»Als Julian noch nicht Präsident war, da konnte ich unmöglich … das heißt, es hätte mir nicht angestanden … obwohl ich dich immer verehrt habe, Emily … du weißt, dass ich dich verehrt habe … unser Platz in der Gesellschaft war … aber wem erzähle ich das … ich als Soldat und du hochgeboren … aber bei den jüngsten Veränderungen in unserem Leben … nicht bloß in deinem und meinem … kann ich nur hoffen, dass meine Gefühle erwidert werden … nicht dass ich mir anmaße, für dich zu sprechen, Emily … ich möchte dich … voller Hoffnung … ganz bescheiden …«
»Was möchtest du mich? Nun mach schon, Sam, oder gib es auf. Du redest wirres Zeug, und wir wollten gerade zum Dessert übergehen.«
»Um deine Hand bitten«, sagte er lammfromm und vergaß zu atmen (wie es überhaupt nicht zu Sam passte).
»Meine Hand!«
»Deine Hand, Emily.«
»Guter Gott!«, sagte Mrs. Comstock, wobei sie von ihrem Stuhl aufstand.
»Willst du, Emily?«
»Was für ein unbeholfener Antrag!«
»Bekomme ich deine Hand?«
Sie hielt ihm stirnrunzelnd die Hand hin. »Wie sollte ich Nein sagen, wo dir schon eine abhandengekommen ist.«
Sam und Emily wollten Mitte Mai heiraten. Es sollte eine stille Hochzeit werden, da sie Witwe und er ungewisser Abstammung war (wie man unter Eupatriden sagte). Ich würde diese Feier als das unwiderrufliche Ende der kurzen »goldenen Ära« in der Regierungszeit von Julian dem Eroberer bezeichnen — zuvor allerdings traten noch ein paar (aus meiner Sicht) relevantere Ereignisse ein. Am Dienstag, dem 11. April, zwei Tage nach Ostern, beendete ich A Western Boy at Sea oder Lost and Found in the Pacific. Ich suchte Mr. Hungerford, meinen Verleger, auf und übergab ihm das maschinengeschriebene Manuskript. Er bedankte sich und wollte es möglichst rasch in Druck geben, um den Erfolg von The Adventures of Captain Commongold auszunutzen. Mitte Sommer, meinte er, würde es ausgeliefert.
Noch wichtiger war, dass am Nachmittag des 21. April Calyxas Wehen einsetzten — dieser Freitag war so heiter wie alle Tage dieser Jahreszeit, mit einem hohen blauen Himmel und einer lauwarmen Brise.
Der Arzt, der sich um Calyxa kümmerte, hieß Cassius Polk. Dr. Polk war ein hoch angesehener, schlohweißer, alter Herr, der eine unglaubliche Würde ausstrahlte und weder rauchte noch Alkohol trank. Je näher der Termin rückte, umso mehr Zeit verbrachte er bei uns, gelegentlich blieb er sogar über Nacht. Julian hatte ihn auserkoren, sich ausschließlich um Calyxa zu kümmern, und bezahlte ihn fürstlich für die aufgewendete Zeit.
An jenem Freitagnachmittag saß er mit mir am Küchentisch. Calyxa war nach oben gegangen und hatte sich hingelegt, was sie nachmittags meistens tat. Wir wussten, es war bald so weit. Ihr Bauch war stramm wie eine Trommel, und wenn ich sie nachts im Arm hatte, konnte ich fühlen, wie das Kind sich erstaunlich lebhaft und entschlossen drehte und austrat. Es schien ein klein wenig Verspätung zu haben.
Dr. Polk nippte an dem Glas Wasser, das ich ihm gegeben hatte. Er redete gerne, vor allem über seine Arbeit. Er hatte sich auf Geburtshilfe und weibliche Probleme spezialisiert und praktizierte in einem begehrten Sektor von Manhattan, wenn er nicht gerade bei der Entbindung angesehener Eupatridinnen half. Viele seiner Patientinnen, erzählte er, seien junge, wohlhabende Frauen, »die auf Teufel komm raus diese Impfläden frequentieren. Ich kläre sie gründlich auf, aber sie hören natürlich nicht.«
Ich sagte ihm, ich verstünde zu wenig davon.
