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»Er ist gerade erst Präsident geworden.«

»Was heißt das schon? Es gab Präsidenten, die kürzer im Amt waren.«

Ja, es hatte Präsidenten gegeben, die nach kurzer Amtszeit abgesetzt oder umgebracht worden waren, aber nur unter ganz ungewöhnlichen Umständen. Am bekanntesten ist der junge Varnum Bayard, der das Amt 2106 geerbt hatte und es binnen einer Woche wieder los gewesen war; aber das hatte daran gelegen, dass er erst zwölf Jahre alt und zu unerfahren gewesen war, um sich gegen einen Staatsstreich zu wehren. Bis jetzt sitze Julian fest im Sattel, versicherte ich Calyxa.

»Das ist eine Illusion. Früher oder später müssen wir hier weg, Adam, aus dem gleichen Grund, weshalb wir hierhergezogen sind. Sechs Monate noch — ein Jahr vielleicht — auf keinen Fall mehr.«

»Und wo ziehen wir hin? In die Stadt? — Ich bin doch bekannt wie ein bunter Hund. Außerdem grassieren wieder die Pocken.«

»Wenn es hart auf hart kommt, Adam, verlassen wir die Stadt. Vielleicht sogar das Land.«

»Das Land?«

»Damit Flaxie nichts zustößt — wäre das nicht Grund genug?«

»Natürlich, wenn das die einzige Möglichkeit wäre, sie zu beschützen, was ich nicht glauben kann — noch nicht!«

»Noch nicht«, gab Calyxa zu, wobei die geschürzten Lippen Bedenken signalisierten; sie blickte durch die Wände ins Unendliche. »Nein, noch nicht; aber die Zeit bleibt nicht stehen, Adam. Die Dinge ändern sich. Julian macht eine Gratwanderung — das ist ihm hoch anzurechnen —, aber ich will nicht, dass Flaxie etwas zustößt, welche Politik auch immer er verfolgt.«

»Natürlich lassen wir nicht zu, dass Flaxie etwas zustößt.«

»Sag das noch mal, Adam, bitte, dann kann ich vielleicht schlafen.«

»Flaxie wird nichts zustoßen«, versprach ich ihr.

»Danke«, sagte sie und seufzte.

Und dann schlief sie tatsächlich ein. Und ich lag wach; dasselbe Gespräch, das ihre Ängste beschwichtigt hatte, hatte die meinen geschürt. Nachdem ich mich eine gute Stunde von einer Seite auf die andere gewälzt hatte, zog ich mir etwas über und setzte mich auf die Veranda. Die Wiesen und Wälder, die den Palast umgaben, lagen finster unter einem klaren, mondlosen Himmel. Die festen Stunden für die Illumination von Manhattan waren vorbei, und die Stadt schien erblindet. Die sommerlichen Sternbilder wanderten über meinen Kopf hinweg, und mir kam in den Sinn, dass diese Sterne genauso gleichgültig auf diese Insel herabgeblinzelt hatten, als sie noch von säkularen Geschäftsleuten bewohnt war, oder lange davor von heidnischen Ureinwohnern und davor von Mammuts und Riesenfaultieren (falls man Julians Geschichten glauben durfte). Und weil drinnen meine Frau und mein Kind schliefen und sie keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt waren, sandte ich das Gebet gen Himmel, dieser besondere Moment möge doch nie zu Ende gehen und sich an seinem Zustand nie etwas ändern.

Doch die Welt würde sich verändern — nichts würde sie davon abhalten. Das hatte Julian mir vor langer Zeit in Williams Ford gepredigt; und die Ereignisse hatten ihm Recht gegeben.

Die Sterne gingen unter, die Sterne gingen auf. Ich ging wieder ins Haus und legte mich schlafen.

Mr. Hungerford hatte A Western Boy at Sea bis spätestens 4. Juli herausbringen wollen, in dem Glauben, die patriotischen Gefühle dieses Universellen Feiertages könnten den Absatz steigern. Seine Setzer waren rechtzeitig fertig: Das Buch wurde gedruckt und kam am Ersten des Monats in den Verkauf. Anlässlich des Erscheinens fand in den Räumen des Spark eine kleine Feier statt.

Abgesehen von Mr. Hungerford kannte ich so gut wie niemanden in dem Büro. Manche waren Autoren von anderen Büchern in Hungerfords Programm — alles in allem ein schäbiges Häuflein (was nicht heißen muss, dass ihre Bücher nichts taugen), den meisten stand der selbstzerstörerische Lebenswandel ins Gesicht geschrieben. Unter den Anwesenden waren auch Groß- und Einzelhändler aus Manhattan, eine Gaunerbande für sich, nur nicht so hoffnungslos verkommen wie die schreibende Zunft und ehrlicher in ihrer Begeisterung für meine Arbeit. Ich war zu allen höflich und nahm mir vor zu lächeln, wann immer ich eine witzige Bemerkung witterte.

