»Ei«, erwiderte Hedwig errötend, »Blankenberg hat ihn eigentlich doch auch gerettet.«
13
Die beiden jungen Männer ritten schweigend durch die finstere Nacht hin. Kein Stern war am Himmel, und der Wind heulte um die Berge. »Hu! siehst du dort?« flüsterte Reelzingen, als sie an dem eisernen Galgen vorbeiritten, den einst (1597) Herzog Friedrich dem Alchimisten Honauer aus dem Metall errichten ließ, das er in Gold zu verwandeln versprochen hatte; »schau, diese ungeheure Menge Raben, es ist, als witterten sie eine neue Beute.«
Sein Freund blickte schweigend hinauf, schlug aber plötzlich wieder die Augen nieder, denn ihm war, als sehe er Leas feine, liebliche Gestalt klagend unter dem Galgen sitzen. »Fest genug ist diese Schandsäule aus Eisen«, Müder Kapitän fort, »um alle Schurken im Lande zu tragen; aber wollte man das Gold mit aufhängen, das sie eingesackt haben, würde selbst dieser Galgen, wie ein morscher Stab, zusammenbrechen! Wie diese Raben schaurige Melodien singen! Doch wie? - Dieu nous garde, Camarade! Gib deinem Roß die Sporen, wahrhaftig, dort sitzt ein Gespenst am Galgen!«
Es war, als ob die Pferde selbst diesen Ort des Schreckens fürchteten, denn auf diesen Ruf jagten sie mit Sturmeseile den Berg hinan und waren nicht mehr ruhig, bis man das Gekreisch der Raben nicht mehr hörte.
Es liegt eine kleine Brücke zwischen Stuttgart und Ludwigsburg, von welcher das Volk viel Schauerliches zu erzählen weiß; so viel ist gewiß, daß schon Unerklärliches dort vorgefallen ist, und daß mancher Mann sein Gebet spricht, wenn er nachts allein über diese Stelle reitet. Die Sage sagt, daß der Sohn des Konsulenten und sein Freund, der muntere Kapitän, glücklich und in kurzer Zeit bis an jene Brücke gekommen seien; dort aber seien ihre Pferde nicht mehr von der Stelle gegangen und haben geschnaubt und gezittert. Die jungen Leute spornten und gebrauchten ihre Peitschen, als eine alte zitternde Stimme rief: »Gebt einem alten Mann doch ein Almosen!«
»Wer wird bei Nacht und Nebel den Beutel ziehen? Zurück Alter, von der Brücke weg, unsere Pferde scheuen vor Euch, zurück, sag ich, oder Ihr sollt meine Peitsche fühlen!«
»Nicht so raschjunges Blut! nicht so rasch!« sagte der Alte, dessen dunkle Gestalt sie jetzt auf dem Brückengeländer sitzen sahen; »Eile mit Weile! kommet noch früh genug, gebt einem alten Mann ein Almosen!«
»Jetzt ist meine Geduld zu Ende«, rief der Kapitän und schwang seine Peitsche in der Luft. »Ich zähle drei, wenn du nicht weg bist, hau ich zu.«
Der Alte hüstelte und kicherte; Gustav kam es vor, als wachse seine dunkle Gestalt ins Unendliche und - ein langer Arm streckte einen großen Hut heran und zum dritten Mal, aber drohend und mit furchtbarer Stimme, krächzte der Mann von der Brücke: »Einem alten Mann gib ein Almosen! es wird dir Glück bringen, und reite nicht so schnell; vor zwölf Uhr darfst du nicht dort sein.«
Reelzingen ließ kraftlos und zitternd seinen Arm sinken; er gestand nachher, daß ihn eine kalte Hand angefaßt habe. Gustav aber zog mit pochendem Herzen die Börse und warf ein Silberstück in den großen Hut. »Wieviel Uhr ist's, Alter?« fragte er.
»Weiß keine Stund als zwölf Uhr«, sprach die Gestalt, die wieder auf dem Geländer zusammenkauerte, mit dumpfer Stimme. »Dank dir, sollst Glück haben; reit zu!« Er sagte es und stürzte rücklings mit einem dumpfen Fall in den Sumpf, über den die Brücke führte. Entsetzt gab Reelzingen seinem Pferde die Sporen, daß es sich hoch aufbäumte und dann in zwei Sprüngen über die Brücke setzte. Gustav aber hielt erschrocken sein Pferd an, stieg ab und blickte über das Geländer der Brücke. Es rührte sich nichts. »Alter!« rief er hinab, »hast du Schaden genommen? Kann ich dir helfen?« - Keine Antwort, und alles war still unten wie im Grabe.
Jetzt faßte auch den jungen Lanbek eine unerklärliche Angst; er fühlte, als er aufstieg, wie sein Pferd zitterte; er wagte es nicht, sich noch einmal nach dem grauenvollen Ort umzusehen, als er seinem Freund nachjagte.
