Gustav hatte den Gewaltigen noch nie so in der Nähe beobachtet, wie jetzt, da er, festgehalten durch die Menge, die wie eine Mauer um ihn stand, zum unwillkürlichen Beobachter wurde. Er gestand sich, daß das Gesicht dieses Mannes von Natur schön und edel geformt sei, daß sogar seine Stirne, sein Auge durch Gewohnheit zu herrschen etwas Imponierendes bekommen haben; aber feindliche, abstoßende Falten lagen zwischen den Augbraunen da, wo sich die freie Stirne an die schön geformte Nase anschließen wollte, das Bärtchen auf der Oberlippe konnte einen hämischen Zug um den Mund nicht verbergen; und wahrhaft greulich schien dem jungen Mann ein heiseres, gezwungenes Lachen, womit der jüdische Minister Gewinn oder Verlust begleitete.
Während die Herren, von der Menge umlagert, spielten, und auf irgend etwas zu warten schienen, trat ein Mann in der Kleidung eines Bauern aus der Steinlach aus den Reihen der Neugierigen; ein alter Hut auf dem Kopf, eine grobe blaue Jacke, eine rote Weste mit großen Knöpfen von Zinn, Beinkleider von gelbem Leder und schwarze Strümpfe machten sein unscheinbares Kostüm aus; aber er trug eine sehr feine, gutgemalte Larve. Er stützte sich nach Art der Landleute mit der Hand auf den fünf Fuß hohen Knotenstock, legte sein Kinn auf die Hand und sprach in gut nachgeahmtem Dialekt des Steinlachtals:
»Viel Geld habt Ihr da liegen, Herr! und habt alles selbst verdient?«
Der Minister sah sich um, und bemühte sich über diese Maskenfreiheit zu lächeln. Vielleicht mochte ihm diese Gelegenheit erwünscht kommen, um sich ein populäres Ansehen zu geben, denn er antwortete sehr freundlich: »Guten Abend, Landsmann.«
»Euer Landsmann bin ich gerade nicht«, erwiderte der Bauer mit großer Ruhe; »so wie ich tragen sich gewöhnlich die Mausche nicht.« Ein unterdrücktes Lachen flog durch die Reihen der Zuschauer. Der Minister schien es aber nicht zu bemerken, denn er fuhr ganz leutselig fort:
»Du bist witzig, mein Freund.«
»Gott bewahr mich, daß ich Euer Freund sei, Herr Süß«, entgegnete der Bauer. »War ich Euer Freund, so ging ich wohl nicht in dem schlechten Rock und durchlöcherten Hut; Ihr macht ja Eure Freunde reich.«
»Nun, dann muß ganz Württemberg mein Freund sein, denn ich mache es reich«, sagte Süß, und begleitete seine Rede mit heiserem, unangenehmem Lachen.
»Ihr seid ein Allerweltsgoldmacher«, entgegnete der Bauer. »Wie schön diese Dukaten sind! wieviel Schweißtropfen armer Leute gehen wohl auf ein solches Goldstück?«
»Du bist ein kapitaler Kerl!« rief Süß, ganz ruhig weiterspielend.
Als der Bauer zu einer neuen Rede ansetzen wollte, zog eine neue Gestalt die Aufmerksamkeit auf sich. Es war ein Mann, dessen Kostüm beinahe ebenso war wie des Bauers, nur hatte er einen langen, spitzen Bart am Kinn und trug einen Tressenrock. Der Bauer sah ihn eine Zeitlang verwundert an, schüttelte ihm dann die Hand und rief: »Ei Hans! wo kommst du her, und so schmuck und stattlich! gar nicht mehr wie unsereiner!«
»Das macht«, erwiderte Hans, indem er aus einer silbernen Dose schnupfte, »ich bin bei einem fürnehmen Herrn in Dienst getreten.«
»Wer ist denn dein Herr?« fragte der Bauer.
»Ein Schinder, aber ein fürnehmer. Meinst du, er schindet gemeines Vieh, Pferde, Hunde und dergleichen? Nein, ein Leuteschinder ist er, und noch überdies ein Kartenfabrikant.«
»Ein Kartenfabrikant?« rief der Bauer.
»Jawohl, denn alle Karten im Lande muß man von ihm kaufen, er stempelt sie; er ist aber auch ein Gerber.« »Wie das?«
»Nun, alle Gerber im Lande müssen die Häute gegerbt von ihm kaufen; er ist aber auch ein Prägestock.« »Wie! ein Prägestock?« »Ja, er macht alles Geld, was im Lande ist.«
»Das ist erlogen«, sagte der Bauer, »du willst sagen, er macht alles zu Geld, was im Land ist; aber darum ist er noch kein Prägestock. Es gibt nur einen Prägestock in Württemberg, der dem Land seinen Namenszug aufgedrückt hat.«
Die Menge hatte bisher nur ihren Beifall gemurmelt, aber bei der letzten Anspielung auf die Münze brach sie in lautes Gelächter aus; die Stirne des Gewaltigen verfinsterte sich etwas, aber noch immer spielte er ruhig weiter.
