»Wer pflegt es so zu machen?« fragte Lanbek erblassend.
»Wer?« erwiderte jener leise flüsternd, »dein Schwager in spe, der Jude.«
»Wie?« fuhr jener errötend fort, »du glaubst er selbst? Ich hoffte bisher, es sei vielleicht eine Verwechslung vorgefallen; du hast wohl von dem Auftritte gehört, der, bald nachdem ich euch verlassen hatte, mit dem Juden vorfiel, man rief etwas von katholisch werden, und da fuhr der Finanzdirektor auf-«
»Was sagst du?« unterbrach ihn der Kapitän mit ernster Miene, indem er näher zu dem Freund trat und seine Hand faßte. »Das war es also? uns hat man es anders erzählt; wie ging es zu? was hat man gerufen?«
Den Aktuarius befremdete der Ernst, den er auf den Zügen des sonst so fröhlichen und sorglosen Freundes las, nicht wenig; er erzählte den Vorfall, wie er ihn mit angesehen hatte, und sah, wie sich die Neugierde des Freundes mehr und mehr steigerte, wie seine Blicke feuriger wurden; als er aber beschrieb, wie Süß nach jenem geheimnisvollen Ausruf wütend geworden und aufgesprungen sei, da fühlte er die Hand des Kapitäns auf sonderbare Weise in der seinigen zucken. »Was bewegt dich so sehr?« fragte Gustav befremdet; »wie nimmst du nur an solchen Karnevalsscherzen, die am Ende auf irgendeine Torheit hinauslaufen, solchen Anteil? Wenn ich nicht wüßte, daß du evangelisch bist, ich glaubte, mein Bericht habe dich beleidigt.«
»Herr Bruder!« erwiderte der Kapitän, indem er seinen Ernst hinter einem gleichgültigen Lächeln zu verbergen suchte, »du kennst mich ja, mich interessiert alles auf der Welt und ich bin erstaunlich neugierig; überdies ist manches ernster als man glaubt, und im Scherz liegt oft Bedeutung.«
»Wie verstehst du das?« sagte der Aktuarius verwundert; »was macht dich so nachdenklich? Hast du wieder Schulden? kann ich dir vielleicht mit etwas dienen?«
»Bruderherz«, entgegnete der Soldat, »du mußt in den letzten Wochen gewaltig verliebt gewesen sein, sonst wäre deinem klaren Blick manches nicht entgangen, was selbst an meinem leichten Sinn nicht vorüberschlüpfte. Sag einmal, was spricht der Papa von diesen Zeiten? Sprichst du den Obrist von Röder nie bei ihm? Waren nicht am Freitag abend die Prälaten in eurem Hause?«
»Du sprichst in Rätseln, Kapitän!« antwortete der junge Mann staunend. »Was soll mein Vater mit einem Obrist von der Leibschwadron und mit Prälaten?«
»Freund, mach es kurz!« sagte Reelzingen; »halte mich in solchen Dingen nicht für leichtsinnig; ich will mich nicht in euer Vertrauen eindrängen, aber ich kann dir sagen, daß ich dennoch schon ziemlich viel weiß, und - parole d'honneur!« setzte er hinzu, »ich denke darüber, wie es einem Edelmann und meinem Portepee geziemt.«
»Was geht mich dein alter Adelsbrief und dein neues Portepee an?« erwiderte unmutig der Aktuar; »und wie kömmst du dazu, dich mit diesen Dingen gegen mich breitzumachen? Ich sage dir, daß ich von allem, was du da so geheimnisvoll schwatzt, keine Silbe verstehe, und kann dir mein Wort darauf geben, und damit genug, Herr von Reelzingen!«
»O mon Dieu!« rief jener lächelnd, »Herr Bruder, wir sind nicht mehr in Leipzig, dies Zimmer ist nicht der göttliche Ratskeller, sondern eine Wachstube; wir sind keine Musen mehr, sondern du bist herzoglicher Aktuar und ich - Soldat, aber Freunde sind wir noch in Not und Tod, und darum sei vernünftig und brause nicht mehr auf wie vorhin. Ich glaube dir ja aufs Wort, daß du nichts weißt, aber gut wäre es von deinem Vater gewesen, wenn er dich präveniert hätte, deine Amour mit der Jüdin ist überdies jetzt ganz und gar nicht an der Zeit, wir alle bitten dich, laß deine Charmante, mit der du doch niemals eine vernünftige und ehrenvolle Liaison treffen kannst -«
»Was wißt ihr denn von diesem Verhältnis?« unterbrach ihn der junge Mann düster und erbittert, »ich dächte, ehe ich euch hierüber um Rat gefragt, könntet ihr billigerweise mit eurer Mahnung warten.«
