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Dr. Linch kam zurück und verabreichte ihm ein leichtes Opiumpräparat. Ich blieb die Nacht über bei Julian und schürte den Ofen, wenn es allzu zugig wurde.

Am Morgen deckte uns die Artillerie mit Granaten zu, als wollten uns die Deutschen für die Unverschämtheit bestrafen, den Ausbruch versucht zu haben. Oder als wollten sie mit uns aufräumen, damit endlich wieder Normalität einkehrte.

Bis Mittag spuckte Julian Blutklumpen. Seine Schmerzen waren augenfällig, sagen konnte er nichts. Schließlich machte er Handbewegungen, die nach Papier und Bleistift verlangten.

Beides hatte ich immer dabei, wie es sich für einen Schriftsteller gehört[88], und gab es Julian.

Er verlangte in zittrigen Großbuchstaben nach MEHR MORPHIUM.

Ich ging und bedrängte Dr. Linch, doch die Nachricht, die ich meinem Freund ans Bett brachte, war nicht gut. »Es ist nur noch ganz wenig Opium übrig, Julian. Der Doktor muss es für ganz schwere Fälle aufheben.«

MEHR, schrieb Julian.

»Es gibt keins mehr — hast du nicht gehört?«

Er bot einen furchtbaren Anblick: spindeldürr, schneeweiß, die Wunden braun von altem Blut, der blonde Bart voller Dreck und geronnenem Blut. Er verdrehte die Augen.

ICH WÄRE BESSER GESTORBEN, schrieb er.

Kurz darauf schlief er.

Am nächsten Tag zogen sich unsere stark dezimierten Truppen an ihren unwiderruflich letzten Verteidigungsgürtel dicht um die Stadt zurück. Mit anderen Worten, die Schlinge hatte sich zugezogen. Das Wort »Kapitulation« machte die Runde; doch dazu war es noch nicht gekommen … nicht, solange es noch Schiffszwieback gab … aber der ging rapide zur Neige.

Ich tunkte Schiffszwieback in Wasser, bis er matschig wurde, und ließ kleine Happen davon in Julians Mund fallen — für ihn zurzeit die einzige Möglichkeit, Nahrung zu sich zu nehmen. Nur wenn die Schmerzen unerträglich wurden, wollte er den Mund nicht mehr öffnen.

Ich fragte ihn, ob er Befehle für die Männer habe.

KEINE BEFEHLE NICHTS MEHR ÜBRIG WARUM SOLLTEN SIE AUF MEINE BEFEHLE WARTEN?

»Weil du der Oberkommandierende bist, Julian. Auch wenn dein Angriff nicht zum Ziel geführt hat, die Männer sehen darin einen achtbaren Versuch — ohne dich wären sie nicht so weit gekommen.«

FEHLSCHLAG

»Die Deutschen haben Verstärkung bekommen. Keiner kann etwas dafür, dass wir sie nicht überwältigen konnten. Es war eine fantastische Anstrengung — sie wird in die Geschichte eingehen.«

QUATSCH KEINER WIRD DAVON ERZÄHLEN WEIL WIR ALLE HIER KREPIEREN WERDEN

»Sag so was nicht!«, flehte ich ihn an. »Wir werden heimkehren — wir müssen! Calyxa braucht mich — sie hat Probleme mit dem Dominion. Vielleicht lässt dieser Diakon aus Colorado sie noch foltern. Außerdem ist sie — ich habe noch niemandem davon erzählt, Julian —, sie bekommt ein Kind!«

Er starrte mich an. Dann nahm er wieder Bleistift und Papier auf.

DEIN KIND?

»Natürlich mein Kind! — Was sonst?«

Nach einer Pause schrieb er:

GUTE NACHRICHT HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH WÜRDE LÄCHELN, WENN ICH KÖNNTE NATÜRLICH WIRST DU HEIMKEHREN

»Danke, Julian. Du wirst mitkommen, und wir werden das Baby sehen. Du bist praktisch sein Onkel; und du darfst es auf dem Knie halten und meinetwegen mit Apfelbrei füttern.«

PATENONKEL?

»Ja, wenn du einverstanden bist!«

FALLS GOTT MICH SO NAH AN SICH HERANLÄSST, schrieb er, und dann legte er sich zurück auf den Lattenrost, der ihm als Bett diente. Die Augen fielen ihm zu, und aus den Wunden sickerten blassrosa Flüssigkeiten.

8

Trotz der Zuversicht, die ich Julian hatte vermitteln wollen, nahm sich der folgende Tag wie unser letzter aus. Das Granatfeuer erreichte einen neuen Höhepunkt. Die deutschen Sperrfeuer erreichten jeden Teil der Stadt, und ich war oft weiß vom Putz, der von der Decke rieselte, während ich mich um Julian kümmerte.