»Das ist jetzt das zweite Mal, daß er mir begegnet ist«, flüsterte Reelzingen tief aufatmend, als Lanbek wieder an seiner Seite war.
»Wer?« fragte dieser betroffen.
»Der Teufel«, antwortete der Kapitän.
Lanbek gab ihm keine Antwort auf die sonderbare Rede, und sie jagten weiter durch die Nacht hin. In Zuffenhausen schlug es Viertel vor zwölf Uhr, als sie durchritten; in den meisten Häusern brannten noch die Kerzen, und da und dort hörte man geistliche Lieder aus den Stuben. Der Nachtwächter stieß eben ins Horn und rief die Stunde; der Kapitän hielt an und fragte ihn, was diese späten Gesänge und Gebete zu bedeuten haben.
»Ach Herr! das ist eine arge Nacht«, antwortete dieser; »es hat ein Mann an vielen Häusern gepocht und befohlen, die Leute sollen die ganze Nacht bis zwölf Uhr beten.«
»Wer ist der Mann?« fragte Lanbek staunend.
»Alte Leute, Herr, die ihn gesehen haben, versichern, es sei unser alter Pfarrer gewesen; Gott hab ihn selig, er ist seit zwanzig Jahren tot; aber es war ja nichts Unchristliches was er verlangte, drum beten und singen sie in den Lichtkarzstuben und spinnen dazu.«
»Diese Nacht kann mich noch wahnsinnig machen«, rief der Kapitän, indem sie wegritten. »Gustav, ich glaube heute nacht geht er leibhaftig auf der Erde um; ich denke, es wäre jetzt gerade die beste Zeit, den alten Burschen zu zitieren, wenn man etwa schnell Obrist werden oder zweimal hunderttausend spanische Quadrupel haben möchte.«
»Tor!« antwortete der Freund; »der, den du meinst, hat mit dem Gebet nichts gemein.«
Es war, als ob ihre Pferde nur zum Schein die Beine aufhöben, denn jede Viertelstunde, die sie zurücklegten, schien zu einer neuen anzuwachsen. Noch immer wollte Ludwigsburg nicht erscheinen, und die Nacht war so finster, daß sie auch an der Gegend nicht erkennen konnten, ob sie fehlgeritten oder ob sie der Stadt schon nahe seien. Endlich, nachdem sie etwa wieder eine halbe Stunde geritten sein mochten, sahen sie in der Entfernung von etwa tausend Schritten Lichter schimmern, fanden aber auch zugleich ihren Weg durch vier Pferde versperrt, die, an einen Reisewagen gespannt, quer über die Landstraße standen.
»Führ deine Pferde hinweg, Fuhrmann!« rief der Kapitän, »oder meine Peitsche wird sie bald weggetrieben haben; warum versperrst du den Weg?«
»Gemach, ihr Herrn, soll gleich geschehen«, antwortete ein Mann, der von dem Wagen stieg. Aber die Zeit die er dazu brauchte, die herabgefallenen Zügel aufzunehmen und zu ordnen, dauerte dem raschen Soldaten zu lange, er versuchte über die schlaff liegenden Stränge des vordersten Gespanns wegzusetzen und forderte seinen Freund auf, ein Gleiches zu tun; doch wie es in solchen Fällen blinder Eile zu geschehen pflegt, in demselben Augenblick zog der Mann am Wagen die Zügel an, und das Pferd des Kapitäns blieb mit einem Fuß in den straff aufgerichteten Strängen hängen.
Lanbek sprang ab, um dem Freund zu helfen, der Kutscher lief bedauernd herzu, und eben war der Fuß des unbezahlten Rosses frei, als man einige Reiter in aller Eile von der Stadt herbeijagen hörte. Der erste mochte einen Vorsprung von fünfhundert Schritten, aber kein gutes Pferd haben, denn der Kapitän unterschied deutlich, daß es kurzen Paradegalopp ging; die Tritte der nachfolgenden Pferde schlugen zwar minder kräftig auf, waren aber flüchtiger. »Platz - allons! - Platz!« rief der erste Reiter; aber in demselben Augenblick hörten auch die beiden jungen Männer eine bekannte Stimme, die mit dem wildesten Ausdruck rief: »Halt, Jude! oder ich schieß dich mitten durch den Leib.«
Unter dem Volke in Württemberg hört man zuweilen noch einen Reim, der diesen merkwürdigen Moment bezeichnet; er heißt:
Und der alte Obrist war es auch, der in diesem Augenblick seinen Begleitern weit voran, eine Pistole in der Hand, ansprengte, den ersten Reiter wütend am Arm packte und schrie: »Wohinaus, Jude? Warum so schnell zu Roß, als ich dir nachrief zu warten?«