Der feurige junge Soldat, um seinem Freunde zu nützen, wollte eben in derselben Sprache etwas erwidern, als man an der Türe pochte. Der Kapitän schloß auf, und einer seiner Sergeanten winkte ihm herauszutreten. Gustav hörte sie einige Worte wechseln, und sah den Freund bald darauf mit verstörter Miene wieder zurückkehren: »Du bekömmst einen sonderbaren Besuch«, flüsterte er ihm zu, »er wird gleich selbst eintreten und ich darf nicht zugegen sein.«
»Wer doch? mein Vater?« fragte Gustav bestürzt. »Er kömmt«, sagte der Kapitän, indem er eilends Hut und Degen vom Tische nahm, » der Jud Süß! «
6
Vor der Türe des Offizierszimmers hatten seine Diener dem Minister den spanischen Mantel abgenommen, und er trat jetzt ein, stattlich geschmückt und vornehm gekleidet, wie es einem Günstling des Glücks und eines Herzogs in damaliger Zeit zukam. Er trug einen roten Rock mit goldenen Trotteln und Quasten besetzt, die goldgestickten Aufschläge seines Rocks gingen bis zum Ellbogen zurück und die Weste von Goldbrokat reichte herab bis an das Knie. Ein kurzer breiter Degen mit reich besetztem Griff hing an seiner Seite, ein mächtiger Stock unterstützte seine Hand, und auf den reichen hellbraunen Locken, die bis tief in den Nacken herabfielen, saß ein Hütchen von feinem schwarzem Wachstuch, mit Gold und weißen Federn verbrämt. Die Züge dieses merkwürdigen Mannes waren, in der Nähe betrachtet, zwar etwas zu kühn geschnitten, um schön und anmutig zu heißen, aber sie waren edler als sein Gewerbe und ungewöhnlich; sein dunkelbraunes Auge, das frei und stolz um sich blickte, konnte sogar für schön gelten; die ganze Erscheinung imponierte und sie hätte sogar etwas Würdiges und Erhabenes gehabt, wäre es nicht ein hämischer, feindlicher Zug um die stolz aufgeworfenen Lippen gewesen, was diesen Eindruck störte und manchen, der ihm begegnete, mit unheimlichem Grauen füllte.
Der Kapitän stand fest und aufgerichtet an der Türe, den Hut in der einen, den Degengriff in der andern Hand, als der Minister Süß eintrat. Dieser nahm sein Hütchen ab, musterte, auf seinen Stock gestützt, den Soldaten mit scharfem Blick, und sagte dann kurz und mit leiser Stimme: »Wie ist der Name?«
»Hans von Reelzingen, Kapitän im zweiten Grenadierbataillon, dritte Kompanie.«
»Man hat studiert?« fuhr der Jude etwas artiger fort. »Die Jurisprudenz in Leipzig«, antwortete der Kapitän mit militärischer Kürze.
»Wie lange dient der Herr Kapitän?« »Ein Jahr und zwei Monate; zuerst bei -«
»Schon gut«, unterbrach ihn der Minister mit einer gnädigen Bewegung der Hand; »können abtreten.«
Der Kapitän Reelzingen verbarg seinen Verdruß über das stolze Wesen des Emporkömmlings unter einer tiefen Verbeugung und trat ab. Dem Aktuarius aber, obgleich er keine Menschenfurcht kannte, pochte das Herz, als er nun mit dem Manne allein war, vor dem ein ganzes Land mit abergläubischer Furcht zitterte. Er errötete unwillkürlich, als jener ihn lange und prüfend ansah, und ihm Gelegenheit gab, auch seine Züge zu mustern und hin und wieder etwas zu finden, das ihn an die schöne Lea erinnerte. Der Minister setzte sich endlich in den Armstuhl, den die Offiziere der Garnison zur Bequemlichkeit dieses Zimmers gestiftet hatten, und winkte dem Sarazenen herablassend, sich auf einer Bank, die unfern stand, niederzulassen.
»Junger Mann«, sprach er, »wenn Euch Eure eigene Ruhe und Wohlfahrt lieb ist, so antwortet mir auf das, was ich Euch fragen werde, offen und ehrlich; denn Ihr könnet leichtlich denken, daß es mir nicht schwer werden kann, Euch jeder Lüge, die Ihr waget, zu überweisen.«
»Ich bin Herzoglich Württembergischer Aktuar«, erwiderte der junge Mann, »und der Eid den ich als Christ und Bürger -«
»Laissez cela«, fiel ihm der Jude ins Wort, »Ihr wäret nicht der erste, der seinen Eid gebrochen. Wer waren gestern, frag ich, die beiden Masken, die sich an meinem Tisch zur Belustigung des Publikums unterhielten? Ihr wißt es, Ihr standet zunächst bei mir.«