»Aber warum hast du dir den Bart so spitzig wachsen lassen?« fragte der Bauer weiter, »das sieht ja ganz jüdisch aus.«
»Es ist halt so Mode«, erwiderte Hans, »seit die Juden Meister im Lande sind; bald will ich vollends ganz jüdisch werden.«
Als Hans diese letzten Worte sprach, rief eine vernehmliche Stimme aus dem dicksten Haufen: »Warte noch ein paar Wochen, Hans, dann kannst du gut katholisch werden!«
Wem je der schreckliche Anblick wurde, wie in einer volkreichen Straße, durch Unvorsichtigkeit oder Bedacht entzündet, eine Tonne Pulvers aufspringt, dem bot sich kaum eine so seltsame Szene dar, als die, welche diese wenigen geheimnisvollen Worte hervorbrachten. Der Minister, bleich wie eine Leiche,springt vom Sessel auf, er wirft die Karten mit wütendem Blick auf den Tisch: »Wer sagt dies? greift ihn im Namen des Herzogs!« ruft er und stürzt, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, auf die Menge; seine Genossen, nicht weniger bestürzt aber besonnener, ergreifen seinen Arm und ziehen ihn zurück, suchen ihn zu beschwichtigen - sein dunkles Auge will sich durch die Menge bohren, um den Gegenstand seiner Wut zu fassen, die Masken murmeln unwillig und drängen sich; doch als der gefürchtete Mann seine Hand nach dem Bauer ausstreckt und ruft: »So sollst du mir für ihn haften«, da ist er plötzlich von einer drohenden Menge umringt; »Maskenfreiheit, Jude!« hört man in dumpfen, gefährlichen Tönen, der Bauer und sein Geselle sind in einem Augenblicke von ihm getrennt, verschwunden, und so schnell als er vorhin umringt war, ist er wieder verlassen, denn die Menge zerstiebt, von geheimer Furcht gejagt, nach allen Seiten.
Das Gedränge riß Gustav Lanbek mit sich hinweg; seine Gedanken verwirrten sich, es war ihm noch nicht möglich sich klar vorzustellen, was diesen seltsamen Auftritt verursacht haben könnte. So stand er einige Augenblicke in seinen Gedanken verloren, als er plötzlich seine Hand von einer andern ergriffen fühlte; er sah sich um, die Orientalin stand vor ihm.
4
»Wo stammt die Rose her auf deinem Hut, Maske?« fragte die Orientalin mit zitternder Stimme.
»Vom See Tiberias«, war die Antwort des Sarazenen.
»Schnell! folgen Sie mir!« rief die Dame und schlüpfte durchs Gedränge. Er folgte, mit Mühe sich durch die Massen schiebend, und nur ihr Turban zeigte ihm hin und wieder den Weg; sein Herz pochte lauter, sein Ohr trug noch die letzten Laute dieser süßen Stimme und sein Auge sah keinen andern Gegenstand mehr als sie. In einer dunkleren Ecke des zweiten Saales hielt sie an und wandte sich um.
»Gustav, ich beschwöre Sie, was ist mit meinem Bruder vorgefallen? die Menschen flüstern allenthalben seinen Namen; ich weiß nicht, was sie sagen, aber ich denke es ist nichts Gutes; hat er Streit gehabt? Ach, ich weiß wohl, diese Menschen hassen unser Volk.«
Der junge Mann war in peinlicher Verlegenheit. Sollte er mit einem Mal den arglosen Wahn dieses liebenswürdigen Geschöpfs zerstören? sollte er ihr sagen, daß auf ihrem Bruder der Fluch der Württemberger ruhe, daß sie für alle Menschen beten und nur ihn aus dem Gebet ausschließen, daß es zur Sitte geworden sei, zu bitten: »Herr erlöse uns von allem Übel und von dem Juden Süß?« »Lea«, antwortete er sehr befangen, »Ihr Bruder wurde von einigen Masken im Spiel gestört und hatte einen Wortwechsel der vielleicht gerade an diesem Ort auffiel, ängstigen Sie sich nicht.«
»Was bin ich doch für ein törichtes Mädchen!« sagte sie, »ich habe so schwere Träume, und dann bin ich den Tag über so traurig und niedergeschlagen. Und so reizbar bin ich, daß mich alles erschreckt, daß ich immer gleich an meinen Bruder denke und glaube, es könnte ihm Unglück zugestoßen sein.«