich meistens mit der Pflege seiner kleinen Molly beschäftigt und hatte kaum noch Zeit, Herrn Ärmel zu ärgern oder von einem der Gipfel herunterzurutschen. Er wurde eben langsam erwachsener.
An schönen Abenden aber sah man Jim und Lukas immer nebeneinander an der Landesgrenze sitzen. Die untergehende Sonne spiegelte sich im endlosen Ozean und baute mit ihrem Licht eine goldene, funkelnde Straße vom Horizont bis vor die Füße cler beiden Lokomotivführer. Und ihre Blicke folgten dieser Straße, die in weite Fernen führte, in unbekannte Länder und Erdteile, niemand konnte sagen, wohin. Und dann sagte vielleicht der eine von ihnen: