Sie kamen nicht sofort auf das heikle Thema zu sprechen, dessentwegen sie sich trafen, sondern wärmten sich mit Allgemeinplätzen auf. Julian redete von einer besseren Kooperation zwischen Marine und Laurentischer Armee in Labrador. Diakon Hollingshead von einer frommen und gottesfürchtigen Außen- und Innenpolitik und von der Rolle des Dominions, dieses Ideal zu fördern. So abgedroschen das alles klang, so waren es doch deutlich formulierte Machtansprüche. Julian prahlte, das Militär zu kontrollieren, und Hollingshead erinnerte daran, dass die Kanzeln des Dominions so etwas wie ein Vetorecht praktizierten. Sie waren wie zwei Kater, die sich aufplusterten, um dem jeweils anderen zu imponieren. Obwohl sie lächelten, knurrten sie; und das Knurren war eine Einladung zum Kampf.
Es war Julian, der die Sprache endlich auf den Hausarrest von Mrs. Comstock brachte. Der Diakon reagierte mit einem konzilianten Lächeln. »Mr. President, Sie reden von dem Vorfall im Einwandererviertel, in der sogenannten Church of the Apostels etc. Wie Sie sicher wissen, konnte die Razzia einen ganzen Schwarm von Parmentieristen und radikalen Apostaten verhaften — dank der guten Zusammenarbeit zwischen Zivilbehörden und ekklesiastischer Polizei. Wir sind stolz auf den Erfolg. Wegen dieser Razzia sind zurzeit Menschen hinter Gittern, die ansonsten das Volk aufgewiegelt hätten — nicht nur gegen das Dominion, sondern auch gegen Senat und Präsidentenamt.«
»Und es gibt andere, die wegen nichts unter Hausarrest stehen«, sagte Julian.
»Lassen Sie mich offen sein, Sir. Ich weiß, dass Ihre Mutter in die Sache verwickelt wurde …«
»Ja, und ich musste die Republikanische Garde schicken, um meine Mutter aus Ihrer Gewalt zu befreien, nur damit wir an Weihnachten zusammen sein konnten.«
»Und dafür bitte ich um Nachsicht. Umso mehr freut es mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Verfügung gegen Ihre Mutter aufgehoben wurde. Sie kann sich völlig frei bewegen.«
Das nahm Julian etwas Wind aus den Segeln, obwohl er wachsam blieb. »Ich denke, ich behalte sie vorerst hier, Diakon Hollingshead. Ich bin mir nicht sicher, ob sie woanders wirklich in Sicherheit ist.«
»Das steht Ihnen natürlich frei.«
»Und ich bedanke mich für die Rücknahme der Verfügung. Aber zusammen mit meiner Mutter stand noch jemand anders unter Hausarrest.«
»Ah — nun, das wirft eine ganz andere und viel unangenehmere Frage auf. Ihre liebenswerte Frau Mutter hätte wohl kaum Teil irgendeiner Verschwörung sein können, habe ich Recht? Weder einer ekklesiastischen noch einer politischen. Das versteht sich von selbst. Jeder andere muss hingegen das übliche Verfahren über sich ergehen lassen, um seine Unschuld zu beweisen.«
»Ich rede von einer Frau, die momentan mein Gast ist.«
Jetzt sah mich Diakon Hollingshead direkt an — das letzte Mal heute. Ich erwartete, in seinem Gesicht offenen Hass oder verhohlene Scham zu sehen, doch seine Züge waren völlig entspannt und unbeteiligt. Es war der Blick, mit dem ein satter Alligator das Kaninchen bedenkt, das von seinem Tümpel trinkt.
Er wandte sich wieder Julian zu, runzelte die Stirn. »Mr. President, damit wir uns nicht missverstehen«, sagte er. »Fehler passieren. Ich weiß das — ich gebe es offen zu. Im Falle Ihrer Mutter begingen wir einen Fehler, und wir haben ihn berichtigt, sobald wir darauf aufmerksam wurden. Aber das Dominion ist wie ein Fels in der Brandung, wenn es um das Prinzip geht.«
»Ich glaube, wir beide wissen es besser, Diakon Hollingshead.«
»Entschuldigen Sie, nein. Wenn Sie und ich einfache Menschen mit einer weltlichen Meinungsverschiedenheit wären, ließe sich bestimmt ein Kompromiss finden. Aber das hier ist vor allem eine ekklesiastische Angelegenheit. Die Bedrohung durch die sogenannten freien Kirchen ist weder trivial noch eine Randerscheinung. Wir nehmen sie sehr ernst, und ich spreche hier für den ganzen Dominion-Rat.«
»Mit anderen Worten, Sie finden zwar eine Möglichkeit, einen angesehenen Eupatriden zu entlasten, nicht aber einen einfachen Menschen.«
Hollingshead schwieg.
