»Sir«, sagte der junge Soldat errötend; aber er widersprach mir nicht, und ich brüllte noch mehrere Male Calyxas Namen, bis endlich der Kopf meiner geliebten Frau an einem der oberen Fenster erschien.
Bei ihrem Anblick konnte ich meine Freude kaum noch zügeln. Wie oft hatte ich mir dieses Wiedersehen ausgemalt auf dem langen Goose-Bay-Feldzug! Calyxas Gestalt, wie sie mir im Dämmer zwischen Wachen und Schlafen erschien, war eine Gottheit geworden, zu der ich mich so regelmäßig hingezogen fühlte, wie die Sonne im Meer ertrank. Eingerahmt von einem der oberen Fenster dieses stattlichen Hauses sah sie mindestens so schön aus wie in meinen Träumen — vielleicht ein klein wenig ungeduldiger, was kein Wunder war.
Ich rief noch einmal ihren Namen, nur um ihn in meiner Kehle zu spüren.
»Ja, hier bin ich«, rief sie herunter.
»Ich bin zurück aus dem Krieg!«
»Das sehe ich! Kannst du nicht reinkommen?«
»Hier steht eine Wache!«
»Ja, das ist das Problem!« Calyxa verschwand einen Augenblick, dann erschien sie wieder. »Mrs. Comstock ist auch hier, sie möchte aber nicht aus dem Fenster schreien — ich soll dich von ihr grüßen.«
»Warum habt ihr Hausarrest? Sind das die Scherereien, von denen du mir geschrieben hast?«
»Die Geschichte ist zu kompliziert, um sie hier rauszubrüllen, aber dahinter steckt Diakon Hollingshead.«
»Julian wird da nicht mitspielen!«
»Hoffentlich hört er bald davon.«
Der Soldat hatte mich die ganze Zeit mit unverhohlenem Interesse angestarrt und dabei vergessen, den Mund zu schließen. Mir passte seine Neugier nicht. Ich wollte von Calyxa wissen, was mit unserem Kind war — ich wollte ihr sagen, wie sehr ich sie liebe —, doch der stiere Blick des Rekruten machte mich befangen; außerdem war es möglich, dass wir noch mehr Publikum hatten. »Calyxa!«, rief ich. »Ich muss dir etwas sagen — meine Gefühle für dich sind unverändert …«
»Ich kann dich nicht verstehen!«
»Unverändert! Gefühle! Meine für dich!«
»Bitte vergeude keine Zeit, Adam!«
Sie verließ ihren Platz am Fenster.
Ich wandte mich an den Soldaten, meine Ohren brannten. »Na, wie war die Vorstellung, Soldat?«
Aber er war immun gegen Ironie oder war irgendwo fernab von ihr aufgewachsen. »Ja, Sir«, sagte er. »Danke der Nachfrage. War mal was anderes. Wache schieben ist meist ziemlich öde.«
»Das denke ich auch. Ist Ihnen nicht kalt? Würden Sie nicht lieber irgendwohin gehen, wo es warm ist, und eine warme Mahlzeit zu sich nehmen, so kurz vor Weihnachten?«
»Doch, schon; aber meine Ablösung kommt erst in zwei Stunden.«
»Warum löse ich Sie nicht ab? Ich weiß, ich darf nicht ins Haus — das wäre gegen die Spielregeln —, aber ich finde, ein ranghoher Offizier darf für kurze Zeit die Pflichten eines Rekruten übernehmen, als nette Geste an einem kalten Dezemberabend.«
»Danke, Colonel, aber der Trick funktioniert nicht. Ich kann es mir nicht leisten, essen zu gehen. Mein Sold ist längst überfällig, hier geht nämlich zurzeit alles drunter und drüber.«
»Gleich um die Ecke ist ein Lokal, da gibt es Leberpilzklöße und gegrilltes Schweinefleisch, ofenheiß. Hier«, sagte ich und drückte ihm zwei Comstock-Dollars in die Hand, »nun machen Sie schon, guten Appetit und frohe Weihnachten.«
Der Rekrut riss die Augen auf, dann steckte er die Münzen in die Tasche seines Dufflecoats. »Ich denke, ich kann Ihnen die Bewachung der Ladys überlassen — aber nur für eine Stunde.«
»Ich weiß das zu schätzen, und Sie können sich darauf verlassen, dass ich gut auf die beiden aufpassen werde.«
Mein Taktgefühl verbietet mir, jede Einzelheit unseres Wiedersehens zu erzählen, außer dass es eine herzliche und bisweilen tränenreiche Begegnung mit vielen Zärtlichkeitsbekundungen meinerseits war und ich mit Staunen und schmachtendem Stolz zur Kenntnis nahm, dass Calyxas Figur alles in allem runder und voller geworden war. Mrs. Comstock verfolgte dieses Geturtel mit großherziger Geduld, bis ihr unsere Intimitäten peinlich wurden und sie sagte: »Es gibt ein paar wichtige Dinge zu besprechen, Adam Hazzard, es sei denn, Sie bringen Calyxa unverzüglich ins Hochzeitszimmer.«
Ich hätte nichts lieber getan als genau das, hatte aber den verdeckten Hinweis verstanden und hörte erst einmal auf, meine Frau zu küssen.
