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»War es eine Kriegsverletzung oder nur ein Unfall?«

»Ich habe sie im Kampf verloren.«

»Da kann man nichts machen. Dein Bart ist weißer geworden — da kann man wohl auch nichts machen. Und du siehst gebrechlich aus — setz dich gerade!«

Er richtete sich auf. »Emily … es tut gut, dich wiederzusehen. Schade, dass es unter diesen Umständen sein muss.«

»Die Umstände ändern sich gerade, Sam. Wir fahren zum Regierungspalast, auf Julians Veranlassung. Ist das dein bestes Hemd?«

»Mein einziges.«

»Ich glaube nicht, dass der Krieg dir gut bekommen ist, Sam.«

»Ist er sicher nicht, nein.«

»Oder Sie, Adam — ist das ein Floh auf Ihrem Hosenbein?«

»Irgendeine Fussel«, sagte ich, als er fortsprang.

»Hoffentlich sind keine Fotografen im Palast«, sagte Mrs. Comstock anzüglich.

Man eskortierte uns durch die großen, dem Publikumsverkehr geöffneten Räume des Regierungspalasts, durch die vertäfelten Säle, wo man uns während des präsidialen Empfangs zum vorletzten Unabhängigkeitstag bewirtet hatte, zu gemütlicheren Zimmern, in denen auf spiegelblanken Tischplatten Lampen glühten und in Eisenöfen Feuer brannten, und schließlich zu einem großen, fensterlosen Wohnraum, in dem man einen Tannenbaum aufgestellt und mit bunten, ausgefallenen Glaskugeln geschmückt hatte. Hier erwartete uns Julian, der die Garde sofort entließ.

Es war ein rundum bewegender Weihnachtsmorgen, wenn man bedenkt, dass die Hälfte von uns die Hoffnung fast aufgegeben hatte, die andere Hälfte lebendig wiederzusehen. Julian schloss unter Tränen seine Mutter in die Arme; wann immer Sam seine Emily Baines Comstock anstarrte, hellten sich seine abgehärmten Züge wieder auf; und Calyxa und ich saßen eng umschlungen auf dem kleinen Sofa in der Nähe des Kamins.

Jeder hatte etwas zu erzählen, jeder etwas zu erklären. Julian hatte eben erst von dem Hausarrest erfahren, den Diakon Hollingshead über seine Mutter verhängt hatte; er kochte innerlich vor Wut, beherrschte sich aber in Anbetracht des Festes, das wir begingen, und versuchte die Unterhaltung auf erfreulichere Dinge zu lenken.

Doch die Veränderungen in Julians Gebaren und Erscheinung, seit wir uns zuletzt in diesem Kreis gesehen hatten, waren unübersehbar. Calyxa und auch Mrs. Comstock bedachten ihn mit besorgten Blicken. Es war nicht bloß die Narbe auf seiner Wange oder dass sein Mund auf dieser Seite steif blieb, obgleich sein Ausdruck dadurch arg verfremdet wurde, nein, er trug eine Unberührtheit zur Schau — eine Bedächtigkeit, die sich wie eine Maske für innere Turbulenzen ausnahm, so wie eine ruhige See die Wanderung der Wale und den Appetit der Haie verbirgt.

Julian erkundigte sich nach dem Hausarrest und den Anschuldigungen, die Diakon Hollingshead gegen seine Mutter und Calyxa erhoben habe. Er war verblüfft zu hören, dass man sie in einer sogenannten »freien« Kirche aufgegriffen habe, und fragte sein Mutter, warum sie ihren Methodismus gegen Weihrauch und Prophezeiungen eintauschen wolle.

»Wir nahmen an einer politischen Veranstaltung der Parmentieristen teil …«

»Noch schlimmer!«

»… aber die Church of the Apostles etc. hat eigentlich nichts damit zu tun. Ich habe mich länger mit dem Pastor unterhalten, einem Mr. Stepney. Er ist ein nachdenklicher junger Mann, überhaupt kein Fanatiker, sehr präsentabel und sehr gut aussehend.«[93]

»Was predigt er? Tod den Aristokraten, wie seine parmentieristischen Freunde?«

»Pastor Stepney ist kein Feuerspucker, Julian. Ich kenne nicht alle Details seiner Doktrin, außer dass sie mit der Evolution zu tun hat und mit einer rückwärts geschriebenen Bibel, oder so ähnlich.«

»Evolution in welchem Sinne?«

»Er redet von einem Gott, der sich entwickelt — ich verstehe das nicht, wenn ich ehrlich bin.«

»Ich glaube, ich würde Pastor Stepney gerne kennenlernen; ein theologischer Diskurs mit ihm wäre ganz nach meinem Geschmack.«

Die Bemerkung war nett, aber nicht wirklich ernst gemeint — aber sie war prophetisch, wie sich herausstellen sollte.