Seine Adjutanten und Junior-Colonels hatten aufgehört, ihn um Befehle zu bitten — er war zu schwer verletzt, um noch führen zu können, und was für Befehle hätte er auch geben sollen? Die Laurentische Armee, Nördliche Division, reagierte automatisch und feuerte auf jedes Ziel, das sich ihr bot. Das Ende rückte unaufhaltsam näher — allmählich ging uns die Munition aus.

Es war ein kalter Tag, klar und windstill. Julian fiel in Schlaf, wann immer die Artillerie es zuließ; und ich schlief nicht selten auf dem Stuhl an seinem Bett.

Ich war gerade wach, und Julian schlief, als ein frischgebackener Leutnant ins Zimmer stürzte. »General Comstock!«, rief der Mann aufgeregt.

»Leise, Leutnant — der General ist eingenickt, er braucht seinen Schlaf — was ist denn?«

»Tut mir leid, Colonel Hazzard, aber ich soll Meldung erstatten — das heißt, wir …«

»Was? Schon wieder ein gemeiner Anschlag der Deutschen? Wenn unsere Abwehr versagt, ist das kein Grund, Julian Comstock damit zu behelligen. Er ist nicht in der Lage zu helfen, er kann nicht helfen, selbst wenn er wollte.«

»Das ist es nicht, Sir. Wir haben Segel gesehen!«

»Wie bitte?«

»Segel, Sir! Wir haben Schiffe gesichtet, sie kommen den Lake Melville herunter, von Osten!«

»Deutsche Schiffe?«

»Sir, sie sind noch weit entfernt, aber die Wachen meinen, es könnte die Flotte von Admiral Fairfield sein! Die Marine kommt uns doch noch zu Hilfe, Sir!«

Es verschlug mir regelrecht die Sprache. Es gibt eine Form der Erlösung, die einen genauso mitnimmt wie das, wovon sie einen erlöst. Ich schlug die Hände vors Gesicht, um meine Gefühle zu verbergen.

»Sir?«, sagte der Leutnant. »Wollen Sie ihm das nicht sagen?«

»Sobald wir Gewissheit haben«, brachte ich heraus. »Ich möchte ihm die Enttäuschung ersparen.«

Aber ich hielt es nicht aus, auf die Meldung eines Adjutanten zu warten. Ich ließ Julian schlafen und stieg ins Obergeschoss.

Das Lazarett befand sich am ufernahen Ende der Portage Street, im Parterre eines Hauses, das oben ausgebrannt war. Das Obergeschoss war praktisch offen und den Elementen ausgesetzt. (In besseren Tagen war unten ein deutsches Geschäft gewesen und darüber Wohnraum.) Von hier oben war der Hafen gut einzusehen. Ich stand in der leeren Öffnung eines großen Fensters und starrte auf den See hinaus.

Nicht lange, und die Segel wuchsen über den Horizont. Ohne Fernglas konnte ich die Flaggen nicht erkennen, und trotz der ermutigenden Worte des Leutnants argwöhnte ich einen neuen mitteleuropäischen Angriff. Dann hatte ich plötzlich das Gefühl, die Umrisse des vordersten Schiffes zu kennen, und mein Herz tat einen Sprung.

Es war die Basilisk — die heiß ersehnte Basilisk — Admiral Fairfields Flaggschiff.

Ich schickte ein glühendes Dankgebet in das schiefergraue Wolkenmeer.

Der Lake Melville war zu salzig, um ganz zuzufrieren, aber am Rand hatte er Eis angesetzt, und die Marine konnte nicht so nahe am Ufer vor Anker gehen, wie sie es vorgehabt hatte. Doch es gab genug offene Rinnen für die Landungsboote. Ein Spähtrupp erkundete rasch die Aussichtslosigkeit unserer Lage und teilte der Basilisk die Einzelheiten per Signalflaggen mit; und bald schon begann die Flotte aus allen Rohren zu feuern, und die Granaten flogen über Striver hinweg und fielen mit bemerkenswerter Genauigkeit in die deutschen Linien. Der Beschuss steigerte sich zu einem Sperrfeuer, das die Mitteleuropäer eine Meile oder mehr von ihren vordersten Schützengräben zurücktrieb; und dieser Lärm war es, der Julian schließlich aus dem Tiefschlaf riss.

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88

Selbst für einen, der eine Schreibmaschine besitzt, denn solche Maschinen lassen sich nicht gut in die Tasche stecken.