»Ich habe die Wache bestochen«, sagte ich. »Wenn Sie wollen, können wir jetzt fliehen.«
»Wenn es mit Bestechung getan wäre«, sagte Mrs. Comstock, »wären wir längst nicht mehr hier — aber wo sollten wir Ihrer Meinung nach hin? Wir sind keine Verbrecher, und ich zumindest möchte mich auch nicht so verhalten.«
»Das bringt mich jetzt durcheinander«, gestand ich. »Es ist keine zwei Stunden her, dass mich das Boot von Neufundland im Hafen abgesetzt hat, und ich habe keine Antwort auf meine Briefe bekommen.«
»Sie sind nicht angekommen oder wurden zurückgeschickt. Und Julian ist auch hier?«
»Deshalb haben in der ganzen Stadt die Glocken geläutet. Man hat Julian in den Regierungspalast gebracht, um ihn zu vereidigen.«
Mrs. Comstock war erleichtert, so sehr, dass sie sich setzen musste, um das Gehörte zu verarbeiten. Sie brauchte eine Weile, bis sie wieder Notiz von mir nahm. »Es tut mir leid, Adam«, sagte sie. »Nehmen Sie sich einen Stuhl und hören Sie mir zu — ich werde Ihnen unsere Situation erklären. Dann können wir die wichtige Frage erörtern, wie wir damit umgehen.«
Ihre Erklärung war weitschweifig, mit vielen Rückblenden und mit hitzigen Einwürfen von Calyxa, und besagte im Kern Folgendes:
Seit letzten Juli hielt sich Diakon Hollingshead in New York City auf, und seitdem ging das Dominion hart zur Sache und säuberte die Stadt von Korruption.
»Korruption« ist ein beliebter Begriff bei den begeisterten Anhängern des Dominions und für gewöhnlich der Auftakt zu Dolch, Prozess oder Galgen. Zurzeit ging es um die wachsende Anzahl von hiesigen Kirchen, die nicht den Zehnten abführten — Kirchen, die nicht nur nicht anerkannt waren vom Dominion, sondern diese Anerkennung sogar verschmähten, denn sie betrachteten das Dominion als eine weltliche Institution, die sich mit erzwungenen Spenden finanzierte und gleichzeitig wahre apostolische Brüderlichkeit und persönliche Erlösung in Christo unterdrückte.
Ich hatte von diesen abtrünnigen Kirchen gehört. Es gab sie in allen großen Städten, aber besonders zahlreich vertreten waren sie in Manhattan, wo etliche von ihnen die Armen und Unzufriedenen und die einfachsten Arbeiter beköstigten, oder die Ägypter und andere frisch eingetroffene Einwanderer. Doch ich sah keinen Zusammenhang zwischen diesen Einrichtungen und dem über Calyxa und Mrs. Comstock verhängten Hausarrest.
»Wir wurden aufgegriffen«, sagte Calyxa rundheraus und unterbrach die etwas nuanciertere Schilderung von Mrs. Comstock.
»Was meinst du mit ›aufgegriffen‹? Wo aufgegriffen?«
»Ein juristischer Begriff«, sagte Mrs. Comstock. »Wir wurden mit einem Dutzend anderer Leute festgenommen, als eine dieser Einrichtungen von Hollingshead und seiner geistlichen Polizei überfallen wurde — ›mitgefangen, mitgehangen‹, so sagt man doch.«
»Ihr wart in einer abtrünnigen Kirche?« Das überraschte mich, denn mir war an Mrs. Comstocks religiösen Gewohnheiten nie etwas Ungewöhnliches aufgefallen; und Calyxa, die in einem katholischen Internat gewesen war, hatte wiederholt erzählt, sie habe aus diesen Kindertagen so viel an Religion »gebunkert«, wie sie für nötig gehalten hatte — und noch ein bisschen mehr.
»Nicht aus religiösen Gründen«, sagte Calyxa. »Die Kirche stellte ihre Räumlichkeiten für politische Versammlungen zur Verfügung. Ich hatte Mrs. Comstock von der Idee der Parmentieristen erzählt, sie war interessiert und wir sind hingegangen, damit sie sich ein Urteil bilden konnte.«