»Oh, Impfen ist prinzipiell eine gute Sache. Geimpft wurde schon vor der Blütezeit des Öls, eine vorbeugende Maßnahme gegen bestimmte Krankheiten. Aber es muss medizinisch einwandfrei durchgeführt werden. Sich impfen zu lassen ist inzwischen Mode, und da liegt das Problem. Eine Narbe auf dem Oberarm macht eine Frau angeblich attraktiver für ihre Verehrer und signalisiert obendrein Reichtum, denn die Läden verlangen absurde Summen für ihre Dienste.«
»Trotzdem, wenn es doch vor Krankheiten schützt …«
»Manchmal schützt es — viel öfter ist Betrug im Spiel. Eine Spritze voll Süßwasser und eine angespitzte Stricknadel. Profitabler Betrug an jeder Ecke, der eher krank macht, als vor Krankheiten schützt. Erst diesen Monat sind wieder Pocken ausgebrochen, ein neuer Stamm, besonders virulent unter den Hochgeborenen, wahrscheinlich ein Resultat dieser unhygienischen Praktiken.«
»Kann der Senat kein Gesetz erlassen?«
»Gegen die Impfläden? Könnte er schon; aber die Senatoren sind mit der Idee des Freien Handels verheiratet und mit der ›unsichtbaren Hand‹ des Marktes und lauter solchen Chimären. Natürlich bekommen auch sie die Folgen zu spüren — spätestens wenn ihre Töchter erkranken. Fünfzehn Fälle allein in dieser Woche. Letzte Woche zehn. Kein Pockenstamm, den wir kennen. Nach Aussehen und Symptomen zwischen Hundepocken und Denver Pocken.«
»Und der Verlauf?«
»Weniger als die Hälfte meiner Patientinnen haben überlebt.«
Das war alarmierend. »Rechnen Sie denn mit einer Epidemie?«
»Im Laufe meines Berufslebens ist diese Stadt mindestens sechsmal heimgesucht worden. Und es ist kein Tag vergangen, an dem ich keine Angst vor einem neuen Ausbruch hatte, Mr. Hazzard. Wir wissen nicht, wie es zu einer Epidemie kommt, und wir wissen nicht, wie man sie aufhalten kann. Wenn es nach mir ginge …«
Ich sollte nie erfahren, was hätte getan werden müssen, wenn es nach ihm ginge, denn Calyxa rief plötzlich um Hilfe. Ihre Presswehen hatten eingesetzt, und Polk stürzte zur Treppe, um ihr beizustehen.
Ich blieb unten. Er hatte mir geraten, mich fernzuhalten, und ich hatte ihm nicht widersprochen. Alles, was ich über den Vorgang der Geburt wusste, war das, was ich als Stalljunge in Williams Ford gelernt hatte. Theoretisch verstand ich, dass Calyxa nun dieselben Strapazen durchmachen würde wie die fohlenden Zuchtstuten der Duncans und Crowleys, aber meine Erinnerungen wollten nicht zu meinen intimen Kenntnissen über Calyxa passen — ein Vergleich war nur ekelhaft.
Oben aus dem Schlafzimmer kamen Calyxas Schreie in immer kürzeren Abständen. Dr. Polk hatte sofort, als die Wehen einsetzten, nach einer Geburtshelferin geschickt (wie die Eupatriden ihre Hebammen nannten), und als die Frau eintraf und meine hilflose Angst sah, träufelte sie etwas Hanföl und Opium in ein Glas Wasser und verlangte, dass ich die Arznei in einem Zug austrank.
Ich war solche Tinkturen nicht gewöhnt. Die Wirkung trat noch in derselben Stunde ein und war alles andere als beruhigend. Meine Gedanken machten sich selbstständig; nicht lange, und meine ganze Aufmerksamkeit galt den Türen unserer Küchenschränke. Das geölte Eichenholz wurde zu einer Art Kinoleinwand, und die Maserung verwandelte sich in Tiere, Dampfmaschinen, tropische Wälder, Kriegsszenen und allerlei andere Dinge. Diese Eindrücke gingen ineinander über wie das sprudelnde und gurgelnde Wasser eines steinigen Wildbachs. Ich lachte über einige Visionen und prallte vor anderen zurück — ein Beobachter hätte meinen können, ich sei schwachsinnig…
Dr. Polk und die Hebamme geisterten um mich herum, ließen Wasser in Gefäße laufen, wuschen Handtücher aus. Stunden vergingen, die ebenso gut Minuten oder Monate hätten sein können. Erst ein gewaltiger Schrei aus dem Schlafzimmer riss mich vollends aus meinen Tagträumen — ein tiefer Schrei aus einer männlichen Kehle, Dr. Polk.
Ich erhob mich schwankend. Nicht dass ich den Rat des Doktors vergessen hätte, ihm nicht im Weg zu sein. Doch jetzt herrschte eine Art Ausnahmezustand. Hatte Dr. Polk wirklich geschrien, oder hörte ich Gespenster? Ungewissheit verzögerte meine Schritte. Dann tat es noch einen Schrei, er stammte weder von Calyxa noch von Polk — er kam aus einer weiblichen Kehle, die Hebamme! Eine kalte Hand griff mir ans Herz, und ich stürzte die Treppe hinauf.