»Ich hoffe, Sie bezweifeln nicht meine Loyalität«, sagte er schließlich mit flacher, ausdrucksloser Stimme. »Meine Loyalität zur Nation wird lediglich durch meinen Glauben beschränkt. Zu guter Letzt wird die ganze Erde unter der Regierung des Dominion of Jesus Christ geeint sein, und nach tausend Jahren christlicher Regierung wird der Erlöser selbst zurückkehren, um Sein Reich auf Erden zu errichten.[94] An diese Offenbarung glaube ich so rückhaltlos, wie ein Mensch an seine eigene Existenz glaubt. Ich hoffe, Sie teilen diesen Glauben, Mr. President. Ich weiß, dass Sie in der Vergangenheit Kommentare von sich gegeben haben, die man als skeptisch, ja, sogar als blasphemisch interpretieren könnte …«
»Ich bezweifle, dass Sie Derartiges wissen«, sagte Julian.
»Nun, Sir, ich habe eidliche Erklärungen eines Dominion-Offiziers, eines Major Lampret, der während des Saguenay-Feldzugs Ihrer Einheit zugeteilt war, und er bezeugt dieses Vergehen.«
»Ein Vergehen, ja? Sie sollten Major Lampret wirklich nicht so ernst nehmen. Er war, gelinde gesagt, kein gutes Beispiel für die Männer.«
»Das mag sein; oder er wurde von eifersüchtigen Offizieren diffamiert. Fest steht, Sir, dass Ihr christlicher Leumund in gewissen Kreisen nicht der beste ist, und es wäre eine gute Idee, wenn Sie sich öffentlich zum Dominion bekennen würden.«
»Und wenn ich es täte, wenn ich der Presse ein entsprechendes Statement zukommen ließe, würde das die ekklesiastische Verfügung gegen Mrs. Calyxa Hazzard aus der Welt schaffen?«
»Das bliebe abzuwarten. Ich bin optimistisch.«
»Aber die Verfügung bleibt bestehen, solange ich diese Geste nicht gemacht habe?«
Diakon Hollingshead war klug genug, keine Drohung auszusprechen. »Von uns aus kann Mrs. Hazzard auf dem Palastgelände bleiben, bis sie ihr Kind zur Welt gebracht hat und das Verfahren eröffnet werden kann.«
»Sie bestehen auf einem Prozess!«
»Die Beweise gegen Mrs. Hazzard sind erdrückend — die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf.«
»Ein Prozess, und dann? Haben Sie wirklich vor, sie ins Gefängnis zu bringen?«
»Nach Aktenlage«, sagte Hollingshead, »wäre das nicht der erste Gefängnisaufenthalt dieser Frau.«
Die restliche Unterredung bekam ich nicht mehr mit — ich konnte nur noch an Calyxa denken, und es bedurfte einer gewaltigen Anstrengung, mich davon abzuhalten, dem Diakon an den Hals zu springen. Hollingshead war von kräftiger Statur, und ich hätte es vielleicht nicht geschafft, ihn zu erwürgen; aber allein der Versuch wäre ungemein befriedigend gewesen …
Julian kürzte die Unterredung ab und bat einen Gardisten, Diakon Hollingshead samt Sekretär und ekklesiastischer Polizei vom Palastgelände zu bringen. Dann riet er mir, tief Luft zu holen, da mir sonst das krasse Gegenteil passiere wie dem Kipper, der zu tief getaucht war.
»Er will Calyxa ins Gefängnis bringen!«, sagte ich.
»So sieht es aus. Aber vorerst ist sie in Sicherheit, Adam, und wir haben Zeit genug, um uns eine Strategie zu überlegen.«
»Strategie — das ist mir zu wenig! Es sieht so aus, als würde er sie als Geisel halten.«
»Genau das tut er. Selbst wenn ich kapituliere, wird er sie nicht freigeben — um mich auf die Probe zu stellen.«
»Wozu dann eine Strategie?«
»Nun«, sagte Julian und rupfte an seinem blonden Bart, dass die Narbe nur so tanzte, »die Strategie ist, dass wir auch eine Geisel nehmen.«
Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, und erklären wollte er es nicht. Er bat mich, die Einzelheiten der Unterredung für mich zu behalten (und vor allem Calyxa nichts zu erzählen), bis er die einzelnen Schritte ausgearbeitet habe. Er sei fest entschlossen, die Verfügung auszuhebeln, und versprach mir, dass Calyxa kein Haar gekrümmt würde.
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Das ist die zentrale Lehre des Dominions, zu der sich jede teilhabende Kirche bekennen muss.