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»Der Vater will mich nicht verstehen«, sprach der junge Mann, mit Tränen in den Augen, »darum will ich zu euch sprechen. Euch, lieben Schwestern, will ich redlich erzählen, wie die Umstände sich verhalten, und ich glaube nicht, daß ihr mich verdammen werdet.« Die Mädchen setzten sich traurig nieder, der Alte stützte seine gefurchte Stirne auf die Hand und horchte aufmerksam zu. Gustav erzählte, anfangs errötend und dann oft von Wehmut unterbrochen, wie er Lea kennengelernt habe, wie gut und kindlich sie gewesen sei, wie gerne sie mit ihm gesprochen habe, weil sie sonst niemand hatte, mit dem sie sprechen konnte. Er wiederholte dann das Gespräch mit dem jüdischen Minister und dessen arglistige Anträge; er versicherte, daß er nie dem Gedanken an eine Verbindung mit Lea Raum gegeben habe, und daß er diesen Abend dem Minister es selbst gesagt haben würde, wäre nicht der Vater so plötzlich dazwischengekommen.

»Du hast sehr gefehlt, Gustav«, sagte Hedwig, seine ältere Schwester, ein ruhiges und vernünftiges Mädchen. »Da du nie, auch nur entfernt, an eine Verbindung mit diesem Mädchen denken konntest, so war es deine Pflicht als redlicher Mann, dich gar nicht mit ihr einzulassen. Auch darin hast du sehr gefehlt, daß du nicht gleich damals schon deinem Vater alles anvertraut hast; aber so hast du jetzt deine ganze Familie unglücklich und zum Gespött der Leute gemacht; denn meinst du, der Süß werde nicht halten, was er gedroht? ach! er wird sich an Papa, an dir, an uns allen rächen.«

»Geh, bitte den Vater um Verzeihung!« sprach das schöne Käthchen weinend. »Du mußt ihm nicht noch Vorwürfe machen, Hedwig, er ist unglücklich genug. Komm, Gustav«, fuhr sie fort, indem sie seine Hand ergriff und ihn zu dem Vater führte, »bitte, daß er dir vergibt; ja, wir werden recht unglücklich werden, der böse Mann wird uns verderben, wie er das Land verdorben hat, aber dann lasset doch wenigstens Frieden unter uns sein. Wenn wir uns nur noch haben, so haben wir viel, wenn er uns alles übrige nimmt.«

Der Alte blickte seinen Sohn lange, doch nicht unwillig an. »Du hast gehandelt wie ein eitler junger Mensen, und die Aufmerksamkeit, die dir diese Jüdin schenkte, hat dich verblendet. Du hast, ich fühle es für dich, vielleicht schon seit geraumer Zeit, gewiß aber diesen Abend dafür gebüßt. Katharina hat recht; ich will dir nicht länger grollen; wir müssen uns jetzt gegen einen furchtbaren Feind waffnen. Glaubst du, daß er Wort halten wird mit den vierzehn Tagen Frist, die er dir nachrief?«

»Ich glaube und hoffe es«, antwortete der junge Mann. »Um jene Zeit muß sich mehr entscheiden als nur das Schicksal unseres Hauses«, fuhr der Alte fort; »Römchingen und Süß - oder wir; wer verliert, bezahlt die Zeche. Jetzt gelobe mir aber, Gustav, die Jüdin nie mehr, weder im Garten noch sonstwo aufzusuchen, und unter dieser Bedingung will ich deine Torheit verzeihen.«

Gustav versprach es mit bebenden Lippen und verließ dann das Zimmer, um seine Bewegung zu verbergen. Noch lange und mit unendlicher Wehmut dachte er dort über das unglückliche Geschöpf nach, dessen Herz ihm gehörte und das er nicht lieben durfte. Er teilte zwar alle strengen religiösen Ansichten seiner Zeit, aber er schauderte über dem Fluch, der einen heimatlosen Menschenstamm bis ins tausendste Glied verfolgte und jeden mit ins Verderben zu ziehen schien, der sich auch den Edelsten unter ihnen auf die natürlichste Weise näherte. Er fand zwar keine Entschuldigung für sich selbst und seine verbotene Neigung zu einem Mädchen, das nicht auch seinen Glauben teilte, aber er gewann einigen Trost, indem er sein eigenes Schicksal einer höheren Fügung unterordnete.

