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Daran entzündete sich nun eine lebhafte Diskussion über Theologie, die Existenz Gottes, die Evolution durch natürliche Auslese und lauter solche Sachen, über die sie sich wohl schon als Kinder die Köpfe heißgeredet hatten. Ich blieb zwangsläufig außen vor bei solchen Themen und verbrachte die Zeit damit, in den primitiven Drucksachen zu blättern, die überall herumlagen.

Zwischen Drucksachen und Unterhaltung begann sich mir ein Umriss von Magnus Stepneys ungewöhnlicher Lehre abzuzeichnen. Er war ein überzeugter Apostat, insofern er die Legitimität des Dominion of Jesus Christ als einer weltlichen Macht leugnete und sein Gottesbild von Grund auf unorthodox war. Gott, so behauptete er, wohne in keinem Buch der Welt, sei aber eine Stimme, die jeder Mensch hören könne (und die von den meisten ignoriert werde). Der übliche Name für diese Stimme sei Gewissen. Und das Gewissen habe alle Eigenschaften eines Gottes. Wie anders wolle man eine unsichtbare Entität nennen, die dasselbe zu allen Menschen sage, ohne Rücksicht auf Klasse, Land, Sprache oder Hautfarbe? Weil diese Stimme nicht im Individuum wohne, sondern unentwegt von allen geistig gesunden Menschen erfahren werde, müsse sie mehr als nur menschlich sein, müsse sie Gott selbst sein!

Götter, versicherten die Druckschriften, seien keine übernatürlichen, sondern feinstoffliche Lebewesen, wie ätherische Pflanzen, die sich zusammen mit der menschlichen Rasse entwickelten. Wir seien lediglich ihr Medium — unser Hirn und Fleisch der Boden, in dem sie sprießen und wachsen könnten. Es gebe andere Götter neben dem Gewissen; doch allein das Gewissen sei anbetungswürdig, denn seine Gebote weltweit zu befolgen hieße, das wahre Eden zu schaffen, ein Eden gegenseitigen Vertrauens und allumfassender Nächstenliebe.

(Ich gebe diese Ideen hier nicht zum Besten, weil ich sie billige, sondern um Magnus Stepney und seine Lehre ins richtige Licht zu rücken. Auf den ersten Blick fand ich seine Ideen allerdings exzentrisch und beunruhigend.)

Um nichts anderes drehte sich die Diskussion der beiden, sie tat es nur ausführlicher. Julian hatte offenbar seine helle Freude an den luftigen Abstraktionen und daran, den Pastor mit logischen Einwänden zu bedrängen, die Stepney seinerseits mit der gleichen Freude zu parieren suchte.

»Aber du bist ein Philosoph!«, rief Julian einmal. »Das ist Philosophie, nicht Religion, denn du lehnst übernatürliche Wesen ab — nun tu doch nicht so.«

»Meinetwegen ist es Philosophie, man kann es so oder so sehen«, lenkte Stepney ein. »Aber Philosophie ist eine brotlose Kunst, Julian. Religion ist lukrativer.«

»Ja, bis man dir die Kirche wegnimmt. Weißt du, dass man bei der Razzia meine Mutter und Adams Frau festgenommen hat?«

»Nein! Ihnen ist doch nichts geschehen?«, fragte Stepney — die Besorgnis, mit der er es tat, schien echt zu sein.

»Jedenfalls musste ich sie unter meine Fittiche nehmen.«

»Worauf ist Verlass, wenn nicht auf die Fittiche des Präsidenten!«

»Sie sind nicht so robust, wie man glauben möchte. Hast du gar keine Angst vor dem Dominion, Magnus? Du wärst im Gefängnis, wenn du ihnen nicht entwischt wärst.«

Pastor Stepney zuckte die breiten Schultern. »Ich repräsentiere nicht die einzige freie Kirche in der Stadt. Die Sache wird erst gefährlich, wenn das Dominion in gereizter Stimmung ist — die Diakone rufen nur ein-, zweimal in zehn Jahren zum Kreuzzug auf. Lass ein paar Wochen oder Monate ins Land gehen, dann erklären sie die Stadt für gesäubert, und die freien Kirchen schießen wieder wie Pilze aus dem Boden.«

Der Versammlungsraum der Church of the Apostles etc. besaß ein einziges, hoch gelegenes Rundfenster, das mir verriet, dass der Tag zur Neige ging. Ich zeigte nach draußen und erinnerte Julian, dass ich Calyxa versprochen hatte, bis Einbruch der Dunkelheit wieder bei ihr zu sein (woran ihr in diesen letzten nervösen Wochen der Schwangerschaft gelegen war).

