»Mäßigt Euch, Herr Obrist«, erwiderte der erste mit stolzem Ton, in welchem aber doch einige Angst durchzitterte; »ich gehe nach Stuttgart, der Frau Herzogin Durchlaucht zu sagen, was in diesem Augenblick für Maßregeln -«
»Das ist auch mein Weg, Herr!« erwiderte der Obrist mit furchtbarer Stimme; »und keinen Augenblick geht Ihr von meiner Seite, sonst werde ich mit meiner Pistole Beschlag auf Euch legen. Platz da, wer steht hier im Weg?«
»Der Kapitän von Reelzingen von der ersten Kompanie und der Expeditionsrat Lanbek.«
»Guten Abend, meine Herrn!« fuhr Röder fort. »Habt Ihr geladene Pistolen, Kapitän?«
»Ja, mein Herr Obrist«, war die Antwort des Soldaten, indem er sie aus den Halftern losmachte.
»Ich kommandiere Euch, in welchem Auftrag Ihr jetzt auch sein möget, auf der linken Seite des Herrn Ministers Süß zu reiten. Bei Eurem Dienst und Eurer Ehre als Edelmann, sobald er Miene macht zu entfliehen, jagt ihm eine Kugel nach. Die Verantwortung nehme ich auf mich.«
»Herr Expeditionsrat«, rief Süß, »ich nehme Euch zum Zeugen, daß mir hier schändliche Gewalt geschieht. Obrist Röder, ich warne Sie noch einmal; dieser Auftritt soll gerochen werden!«
»Aber Herr von Röder«, flüsterte Gustav; »ums Himmels willen, übereilen Sie nichts, bedenken Sie, was daraus entstehen kann. Bedenken Sie«, setzte er lauter hinzu, »den furchtbaren Zorn des Herzogs.«
»Der Herzog ist tot«, sagte Röder laut genug, daß es alle hören kennten.
»Karl Alexander tot?« rief der Kapitän, auf den alle Begebenheiten dieser Nacht mit einemmal in schrecklichen Erinnerungen hereinstürzten.
»Hat man sichere Nachricht? Gott! welch ein Fall!« sagte Gustav besorgt. »War er in Kehl?«
»Er ist in Ludwigsburg vor einer Viertelstunde schnell und plötzlich gestorben. Drum ist es unsre Pflicht, diesen Herrn da, der sich mit der Regierung sehr stark beschäftigte, schnell an das verwaiste Staatsruder zu bringen.«
»Wie, in Ludwigsburg sagt Ihr«, rief Lanbek, »und schnell gestorben? Oh, ewige Vorsicht!«
»In diesem Ludwigsburg hier«, sagte Röder wehmütig, »und im Bette am Schlag gestorben. Friede mit seiner Asche! er war ein tapferer Herr. Aber jetzt weiter, ihr Freunde, daß die Nachricht nicht vor uns nach Stuttgart kömmt!«
»Meine Herrn«, rief Süß mit einer Stimme, die Zorn und Angst beinahe erstickte, »noch bin ich Minister, und erinnere Sie an das Edikt des Herzogs, das mich von aller Verantwortung freispricht; ich sage Ihnen, es kann Ihnen allen schlimm gehen, wenn Sie sich mit Herrn von Röder verbinden. Im Namen des Herzogs und seines Erben befehle ich Ihnen, von mir abzulassen.«
»Jetzt hat dein Reich ein Ende, Jude«, rief der Kapitän, lachte wild, riß ihm den Zaum aus der Hand und schlug sein Pferd mit der langen Peitsche auf den Rücken; der Obrist ritt an der rechten Seite, seine Pistole in der Hand; der Zug setzte sich in Galopp, und Gustav folgte halb träumend durch das singende Dorf, an dem alten Mann, der heiser lachend wieder auf der Brücke saß, und an dem Galgen vorüber, wo die Raben krächzten und mit den Flügeln schlugen. Erst hier, als er einen scheuen Blick nach der Richtstätte warf, fiel ihm mit ängstlicher Ahnung Lea und ihr unglückliches Schicksal bei.
