Das Gewehrfeuer nahm zu. Ich starrte über das flache, weite Dunkel des deutschen Heerlagers, wo sich das Mündungsfeuer der Gewehre wie das Spiel der Blitze innerhalb einer Gewitterwolke ausnahm — ein immer dichteres, sich immer weiter ausdehnendes Knattern von Gewehrfeuer.
Die Röhrenmannschaft ließ ihr zermürbendes Jaulen und Heulen zu einem heillosen Crescendo anschwellen. Ich glaube, das Theater hat die Mitteleuropäer ganz schön eingeschüchtert — um ehrlich zu sein, es fing an, sogar mich einzuschüchtern. Diese deutschen Gewehre zielten zwar auf die Drachen, zeigten aber grob in unsere Richtung, so dass es ringsherum Kugeln zu regnen begann, was nicht ganz ungefährlich war. Bald hagelte es nur so gegen die Schutzwälle aus Steinen und gefrorenem Erdreich.
Am Himmel nördlich von uns zuckten und tanzten die grün leuchtenden Ziele, während sie wieder und wieder getroffen wurden.
Ich malte mir aus, was sich auf dem Schlachtfeld abspielte. Ich rief mir in Erinnerung, dass die Deutschen den Brief abgefangen hatten (den Julian dem Gefreiten Langers anvertraut hatte) und jetzt keinen Theaterdonner erlebten, sondern das, was (nach Julians Worten, die ich in die Maschine getippt hatte) eine TEUFLISCHE ERFINDUNG war, tückisch in ihrer SCHLEICHENDEN WIRKUNG. Die erst durchlöcherten und schließlich von Kugelsalven zerfetzten Fellsäcke entluden ihren höchst unerfreulichen Inhalt in die schwarze Nacht, der die entsetzten Infanteristen wie ein jäher, scheußlicher Niederschlag überkam.
Ein Adjutant trat Julian in den Weg und meldete: »Licht am östlichen Horizont, Sir.«
»Drachen einholen!«, befahl Julian.
Selbst dieses vage Licht einer Sonne, die noch weit unter dem Horizont war, genügte, um das Schlachtfeld sichtbar zu machen. Ein paar schwarze Drachen — das massive Gewehrfeuer hatte sie zerfetzt oder von ihrer Leine gekappt — waren wie riesige, verwundete Fledermäuse zwischen die Deutschen gestürzt. Doch den mitteleuropäischen Truppen schienen sie kaum aufzufallen — viele ihrer Soldaten rannten mehr oder weniger ziellos herum.
Ich versuchte mich in einen solchen Soldaten hineinzuversetzen, das Geschehen mit seinen Augen zu sehen. Von einem unirdischen vielstimmigen Wehklagen aus dem unruhigen Schlaf gerissen und von Trompetenstößen alarmiert, sieht er, wie sich ein Schwarm seltsamer grüner Lichter auf das Feldlager zubewegt. Lauter Ängste und Einbildungen buhlen um seine Aufmerksamkeit. Er ist erleichtert, als das Signal zum Sperrfeuer aufruft, und er hebt das deutsche Gewehr — sagen wir, er ist ein Scharfschütze — und feuert Schuss um Schuss auf das unheimliche Ziel am Himmel ab. Falls er das Ziel verfehlt, ist es nicht weiter schlimm, denn tausend und mehr Männer schießen auf dasselbe Ziel.
Das Schießen macht ihm Mut. Doch bald schon steigt ihm ein übler, undefinierbarer Geruch in die Nase, der (was er nicht weiß) von all den üblen Dingen stammt, die Julians Männer in den nächtlichen Himmel befördert haben: Rattengift in Pulverform, verschiedene Lösungsmittel, Laugen zur Herstellung von Seife, Lazarettabfälle … Ein Tropfen von irgendetwas fällt auf seine Haut und juckt oder brennt. Er blickt noch einmal in den Nachthimmel, und seine Augen werden mit etwas Ätzendem benetzt; er weint unfreiwillig und kann nichts sehen …
Nicht dass in den Fellsäcken genug Reizstoffe und Gifte gewesen wären, um ein deutsches Heer zu vernichten, vielleicht nicht einmal genug, um auch nur einen einzigen Deutschen umzubringen, von seltenen Glücksfällen abgesehen. Aber unser hypothetischer Soldat würgt, er schwitzt, er hält sich für einen Todeskandidaten, zumindest für jemanden, der in Lebensgefahr schwebt. Es handelt sich nicht um eine Gefahr, die er eindämmen oder bekämpfen kann. Aus der Nacht kommt sie, wie eine übernatürliche Heimsuchung. Er kann im Grunde nur eines — davonlaufen.
Er war nicht der Einzige, der sich so verhielt.