Julian schien nur ungern aufzubrechen — er genoss die Gesellschaft des Pastors und saß so dicht bei ihm, dass sich ihre Knie berührten —, doch er blickte zum Fenster hinauf, nickte und stand auf. Die beiden umarmten sich wie alte Freunde.

»Du solltest mich im Palast besuchen«, sagte Julian. »Meine Mutter würde sich riesig freuen.«

»Hältst du das für klug?«

»Für hinreißend«, sagte Julian. »Ich schicke dir eine Einladung, diskret.«

Pastor Magnus Stepney kam tatsächlich in den Regierungspalast, mehr als einmal in den folgenden Monaten und blieb nicht selten über Nacht. Und Julians erneuerte Bekanntschaft mit seinem alten Freund zeitigte zwei unmittelbare und unvorhergesehene Resultate.

Zum einen hatte Julian plötzlich ein weiteres Motiv, sich in die Beziehungen zwischen Zivilbehörden und Dominion einzumischen. Er ließ Juristen kommen, studierte ekklesiastisches Recht und kam zu bestimmten Schlüssen. Das Dominion habe, so Julian, de facto keine wirkliche Gerichtsbarkeit über die nicht angeschlossenen Kirchen, außer dass es ihnen den Beitritt verweigern könne. Die Macht der Diakone erwachse aus den legalen Konsequenzen dieser Verweigerung. Eine freie Kirche (so wie sie sich selbst nannten) war a priori keine registrierte karitative Einrichtung, und ihre Spendengelder und Besitztümer waren steuerpflichtig. Tatsächlich wurden sie sogar extrem hoch besteuert, wodurch die Gesetzeskonformen in den Bankrott und die anderen in die Illegalität getrieben wurden. Diese Bestimmungen seien von einem willfährigen Senat verabschiedet worden und wurden von Zivilbehörden durchgesetzt, nicht vom Dominion.

Julian erhob Einspruch gegen derartige Bestimmungen, weil sie dem Dominion unangemessen große Befugnisse einräumten. Um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, bereitete er ein Gesetz vor, die Besteuerung dieser Kirchen dem allgemein gültigen Niveau anzupassen und die Beweislast für »Ketzerei« dem beschwerdeführenden Diakon aufzuerlegen. Julian spürte, dass seine Popularität reichte, diese Vorlage durch den Senat zu boxen, selbst gegen den erbitterten Widerstand des Dominions. Immerhin war dieses Gesetz ein Angriff auf das überkommene geistliche Monopol des Dominions. Sam billigte diesen Schachzug nicht — er sei nur angetan, einen neuen Streit vom Zaun zu brechen —, doch Julian stellte sich taub und beauftragte seine Untergebenen, den Entwurf so bald wie möglich vor den Senat zu bringen.

Das zweite sichtbare Resultat der Besuche von Pastor Magnus Stepney war ein Wandel in Sams Beziehung zu Emily Baines Comstock. Mrs. Comstock machte Magnus Stepney ihre Aufwartung, wann immer er zu Besuch war (obwohl er ihr Enkel hätte sein können), machte ihm in Hörweite anderer Komplimente und sagte, sie wundere sich nicht, dass er aus eupatridischem Hause sei, und verstreute lauter solche Schmeicheleien. Dieser Überschwang wirkte auf Sam wie ein Sägeblatt auf ein rohes Stück Holz. Er hatte keine Lust, Mrs. Comstock so offenkundig von einem anderen, jüngeren Mann entzückt zu sehen. Sie sollte eigentlich wissen, wem ihre Gefühle galten. Deshalb nahm er nach reiflicher Überlegung all seinen Mut zusammen, überwand seine Schüchternheit und platzte bei uns herein, als sie mit Calyxa und mir zu Abend aß.

Er stand zitternd und schweißnass da. Mrs. Comstock starrte ihn an, als sei er ein Gespenst, und fragte, was los sei.

»Die Umstände«, begann er und zögerte und schüttelte den Kopf, als sei er über seine Unverfrorenheit entsetzt.

»Umstände?«, half Mrs. Comstock nach. »Welche Umstände, und was ist mit ihnen?«

»Die Umstände haben sich geändert …«

»Etwas genauer, wenn es in deiner Macht steht.«