14
Als die Stuttgarter am Morgen nach dieser verhängnisvollen Nacht erwachten, wurden sie von zwei beinahe ganz unglaublichen Nachrichten überrascht. Der Herzog sei, statt außer Landes verreist zu sein, in dieser Nacht zu Ludwigsburg schnell gestorben. Er war ein gesunder, kräftiger Mann gewesen, dem mancher, der ihn gesehen, wohl noch zwanzig - dreißig Jahre gegeben hätte. Die Klagen um seinen Tod verstummten beinahe vor der Freude über eine andere Nachricht; der Jude Süß sei mit mehreren der höchsten Hofherren im Ludwigsburger Schloß gewesen, als der Herzog so plötzlich starb; er habe sich alsobald, nachdem er die Leiche gesehen, aufs Pferd geschwungen und sei halb wahnsinnig Stuttgart zugeritten; Herr von Röder aber, ein Mann, mit dem sich nicht spaßen lasse, habe ihn eingeholt und bewacht nach Stuttgart geführt. Man lachte über die sonderbare Täuschung des Juden, als er nämlich von der Frau Herzogin, welcher er noch in der Nacht aufgewartet hatte, um zu kondolieren, heraustrat und eine Eskorte nach Haus verlangte, weil er wichtige Akten holen müsse, schloß sich ein Lieutenant mit sechs Mann an ihn an. Am Ende des Korridors machte ihm ein Hauptmann das Kompliment und folgte mit zwölf Mann; jener meinte zwar lächelnd, »es sei zu viel Ehre«, als er aber an Lanbeks Haus um die Ecke bog, und vier Schildwachen vor seinem Palais bemerkte, als er oben an der Treppe Bajonette blitzen sah und Lea bleich, verstört und weinend ihm entgegenstürzte, da merkte er, welche Stunde geschlagen habe, und rief: »Ciel, je suis perdu!«
Obgleich das Testament des verstorbenen Herzogs im Fall seines Todes eine Administration bestellt hatte, welche seinen Ministern angenehmer gewesen wäre, so übernahm doch Herzog Rudolph von Neustadt, trotz seines hohen Alters, als der nächste Agnat, die Administration, und das Land fühlte sich erleichtert und zufrieden dabei. Er ließ, außer anerkannt schlechten Menschen, jeden in der Würde, in der er unter der vorigen Regierung stand, und es war dies wirklich eine Art von Gnadenakt, wenn man bedenkt, daß früher zwei Dritteile aller Ämter im Lande gekauft worden waren. Nur einer war nicht zufrieden mit dem Amt, das ihm der Herzog Administrator mit den huldreichsten Ausdrücken bestätigt hatte; es war der junge Lanbek. Er wurde nicht nur als Expeditionsrat aufs neue ernannt, sondern, als der alte Röder, im Feuer der Freundschaft für den Landschaftskonsulenten, dessen Sohn als einen klugen Kopf und trefflichen Juristen schilderte, wählte ihn der Herzog sogar in die Kommission, die den Prozeß gegen den Juden Süß zu führen hatte. Der alte Lanbek fühlte sich dadurch nicht wenig geehrt und nannte seinen Sohn mehrere Male den Stolz und die Stütze seines Alters; aber Gustav machte diese Wahl unaussprechlich unglücklich. Nicht als ob er nicht, wie jeder andere Bürger, den Mann verdammt hätte, der das Land in so tiefes Elend gestürzt; nicht als ob es gegen sein Gewissen gewesen wäre, Verbrechen ans Licht zu ziehen, die man so künstlich verborgen hatte; aber Lea - es war ja ihr Bruder, den er richten sollte, und dieser Gedanke war es, der ihm dieses Geschäft zum Abscheu machte. Kleine Seelen sättigen sich gerne an Rache, und manchem wäre es eine innige Freude gewesen, einen Mann, der noch vor kurzem so hoch stand, jetzt in der tiefsten Kasematte der Festung zu besuchen, mit herrischer Stimme ihn von seinem Lager aufzujagen und ihn zu martern und zu peinigen. Dieser Mann hatte sich noch überdies gegen Gustav persönlich verfehlt, er hatte ihn mit dem empörendsten Übermut behandelt, ihm sogar mit demselben Gefängnis gedroht, in welchem er jetzt selbst bange, um künftige Freiheit, vielleicht selbst um sein Leben, schmachtete. Aber das Herz des jungen Mannes war zu groß, als daß es hätte freudig pochen sollen, als er zum ersten Mal als Richter in den Kerker des Mannes trat, der jetzt entblößt von aller irdischen Herrlichkeit, angetan mit zerlumpten Kleidern, bleich, verwildert sich langsam aus seinen rasselnden Ketten aufrichtete. Erinnerte ihn doch jetzt noch dieses Gesicht an die Züge eines unglücklichen, geliebten Wesens, und er konnte sich kaum der Tränen enthalten, als nach dem Schlüsse des Verhörs der Gefangene sprach: »Herr Lanbek, es gibt ein unglückliches, unschuldiges Mädchen, das wir beide kennen; als man in meinem Hause versiegelte, haben sie die rohen Menschen auf die Straße gestoßen - sie war ja eine Jüdin und verdiente also kein Mitleid. - Mir, Herr, ist kein Pfenning geblieben, womit ich ihr Leben fristen könnte; ich weiß nicht, wo sie ist -wenn Sie etwas von ihr hören sollten - sie hat nichts als das Kleid, das sie trug, als man sie von der Schwelle stieß - geben Sie ihr aus Barmherzigkeit ein Almosen.«
Der junge Mann ließ seinen Tränen freien Lauf, als er allein den Berg von Höhen-Neuffen herabstieg; er erfuhr zwar nachher, daß ihn der Jude belogen habe, daß er, obgleich man über 500000 Gulden in Gold und Juwelen in seinem Hause fand, doch beinahe 100000 in Frankfurt in sichern Händen habe, und Gustav konnte leicht einsehen, daß ihn Süß durch diese Vorstellungen von Elend nur habe weich stimmen wollen; aber dennoch konnte er den Gedanken nicht entfernen, daß Lea verlassen und unglücklich sei, und dieser Gedanke wurde immer peinlicher, als er trotz seiner Nachforschungen keine Spur von ihr entdecken konnte.