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Doch der mitteleuropäische Oberkommandierende war kein Dummkopf, und als der Schnee unseren Vormarsch erschwerte, setzte er alles daran, seine Truppen in ihren Rückzugsstellungen zu sammeln. Den ersten Hinweis bekamen wir durch Gewehrfeuer im Schneetreiben östlich von uns — ich hielt es für ein weiteres Geplänkel, doch Julian runzelte die Stirn und trieb sein Pferd zu größerer Eile an.

In unserem Eifer, aus Striver auszubrechen, hatten wir zugesehen, wie sich unsere Verbände etwas aufgelockert hatten, und nun sah es so aus, als sei unsere Vorhut in eine Falle getappt. Das Gewehrfeuer schwoll rasch an, und als wir darauf zu galoppierten, sahen wir die ersten Opfer, die sich zurückschleppten oder geschleppt wurden. Da vorne werde heftig gekämpft, warnte uns ein Soldat — »und die Deutschen laufen nicht mehr fort, Sir … sie weichen keinen Schritt zurück!«

Julian improvisierte in der Nähe des Kampfgebietes sein Hauptquartier und stellte rasch einen Stab zusammen. Späher meldeten, unsere Vorhut sei in eine Senke der Straße hineinmarschiert und aus sicheren Stellungen heraus unter Dauerfeuer genommen worden; ehe die Männer Deckung gefunden oder sich hätten zurückziehen können, seien mitten unter ihnen Granaten explodiert. Man würde zurzeit kompanieweise zurückweichen. Es herrsche heillose Verwirrung.

Julian tat, was er konnte. Er mobilisierte die Artillerie. Er zog seine Karten zurate und versuchte, obwohl das Terrain flach und ungünstig war, seine Linien sicher zu verankern. Nicht lange, und ein Adjutant meldete, unser schwacher rechter Flügel sei völlig zusammengebrochen und werde von den Mitteleuropäern aufgerollt.

Ich hörte die Artillerie und das Gewehrfeuer — beides kam näher. Deutsche Granaten schlugen gefährlich nahe bei uns ein. Wir liefen Gefahr, von unseren eigenen Truppen überrannt zu werden, sollte das Gefecht in einer wilden Flucht enden.

Julian erteilte dem Leutnant eine wütende Abfuhr, der ihm als Erster zum Rückzug riet. Es sei überhaupt nicht gesagt, dass wir sicher nach Striver zurückkehren könnten — und dann wären wir nur wieder im Belagerungszustand, unter großen Verlusten und ohne Proviant. Striver sei ein Gefängnis und wir hätten alles darangesetzt, aus diesem Gefängnis auszubrechen. Doch es kamen mehr Boten, und die Nachrichten wurden immer schlimmer, und als eine Granate unseren primitiven Unterstand zum Einsturz brachte, gab Julian endlich zu, dass es unmöglich war, dem Feind standzuhalten. Die Deutschen hatten wieder Mut gefasst und uns mit aller Deutlichkeit Einhalt geboten, und wir hatten nichts mehr, um sie abzuschrecken.

Als Julian begriff, dass er mit seinem Plan gescheitert war, war er am Ende seiner Kräfte. Er hatte die gleichen Rationen bekommen wie wir alle, und ich hatte ihm mehr als einmal zur Seite gestanden, wenn er sich mit seinen Adjutanten beriet, um ihn zu stützen, wenn er Schwäche zeigte. In Julian loderte eine ungestüme, beinah übernatürliche Kraft; ich hatte erlebt, wie sie ihn fürchterliche Schlachten hatte durchstehen lassen; aber selbst diese Kraft hatte ihre Grenze, die er soeben erreicht zu haben schien. »Mir ist kalt, Adam«, flüsterte er, »und überall ringsum sind Tote — so viele Tote!«

»Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele überleben«, sagte ich.

»Damit sie das Privileg haben, etwas später zu sterben«, murmelte er; aber die Mahnung half ihm, tief in seinem Innern eine letzte Reserve an Mut aufzutreiben.

»Bringen Sie das Banner«, wandte er sich an den nächstbesten Adjutanten, »und mein Pferd, und lassen Sie zum Rückzug blasen.«

Unser Rückzug nach Striver war ein einziger Alptraum. Ich wünschte, ich wäre fähig, den Leser daran teilnehmen zu lassen, doch ich habe weder die schriftstellerische Begabung noch die Lust dazu. Nicht dass mir die Bilder abhandengekommen wären, denn nachts suchen sie mich immer wieder heim und lassen mich nicht selten in Schweiß gebadet oder schreiend aus dem Schlaf fahren. Aber ich bringe es nicht über mich, sie wahrheitsgetreu zu Papier zu bringen.