Sein Vater und die Schwestern unterhielten sich noch lange über ihn und diese Vorfälle, und die Erinnerung an so manche schöne Tugend des jungen Mannes versöhnte nach und nach den Alten, so daß er selbst das Geheimhalten jener Vorschläge des Ministers einigermaßen entschuldigte. Als aber spät abends die beiden Schwestern allein waren, sagte Käthchen: »Wahr ist es doch, Gustav hat zwar gefehlt, aber an seiner Stelle hätte jeder andere auch gefehlt. Ich habe sie einmal am Fenster und einmal im Garten gesehen; so schön und anmutig sah ich in meinem ganzen Leben nichts; was sind alle Gesichter in Stuttgart, was ist selbst die schöne Marie, von der man so viel Wunder macht, gegen dieses herrliche Gesicht! nein, Hedwig, ich hätte mich ganz in sie verlieben können.«

»Wie magst du nur so töricht schwatzen!« erwiderte Hedwig unwillig; »mag sie sein wie sie will, sie ist und bleibt doch nur eine Jüdin.«

11

Nicht die unglückliche Liebe ihres Bruders allein war es, was in den folgenden Tagen die schönen Töchter des Landschaftskonsulenten Lanbek ängstigte; nein, es war das sonderbare und drückende Verhältnis, das zwischen Vater und Sohn zu herrschen schien, was die vier schönen blauen Augen im stillen so manche Träne kostete. Man konnte nicht sagen, daß sie sich finster angeblickt, mürrisch gefragt oder kalt geantwortet hätten; aber dennoch sah man ihnen beiden an, daß Gram und Sorgen sie beschäftigten, und die Mädchen wurden immer wieder in ihren Vermutungen über den Grund dieses Grämens irregeleitet, wenn sie zuweilen den alten Mann und seinen Sohn in einer Fensternische beisammenstehen und zutraulicher, aber auch ernster als je zusammen flüstern sahen. Endlich wurden sie sogar für drei Abende in der Woche förmlich aus dem großen Familienzimmer, das winters allen zum Aufenthalt diente, verwiesen, und, was ihres Wissens nie geschehen war, Papas kleines Bibliothekzimmer wurde ihnen für solche Abende besonders geheizt, und ihnen die Erlaubnis gegeben, sich an den trefflichen Juristen und Philosophen zu amüsieren.

Freilich bedachten bei solchem Exil weder Vater noch Sohn, daß man von der Bibliothek im obern Stock in das Studierzimmer, von diesem in das Gastzimmer und von dem Gastzimmer in die sogenannte Rumpelkammer kommen könne, von welcher eine viereckige Öffnung, mit einem kleinen Deckel versehen, in das Wohnzimmer hinabging, um Luft oder Wärme in dieses Gemach zu leiten; sie bedachten auch nicht, daß weibliche Neugierde wohl noch stärkere Schranken durchbrochen haben würde, als diese, die zwischen jener Kammer und der Bibliothek lagen. Einige Abende hatte übrigens doch ein noch mächtigeres Gefühl als Neugierde die Mädchen in der Bibliothek zurückgehalten, nämlich Furcht. Hedwig behauptete, schon öfters oben in jener Kammer Fußtritte und ein schreckliches Stöhnen gehört zu haben, und dem schönen Käthchen graute dort hinzugehen, weil jenes Gemach nur eine dünne Wand aus Holz und Backsteinen von den Zimmern des gefürchteten Juden Süß trennte.

Eines Abends jedoch, als man die Mädchen schon längst weggeschickt hatte, sah Käthchen, die sich bis auf die Mitte der Treppe hinabgeschlichen hatte, drei Männer bei ihrem Vater eintreten, die ihre Neugierde aufs Höchste trieben. Der erste, der sich langsam und schnaubend die untere Treppe heraufschob und auf der Hausflur einige Minuten stehenblieb, um Atem zu sammeln, war niemand Geringeres als der lutherische Prälat Klinger. Seine schneeweiße Perücke, seine Prälatenkette, die gerade auf dem Magen ruhte, und seine alten, verwitterten Züge flößten dem Mädchen ungemeine Ehrfurcht ein; ihm folgte hastigen Schrittes der Obrist und Stallmeister von Röder, ein Mann, den man für sehr klug und tapfer, aber zugleich auch in seinen Sitten für sehr unheilig hielt, und über den dritten hätte sie beinahe laut aufgelacht, es war der fröhliche Kapitän Reelzingen, der so drollige Geschichten und Schnurren zu erzählen wußte, und sie schon auf manchem Ball beinahe zum Lachen gebracht hatte. Heute hatte er sein Gesicht in ganz ehrbare Falten gelegt und sah gerade aus wie damals, als er ihr auf parole d'honneur schwur, daß er sie vraiment liebe. Sie sah ihm lächelnd nach, bis sein ungeheurer Degen in der Türe verschwunden war, und eilte dann in das Bibliothekzimmer, wo sie die blonde Hedwig traf, welche die Augen fest zugeschlossen hatte, um nicht über ein Gespenst zu erschrecken, wenn etwa zufällig eines in der Bibliothek auf und ab wandelte. »Heute müssen wir hinuntergucken!« erklärte Käthchen, »und komm nur jetzt gleich mit; denke dir, die Leute kommen hier zusammen wie beim Karneval. Hast du je sonst den Prälaten Klinger und den Kapitän Reelzingen in einem Zimmer gesehen, und dazu den Obrist Röder und -« setzte sie hinzu, als die Schwester zauderte - »ich müßte mich sehr irren, wenn ich nicht, als die Türe einmal aufging, auch Blankenberg gesehen hätte.«