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»Mensch, bin ich froh, wenn wir hier wieder 'raus sind!« sagte Fred. Seine Stimme war nur ein Flüstern, und Joe und Charlie stimmten ihm mit einem grimmigen Kopfnicken zu. Ihnen war nicht nach großen Reden zumute, und sie liefen so schnell, wie das Gedränge es ihnen erlaubte. Wie Reisende in einem gefährlichen, feindseligen Dschungel fühlten sie sich.

Und Gefahr und Feindseligkeit lagen in der Tat im Schlund auf der Lauer. Die Einwohner schienen die Anwesenheit der Fremden vom Berge übel aufzunehmen. Dreckige kleine Bengel riefen ihnen Schimpfwörter nach. Scheinbar mutig knurrten sie die drei an, waren jedoch ständig auf dem Sprung, um beim leisesten Zeichen eines Angriffes auszukneifen. Andere Gören hängten sich in einem lärmenden Aufzug den Jungen an die Fersen und wurden mit wachsender Zahl immer frecher.

»Einfach nicht um sie kümmern«, flüsterte Joe warnend. »Achtet nicht auf sie. Weitergehen. Wir sind bald 'raus.« »Nee, wir sind mittendrin«, sagte Fred mit unterdrückter Stimme. »Guck dir die da an!«

An der Ecke, der sie sich näherten, standen vier oder fünf Jungen ihres Alters. Das Licht einer Straßenlaterne fiel auf sie, besonders auf einen mit brandrotem Haar. Das konnte kein anderer als »Rotkohl« Simpson sein, der gefürchtete Anführer einer gefürchteten Bande. Schon zweimal hatte er seine Horde auf den Berg geführt und den Jungen der Bergbewohner Furcht und Schrecken eingejagt, so daß sie

in wilder Flucht in die Häuser türmten, während ihre Väter und Mütter eiligst nach der Polizei telefonierten. Beim Anblick der Gruppe an der Ecke schmolz der lärmende Haufen, der den drei Jungen an den Fersen hing, augenblicklich in nicht weniger sichtbarer Angst hinweg. Dadurch wuchs die Furcht der drei noch mehr, obwohl sie tapfer ihren Weg fortsetzten.

Der rothaarige Junge trennte sich von der Gruppe und vertrat den Freunden den Weg. Sie versuchten, um ihn herumzugehen, aber mit ausgestrecktem Arm hielt er sie an.

»Was wollt ihr hier?« knurrte er. »Warum bleibt ihr nicht, wo ihr hingehört?«

»Wir gehen ja schon nach Hause«, antwortete Fred zaghaft. Rotkohl sah Joe an: »Was hast du da unterm Arm?« fragte er. Joe hielt an sich und achtete gar nicht auf ihn. »Kommt!« sagte er zu Fred und Charlie. Gleichzeitig wollte er sich an dem Bandenführer vorbeidrängeln.

Aber mit einem raschen Schlag traf Rotkohl Simpson ihn im Gesicht, und mit einem ebenso schnellen Griff riß er ihm das Bündel mit den Drachen unter dem Arm weg.

Joe stieß einen wütenden Schrei aus, und alle Vorsicht in den Wind schlagend, stürzte er sich auf den Angreifer. Das war ganz offensichtlich eine Überraschung für den Bandenführer. Nichts hatte er weniger erwartet, als in seinem eigenen Reich angegriffen zu werden. Er wich zurück, hielt jedoch die Drachen umklammert. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er lieber kämpfen oder seine Beute behalten sollte.

Der zweite Wunsch siegte. Rotkohl drehte sich um und floh geschwind die enge Seitenstraße hinunter in ein Labyrinth von Gassen und Gäßchen. Joe wußte, daß er sich in die Wildnis eines feindlichen Landes wagte. Aber man hatte ihm sein Eigentum entwendet und seinen Stolz getroffen, und daher nahm er unverzüglich die Verfolgung auf. Fred und Charlie rannten, hinter Joe her, wenn er auch immer größeren Vorsprung gewann, und hinter ihnen folgten die drei anderen Mitglieder der Bande. Sie stießen Pfiffe aus, die offensichtlich den Rest der Bande zusammenrufen sollten. Im Laufe der Jagd wurden diese Pfiffe aus vielen verschiedenen Richtungen beantwortet, und bald hängte sich ein gutes Dutzend dunkler Gestalten an Fred und Charlie, die ihrerseits mit angespannten Muskeln den schnellerfüßigen Joe im Auge zu behalten versuchten. Rotkohl Simpson schoß auf ein unbebautes Grundstück zu. Er suchte nach einem »Schlupf«, wie sorgfältig vorbereitete Fluchtwege genannt wurden, die durch Zäune führten und über Schuppen und Häuser und um dunkle Löcher und finstere Ecken herum, wo der unkundige Verfolger sich sehr vorsehen mußte und mit sehr viel Wahrscheinlichkeit bald die Spur verlor.