Es muss genügen, wenn ich sage, dass wir durch den Tartaros ritten, den Teufel im Nacken und immer nur kämpften, kämpften, kämpften …

In Labrador waren die Tage zu dieser Jahreszeit kurz. Das Licht, das wir heute früh so zuversichtlich begrüßt hatten, wurde dünn und wässrig. Julian, der immer noch von einer tief in seinem Innern verborgenen Kraftreserve zehrte, trug das Banner hoch und kämpfte an der Seite der Nachhut. Ich kämpfte neben ihm, wir er aus dem Sattel heraus, während wir Land aufgaben, das wir vor Stunden erst gewonnen und mit amerikanischem Blut bezahlt hatten. Wie tödliche Insekten flogen uns die deutschen Kugeln um die Ohren, und Julian schien — wie damals in der Schlacht von Mascouche — unverwundbar zu sein.

Aber er konnte nicht ungetroffen bleiben in einem Kugelhagel, der aus seinem Banner einen kümmerlichen Fetzen machte.

Ich war dicht neben ihm, als die Kugel seinen Uniformmantel an der Schulter durchbohrte. Es war keine ernste Wunde, aber sie betäubte seinen Arm, und sein ganzer Stolz, das Banner, rutschte ihm aus der Hand. Und das verblasste Bild des Mondes geriet unter die Hufe seines Pferdes, als er im Sattel zusammensackte.

»Julian!«, schrie ich.

Er blickte in meine Richtung, einen um Verzeihung heischenden Ausdruck im Gesicht. Dann traf ihn eine zweite Kugel, und sein Mund füllte sich mit Blut.

7

Nach Einbruch der Dunkelheit ließen die Deutschen sich Zeit — sie wussten, wohin wir wollten und würden uns bei passender Gelegenheit erledigen. Also kehrte ein Bruchteil der Armee, die Striver verlassen hatte, im Schein des Mondes nach Striver zurück, abgerissen und hungrig, und bezog Stellung entlang der alten Verteidigungslinien. Und in der Stadt schlug Dr. Linch, der einzige von unseren Ärzten, der den Ausbruchsversuch überlebt hatte, wieder sein Feldlazarett auf, diesmal eine »abgespeckte« Version. Sein Handwerkszeug bestand aus ein paar Messern, Sägen und Flaschen mit medizinischem Branntwein und flüssigem Opium; Nadel und Faden stammten aus den Trümmern einer Schneiderwerkstatt. Über einem Ofen, in dem er Möbelholz verbrannte, brodelte Wasser.

Er sah mich geistesabwesend an, als ich ihm Julian brachte. Die eigene Erschöpfung schien ihn eingeholt zu haben. Ich musste ihm klarmachen, wie dringend dieser Fall war und dass er Julians Leben retten musste …

Er zögerte, dann nickte er. Ich trug Julian in das Geviert des alten Lazaretts, vorbei an Leichen, die aufgeschichtet waren wie Klafterholz für ein Freudenfeuer. Im Licht einer Laterne untersuchte er Julians Wunden.

»Die Schulter ist nur eine Fleischwunde«, sagte er. »Die Wunde im Gesicht ist ernster. Die Kugel hat einen Teil der Wange weggerissen und zwei Backenzähne zerschmettert. Er hat noch Glück gehabt.« Er hielt inne und lächelte — es war ein freudloses, bitteres Lächeln, nie mehr wollte ich so ein Lächeln sehen. »Ich würde sagen, wenn wir Nahrung für ihn hätten und noch einen Ofen mit Brennholz und es hier nicht so ziehen würde, müsste er bald wieder auf den Beinen sein.«

»Werden Sie wenigstens seine Wange nähen?«

»Nein«, sagte Dr. Linch. »Hier sind Männer, die Schlimmeres durchmachen, und sie verdienen meine Aufmerksamkeit — und erwähnen Sie jetzt nicht den Namen Comstock, als habe der Mann irgendeinen Anspruch auf mein Mitgefühl. Wenn Sie ihn genäht haben wollen, Adam Hazzard, dann tun Sie es selbst. Sie haben mir oft genug assistiert. Sie wissen, wie man das macht.«

Er gab mir Nadel und Faden und ließ mir die Laterne.

Julian war bewusstlos, während ich ihn verarztete, obwohl er ein- oder zweimal stöhnte. Es war nicht angenehm, mit einer eingefädelten Nadel durch ausgefranste Haut zu stechen — das Blut wegzutupfen, um das Ergebnis zu prüfen — und das wieder zu tun und wieder und wieder —, bis eine grobe Naht das Gewebe zusammenzog, wenn nicht sauber und akkurat, dann wenigstens zweckdienlich. An den zersplitterten Zähnen konnte ich nichts machen, außer dass ich auf Anraten von Dr. Linch eine dicke Lage Mull auf den betroffenen Bereich packte. Während der Prozedur hatte meine Kleidung viel Blut abbekommen, und der Verlust ließ Julian wie leblos daliegen.