Ich gab mir alle Mühe, ihm zu glauben.
Am 1. Januar 2175 umzingelte ein Sonderkommando der Republikanischen Garde das antike Gebäude in der Fifth Avenue, das dem Dominion als Archiv für verbotene säkulare Bücher und Dokumente diente. Die Gardisten vertrieben den Kurator und seine Mitarbeiter und besetzten das Gebäude. In einem amtlichen Erlass, der am selben Tag im Spark und anderen New Yorker Tageszeitungen veröffentlicht wurde, verkündete Julian, dass »Sicherheitsbelange« es erforderlich machten, das Dominion-Archiv zu »föderalisieren«. Die Anstrengungen des Dominions, die Öffentlichkeit vor den Fehlern und Irrtümern der Säkularen Alten zu bewahren, indem es die Tore dieser großen Bibliothek verriegelt, ist zwar löblich, inzwischen aber nicht mehr zu verantworten, denn in der heutigen Zeit ist Wissen eine Kriegswaffe, schrieb er. Um Erfolg und Wohlstand der Vereinigten Staaten zu mehren, habe ich die Armee angewiesen, diese Institution sicherzustellen und sie schrittweise für militärische und zivile Forschungen zu öffnen.
Damit hatten wir unsere Geisel genommen! Nur dass es ein Gebäude war und keine Person.
Hollingshead ließ Julian einen feurigen Protest mit dem Briefkopf des Dominions überbringen. Julian las ihn lächelnd, zerknüllte ihn und warf ihn über die Schulter.
3
Die Monate zwischen Weihnachten und Ostern, die ich zum größten Teil auf dem Gelände des Regierungspalasts und unter zermürbenden Umständen verbrachte, waren trotzdem in vielerlei Hinsicht eine glückliche Zeit.
Vor allem natürlich, weil ich mit Calyxa zusammen war. Sie stand nach wie vor unter ekklesiastischem Hausarrest und durfte das wehrhaft umfriedete Palastgelände nicht verlassen (wobei ihr Aktionsradius, wie man sich denken kann, ohnehin eingeschränkt war); immerhin hatten wir Julians Zusicherung, sie vor den Häschern des Diakons zu schützen und ihr die beste medizinische Versorgung zukommen zu lassen, die eupatridische Ärzte zu bieten hatten.
Ich schrieb unterdessen an dem Roman, den ich Mr. John Hungerford, dem Verleger des Spark, versprochen hatte. Ich schwankte zwischen den Titeln A Western Boy at Sea oder Lost and Found in the Pacific. Bis zu einem gewissen Grad befolgte ich den Rat, den mir Theodore Dornwood nach der Schlacht von Mascouche gegeben hatte: Schreibe, was du weißt. Der Held war ein junger Mann wie ich, wenn auch ein bisschen einfältiger und vertrauensseliger. Eine große Rolle spielten die pazifischen Inseln und Piraten und Seeabenteuer im Allgemeinen. Diese Passagen lebten von meinen Erfahrungen an Bord der Basilisk und ein paar freimütigen Anleihen bei Charles Curtis Easton, aus dessen Geschichten ich all mein Wissen über asiatische Piraterie schöpfte.
Dieses Buch zu schreiben machte mir einfach Spaß, und ich fand es originell und gut zugleich, obwohl das, was originell war, nicht immer gut war, und umgekehrt. Mr. Hungerford gefielen die Kapitel, die ich ihm zeigte, und er meinte, das fertige Produkt würde sich angesichts des Zeitgeschmacks wahrscheinlich wie geschnitten Brot verkaufen.
An den meisten Tagen schrieb ich bis mittags und aß dann mit Calyxa eine warme Mahlzeit. Am Nachmittag ging ich zur Ertüchtigung spazieren, manchmal in den Straßen von Manhattan und immer öfter, als das Wetter besser wurde, im Palastgelände. Der »Park«, wie einige Platzwarte das Gelände immer noch nannten, war voller Seltsamkeiten, die jeden streunenden Müßiggänger in ihren Bann zogen. Hier gab es zum Beispiel eine ältere männliche Giraffe — letzter Spross einer Familie dieser unwahrscheinlichen Geschöpfe, die Schenkung eines afrikanischen Premierministers aus den Zeiten der Pius-Präsidenten —, die frei herumlaufen durfte und Blätter von den Bäumen fraß oder Heu aus den Dachluken der Pferdeställe. Man tat gut daran, auf Abstand zu bleiben, denn sie war ziemlich launig und jagte jeden in die Flucht, über den sie sich ärgerte. Doch sie war wunderschön, solange man sie aus sicherer Entfernung betrachtete, wo ihr schäbiger Charakter nicht zur Geltung kam. Sie hielt sich gerne auf der Statuary Lawn auf, und es war faszinierend zuzusehen, wie die Giraffe den Schatten von Cleopatra’s Needle aufsuchte oder an der kupfernen Fackel des Colossus of Liberty stand, als erwarte sie jeden Moment, dass daraus grüne und essbare Triebe sprossen, was natürlich nie geschah.