Aber Joe holte Rotkohl ein, bevor der seine Absicht verwirklichen konnte, und mit fest verklammerten Armen rollten sie im Dreck. Als Fred und Charlie und die Bande auftauchten, waren sie schon wieder auf den Beinen und standen sich gegenüber.

»Na, was willst du?« fuhr der rothaarige Bandenführer ihn drohend an. »Was willst du? Raus mit der Sprache!« »Ich will meine Drachen wiederhaben!« antwortete Joe. Es blitzte in Rotkohl Simpsons Augen bei dieser Auskunft. Drachen konnte er selber sehr gut gebrauchen. »Dann müssen wir uns schlagen!« verkündete er.

»Warum soll ich mich um meine Drachen schlagen?« fragte Joe entrüstet. »Sie gehören mir!«

Damit verriet er, daß er keine Ahnung hatte, welche Vorstellung sich die Leute im Schlund von Eigentum und Besitzerrechten machten.

Die Bande brach in ein schrilles Hohngeschrei aus. Wie ein Rudel Wölfe drängten sie sich um ihren Anführer. »Warum soll ich mich um sie schlagen?« wiederholte Joe. »Weil ich es dir sage!« antwortete Simpson. »Und was ich dir sage, wird gemacht. Verstanden?« Joe verstand überhaupt nichts. Er weigerte sich zu verstehen, daß Rotkohl Simpsons Wort Gesetz war in San Franzisko oder in irgendeinem Teil von San Franzisko. Man hatte sein Gefühl für Anständigkeit und gerechtes Handeln verletzt. Das weckte seinen Kampfgeist. »Du gibst mir auf der Stelle die Drachen wieder!« drohte er und streckte die Hand nach ihnen aus. Aber Simpson riß das Bündel zurück. »Weißt du, wer ich bin?« fragte er. »Ich bin Rotkohl Simpson, und ich rate dir, nicht in dem Ton mit mir zu reden!« »Laß ihn lieber in Ruhe!« flüsterte Charlie Joe ins Ohr. »Es sind doch nur ein paar Drachen! Komm, wir machen, daß wir hier 'rauskommen!«

»Es sind meine Drachen!« sagte Joe langsam und verbissen. »Es sind meine Drachen, und ich will sie wiederhaben!« »Du kannst nicht gegen die ganze Bande an«, wandte Fred ein. »Wenn du ihn verprügelst, fallen die alle über dich her!« Die Bande beobachtete die geflüsterte Unterredung aufmerksam. Sie glaubte, Joe zögere. Wieder heulte sie los wie die Wölfe. »Angst hat er! Angst hat er!« höhnten und spotteten die Kerle. »Er ist viel zu fein. Sein schönes sauberes Hemd könnte dreckig werden, und dann schimpft Mama!« »Schnauze halten!« fuhr ihr Führer sie herrisch an. Gehorsam ließen sie von dem Lärm ab.

»Gibst du mir jetzt meine Drachen?« fragte Joe und rückte entschlossen gegen Simpson vor.

»Willst du dich um sie schlagen?« fragte Simpson zurück. »Ja!« erwiderte Joe.

»Los - hauen! Los - hauen!« begann die ganze Bande wieder zu brüllen.

»Und ich werde dafür sorgen, daß es fair zugeht«, sagte da eine tiefe männliche Stimme.

Alle Augen richteten sich sofort auf den Mann, der unbemerkt näher gekommen war. Im hellen Schein des elektrischen Lichtes, das von der Straßenecke her auf sie fiel, erkannten sie einen wuchtigen, muskulösen Mann in der Kleidung eines Arbeiters. Seine Füße staken in schweren, derben Schuhen, ein schmaler schwarzer Lederriemen hielt seinen Overall in der Hüfte zusammen, und auf dem Kopf trug er eine speckige schwarze Mütze. Sein Gesicht war von Kohlenstaub geschwärzt, und das offene grobe Hemd gab einen stämmigen Hals und einen gewaltigen Brustkasten frei.