Auf einem Tisch türmte sich ein Stapel von A Western Boy at Sea — die ersten Exemplare, die ich zu Gesicht bekam. Ich erinnere mich deutlich an das nervöse Vergnügen, eines dieser Bücher in die Hand zu nehmen und mir die zweifarbige blindgeprägte Illustration auf dem Buchdeckel zu Gemüte zu führen. Sie zeigte meinen Protagonisten, den blutjungen Isaiah Compass aus dem tiefen Westen, wie er — in der Rechten ein Schwert und in der Linken eine Pistole — unter einer angedeuteten Palme gegen einen Piraten kämpft, derweil ihnen ein bedrohlicher Krake zuschaut (der sich unerklärlicherweise nicht in seinem natürlichen Element befand). Nun hatte ich nirgends in meiner Geschichte einen Kraken erwähnt und konnte nur hoffen, dass der Leser, dessen Neugier durch die Illustration geweckt wurde, nicht enttäuscht sein würde, wenn das Tier zwischen den Buchdeckeln gar nicht vorkam. Mr. Hungerford winkte ab, als ich ihm meine Befürchtung mitteilte. In meinem Roman gebe es bessere Sachen als einen Kraken. Der sei nur da, die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden zu erregen, und spiele insofern eine durchaus hilfreiche Rolle. Dennoch fragte ich mich, ob ich meinen nächsten Roman nicht mit einem Kraken oder sonst einer bedrohlichen Lebensform aus dem Meer bereichern sollte, um jene Leser zu entschädigen, die sich diesmal betrogen fühlten.

Ein New Yorker Schriftsteller, der bei dieser Feier nicht anwesend war (schließlich war Hungerford nicht sein Verleger), hieß Charles Curtis Easton. Ich fragte Mr. Hungerford, ob er diesem berühmten Autor jemals begegnet sei.

»Charles Easton? Im Vorbeigehen, ein- oder zweimal. Er ist ein sehr netter alter Herr, überhaupt nicht eingebildet. Er wohnt irgendwo an der 82 sten

»Ich habe ihn immer bewundert.«

»Warum besuchen Sie ihn nicht, wenn Sie neugierig sind? Er soll es gerne haben, wenn ihn Kollegen besuchen — wenn sie seine Zeit nicht allzu sehr in Anspruch nehmen.«

Der Vorschlag faszinierte und bestürzte mich gleichermaßen. »Ich bin ihm doch völlig fremd …«

Hungerford quittierte meinen Einwand mit einem wegwerfenden Kopfschütteln, nahm eine Visitenkarte heraus und schrieb etwas auf die Rückseite (ein paar Worte über mich und meine Arbeit, wie ich nachher las). »Nehmen Sie das mit, wenn Sie ihn besuchen — das weckt seine Neugier.«

»Ich will ihn lieber nicht stören.«

»Das liegt ganz bei Ihnen«, sagte John Hungerford. »Tun Sie, was Sie für richtig halten.«

Selbstverständlich wollte ich Charles Curtis Easton begegnen. Aber ich hatte Angst, mich zu blamieren — ihn mit Schmeicheleien zu überhäufen oder meine Unreife sonst wie zu verraten. Nein, ich würde ihn auf keinen Fall besuchen, jedenfalls nicht als Debütant mit einer gekritzelten Empfehlung.

Julian sollte meinem dürftigen Vorspann etwas Entscheidendes hinzufügen.

Er war zu Besuch bei Calyxa, als ich zum Gästehaus zurückkam. Flaxie saß auf seinem Schoß und strich mit ihrem Händchen durch seinen Bart. Wem hing schon so eine interessante Strähne vom Kinn! Und jedes Mal, wenn sie ein Fäustchen machte und etwas davon zu fassen bekam, zog sie so heftig, als wäre sie Kapitän und Julian die Dampfpfeife, und lachte über die unvermeidlichen Schreie des Bartträgers. Ein Spiel, das beide genossen und Julian derart, dass ihm die Augen tränten.

Ich gab mit meinem neuen Buch an, Julian und Calyxa bekamen je ein Belegexemplar. Sie bewunderten und lobten den Roman, obwohl die Illustration auf dem Buchdeckel unbequeme Fragen aufwarf. Schließlich wurde Flaxie unruhig, und Calyxa ging mit ihr in ein anderes Zimmer, um sie zu stillen.

Julian nutzte die Zeit, um mir anzuvertrauen, dass die Arbeit an The Life and Adventures of the Great Naturalist Charles Darwin auf der Stelle trat. »Immer habe ich diesen Film machen wollen«, sagte er. »Jetzt, da mir alle Mittel zur Verfügung stehen — wer weiß, wie lange noch? —, stirbt mir das Drehbuch unter den Händen. Mir liegt sehr viel daran, Adam. Aber ich muss zugeben, ich schaffe es nicht allein. Und weil du schon einen Roman geschrieben hast und etwas vom Metier verstehst, bitte ich dich um deine Hilfe.«