An regnerischen Tagen suchte sie Schutz im Götterbaumhain in der Nähe des Weihers. Es gab eigens Zäune, um sie vom Jagdrevier fernzuhalten, damit sie nicht versehentlich getroffen wurde. Sie heiße Otis, verrieten mir die Platzwarte. Dieser Otis war ein nobler Junggeselle, und er hatte meine Bewunderung.
Es gab Tage in diesem Winter, da Julian, müde vom Gezerre des Präsidentenamtes, bei uns hereinschaute und fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm durchs Revier zu laufen. Wir streiften mehrere sonnig kalte Nachmittage durch den Wildpark, ließen aber die Gewehre geschultert und durchlebten noch einmal die einfachen Freuden, die wir in Williams Ford geteilt hatten. Julian redete über Philosophie und das Schicksal des Universums und dergleichen — Interessen, die neue Nahrung bekamen durch seine Streifzüge im Dominion-Archiv und vertieft waren durch seine Kriegserlebnisse. Er klang melancholisch, fast elegisch, was ich von ihm nicht kannte und auf den Goose-Bay-Feldzug zurückführte, der ihm so hart zugesetzt hatte wie nichts zuvor.
Er besuchte oft das inzwischen zugängliche Archiv. An einem Samstag im März lud er mich zu einem Besuch des umstrittenen Gebäudes ein. Die Marmorfassade war eines der ältesten aufrechten Bauwerke der Stadt und wurde nach wie vor von bewaffneten Gardisten umringt, um jeden Versuch einer Wiederbesetzung durch die ekklesiastische Polizei im Keim zu ersticken. Die Republikanische Garde eskortierte uns den ganzen Weg vom Palast bis zur Tür, doch einmal drinnen konnten wir ohne Begleitung durch die, wie Julian sie nannte, »Regalflure« wandern — Raum um Raum mit engen, parallelen Fluren zwischen langen Standregalen, die dicht bepackt waren mit Büchern der Säkularen Alten.
»Ein Glück, dass die Alten so viel Lesestoff produziert haben«, meinte Julian, wobei seine Stimme zwischen den staubigen Fluren hallte. »Beim Niedergang der Städte dienten Bücher nicht selten als Brennstoff. Millionen Exemplare müssen so verlorengegangen sein — und weitere Millionen durch Vernachlässigung, Schimmel, Überschwemmungen und so weiter. Aber, wie du siehst, wurden sie in so hohen Auflagen gedruckt, dass viele überdauert haben. Das Dominion hat uns einen unschätzbaren Dienst erwiesen, indem es sie aufbewahrt hat — und ein abscheuliches Verbrechen begangen, sie den Menschen vorzuenthalten.«
Die Archivare des Dominions hatten die Bücher verwahrlosen lassen, die Titel gehorchten keiner erkennbaren Ordnung; immerhin wurden sie jetzt dank Julian einzeln erfasst und katalogisiert. »Hier«, sagte Julian und lenkte meine Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Regal, das seine Truppe von Gelehrten und Assistenten zu ordnen begonnen hatte; es war mit SCIENTIFIC SUBJECTS beschriftet. Da standen gleich drei Exemplare von History of Mankind in Space, alle gut erhalten, Einband und Bindung intakt.
Er nahm eines heraus und gab es mir. »Behalte es, Adam — dein altes muss inzwischen auseinanderfallen, und hier stehen immer noch welche. Keiner wird es vermissen.«
Dieses Exemplar besaß, anders als das von der Halde in Williams Ford, einen bunten Schutzumschlag mit einem Bild, das die »Marsebenen« zeigte, wie ich aufgrund der Lektüre erkannte — staubig unter einem rosaroten Himmel. Das gedruckte Bild war so scharf und klar, dass ich fröstelte, als ob mir daraus der ätherische Wind dieses fernen Planeten entgegenbliese. »Aber das muss sehr wertvoll sein«, sagte ich.