Das deutsche Heerlager war ein einziges Chaos. Das Frühlicht konnte die Panik, die Julian so raffiniert heraufbeschworen hatte, nicht zerstreuen. Und Julian hatte noch einen Joker. »Kartätschen, Feuer!«, brüllte er, und der Befehl erreichte im Nu unsere Artilleriestellungen. Julian hatte offenbar angeordnet, bestimmte Kartätschen (wie er mir später erklärte) mit einer Mischung aus Flohpulver und rotem Farbstoff zu füllen. Diese Kartätschen explodierten zu riesigen bernsteinfarbenen Staubwolken, die der Wind in Drehung versetzte und unter die deutsche Infanterie trug — alles harmlos. Doch die Deutschen hielten die Granaten für hochgiftig und flohen auf eine Weise in alle Himmelsrichtungen, wie sie es bei einem konventionellen Artilleriefeuer niemals getan hätten.
Die mitteleuropäischen Kommandeure hatten sich auf ihre Pferde geschwungen und versuchten ihre Truppen zu sammeln; doch es zeigte sich bald, dass die deutsche Mitte zusammengebrochen war und eine Bresche für die Amerikaner bot.
Julian befahl sofort den Angriff. Augenblicke später stürmte ein ganzes amerikanisches Infanterieregiment mit schwarzen Strumpfmasken und wildem Geheul aus den Gräben und Schanzen und eröffnete aus Pittsburgh-Gewehren und ein paar unersetzlichen Grabenfegern das Feuer.
Der deutsche Oberkommandierende geriet in Panik und warf uns alle Truppen entgegen, nur um die Mitte zu halten. Damit hatte Julian gerechnet und schickte die Kavallerie gegen die deutschen Flanken. Unsere Kavallerie bestand aus hungrigen Männern auf hungrigen Gäulen, doch ihr Angriff zeigte Wirkung. Noch mehr Grabenfeger kamen zum Einsatz. Und als die wässrige Sonne über den Horizont stieg, blickte sie auf ein Blutbad hinab.
Unsere gesamte Armee war im Begriff auszubrechen, Infanterie und Kavallerie vorneweg, die Planwagen mit den Versorgungsgütern und den transportfähigen Verwundeten dahinter und zur Rückendeckung wieder Infanterie und Kavallerie. »Komm, reite mit, Adam!«, schrie Julian; und zwei knochige Hengste wurden gebracht, mit Proviant und Munition in den Satteltaschen. Und wir galoppierten gen Osten, vor uns lauter mutig geschwenkte Regimentsfahnen.
Das war nicht die erste verzweifelte Schlacht, die ich erlebte, aber sie war auf ihre Weise besonders grell und schrecklich.
Wir ritten hinter den Regimentern der Vorhut. Das deutsche Heerlager bot ein Bild der Verwüstung, das Gebiet lauerte uns auf, viele Pferde stürzten in Gräben oder rutschten in Granattrichter und verletzten sich derart, dass wir sie erschießen mussten. Unser Sturmangriff und Julians Drachen hatten einen erstarrten Alptraum hinterlassen, in dem sich nichts regte außer uns. Deutsche Truppen, niedergemäht von unseren Grabenfegern. Leiber, verrenkt im Todeskampf. Das Sperrfeuer mit Farbpulverkartätschen hatte den festgetretenen Schnee scharlachrot gefiedert, und die Gerüche der verschiedenen Zutaten von hoch oben hatten sich zusammen mit anderen zu einem allgegenwärtigen beißenden, chemischen Fäkaliengestank vereint, bei dem uns jetzt noch die Augen tränten.
Julian ritt an Kompanien von Fußsoldaten vorbei zur Front und hielt unterwegs an, um die Flagge des Goose-Bay-Feldzugs aufzunehmen. Das war ein erhebender Anblick, obwohl (oder weil) sie Federn gelassen hatte. WE HAVE STEPPED UPON THE MOON, erklärte das Banner, und wenn es nach der Trostlosigkeit unserer Umgebung ging, hätten wir durchaus wieder auf dem Mond sein können; abgesehen von den primitiven Baumverhauen und offenen Latrinen. Jede Infanterieeinheit, an der wir vorbeikamen, hatte ihre helle Freude an dem Banner, und Rufe wie »Julian der Eroberer!« waren keine Seltenheit.
Wir kamen in leicht bewaldetes, unübersichtliches Gelände. Der Wind, den wir herbeigefleht und so freudig begrüßt hatten, wurde allmählich zur Plage. Niedrige Wolken fegten über den Himmel, Sturmböen rissen alten Schnee mit sich fort und jagten neuen vor sich her. Die deutsche Armee war auf der Flucht vor uns, aber wir verfolgten sie nicht; unser Ziel war der Ausbruch, nicht der Kampf, und eine Zeit lang kam es nur selten zu Feindberührungen, dann nämlich, wenn wir auf versprengte mitteleuropäische Infanteristen stießen und sie überwältigten.