Da Mrs. Comstock und Calyxa nun erst recht damit zu rechnen hatten, von Diakon Hollingshead schikaniert zu werden, kam man zu dem vernünftigen Entschluss, dass sie nicht mehr in Mrs. Comstocks Anwesen zurückdurften. Auf dem Gelände des Regierungspalasts gab es etliche luxuriöse und zurzeit unbewohnte Gästehäuser; und Julian sah eines für seine Mutter und ein anderes für Calyxa und mich vor. Da wären wir sicher aufgehoben, meinte er, bis er den Zwist mit dem Dominion beigelegt habe.

Für den Rest des Tages und bis in den späten Abend hinein wies Julian jeden Höfling, der vorsprechen wollte, ab und widmete sich ganz seinen alten Freunden und seiner Mutter, bis wir uns schließlich, vollgestopft mit leckeren Sachen aus der Palastküche, in unsere neue Bleibe zurückzogen.

Ich fand es herrlich, mich auf ein Bett zu strecken, das weich und kein Tummelplatz für Wirbellose war; und noch herrlicher fand ich es, dass Calyxa und ich uns zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder ein Bett teilten. Wir feierten Weihnachten auf unsere Art — mehr will ich dazu nicht sagen.

Was wir nicht wussten, war, dass Julian auch zu tun hatte. Am nächsten Morgen, ich war gerade fertig mit Frühstücken, da ließ er mich rufen, um an einem Gespräch teilzunehmen, das er am späten Abend mit Diakon Hollingshead vereinbart hatte.

Weihnachten war dieses Jahr auf einen Sonntag gefallen, eine Art doppelter Sonntag, was die ungewöhnliche Ruhe im Regierungspalast zumindest teilweise erklärte. Der Montag brachte die übliche Geschäftigkeit zurück. Dienstpersonal und Beamte, wo man auch hinsah, ebenso eine Reihe hochrangiger Militärs. Sie eilten an mir vorbei, als ich auf dem Weg zum Präsidenten war, ignorierten mich oder musterten mich argwöhnisch.

Doch Julian war allein in dem Büro, in dem er mit dem Diakon verabredet war. »Zu Konferenzen zwischen Exekutive und Dominion«, erklärte er, »haben Beamte keinen Zutritt.«

»Und was ist mit mir?«

»Hollingshead bringt einen Sekretär mit, der wahrscheinlich alles aufschreibt, was sich gegen mich verwenden lässt. Ich habe das Gleiche für mich in Anspruch genommen.«

»Ich bin kein guter Sekretär, Julian. Dieses Ränkespiel ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.«

»Schon klar, Adam. Alles, was ich von dir erwarte, ist, dass du still dasitzt mit Block und Bleistift auf dem Schoß. Sobald du das Gefühl hast, Diakon Hollingshead fühlt sich nicht ganz wohl in seiner Haut, schreibst du etwas auf — oder tust wenigstens so, um sein Unbehagen noch zu schüren.«

»Ich weiß nicht, ob ich höflich bleiben kann, wenn er die Sprache auf Calyxa bringt.«

»Du musst nicht höflich sein, Adam, nur still.«

Es dauerte nicht lange, und der Diakon traf ein. Er kam in Begleitung ekklesiastischer Polizisten, die im Vorzimmer warteten. Er trug seine formelle Dominionrobe und betrat mit der Jovialität eines orientalischen Potentaten den Raum. Dann nickte er Julian zu, schüttelte dessen Hand und gratulierte ihm salbungsvoll lächelnd zur Vereidigung. Das war geheuchelt, aber so gut, dass es reif für den Broadway war. Abgesehen von einem einzigen kurzen Blick nahm er weiter keine Notiz von mir. Erkannte er mich wieder? Wusste er, dass ich Calyxas Ehemann war?

Sein Sekretär war ein mickriges Männlein mit stechenden Augen und einem permanent finsteren Gesichtsausdruck. Dieses Kerlchen setzte sich mir gegenüber. Es funkelte mich an, und ich funkelte zurück. Ansonsten schwiegen wir.

Julian und Diakon Hollingshead tauschten noch eine Weile Formalitäten und Nettigkeiten aus. Sie redeten nicht wie Fürsten, sondern eher wie Fürstentümer, jeder sagte »wir«, womit der eine die Exekutive und der andere das Dominion meinte.

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93

Sam wirkte zerknirscht bei dieser Beschreibung, sagte aber nichts.