Er hatte das Manuskript dabei. Es war ein dünner Packen, abgegriffen und mit Eselsohren, weil er jedes Blatt immer wieder in die Hand genommen hatte. Er schien sich zu schämen, als er mir die Seiten aushändigte.
»Wirfst du mal einen Blick rein?«, fragte er bescheiden. »Und gib mir jeden Rat, der dir einfällt.«
»Ich bin nur ein Anfänger«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob ich dir helfen kann.«
Aber ich wusste jemanden, der es womöglich konnte.
Ich wartete bis Montag, den 3. Juli, ehe ich mich zur 82sten fahren ließ, um das Haus von Mr. Charles Curtis Easton zu suchen. Die Sonne schien, und die Hausnummer war gut zu erkennen; doch ich ging vorbei und wieder vorbei und noch einmal vorbei, ehe ich den Mut aufbrachte, zaghaft anzuklopfen.
Eine Frau öffnete, ein kleines zerrendes Kind am Rock. Ich zeigte ihr Hungerfords Visitenkarte mit der Empfehlung. Sie las und lächelte. »Mein Vater hält immer ein Schläfchen zwischen drei und fünf. Aber ich sehe mal nach, ob er ansprechbar ist. Treten Sie doch bitte ein, Mr. Hazzard.«
Also betrat ich das Easton-Anwesen, den Tempel des Erzählens mit seinem fröhlichen Spektakel und einer von Küche und Kindern geschwängerten Luft. Nach einem kurzen Schwebezustand, in dem mich drei dieser Kinder mit unnachgiebigem Interesse anstarrten, kam Mr. Eastons Tochter, fahrbaren Spielsachen und anderen Hindernissen ausweichend, halbwegs die Treppe herunter und lud mich nach oben in das Arbeitszimmer ihres Vaters ein. »Er freut sich, Sie kennenzulernen. Kommen Sie nur, Mr. Hazzard«, sagte sie und zeigte auf die offene Tür. »Nur keine Scheu!«
Drinnen war Charles Curtis Easton. Er sah wirklich so aus wie das Porträt, das man oben auf seine Buchrücken prägte. Er saß an einem überquellenden Schreibtisch unter einem hellen Fenster, das vom Schattenspiel eines Götterbaums gesprenkelt war, der Inbegriff eines arbeitenden Schriftstellers. Sein Haar war schneeweiß, der Ansatz weit zurückgewichen und bildete hinten eine Art Verteidigungswall. Er trug einen Vollbart, auch weiß; und seine Augen, eingebettet in ein liebenswertes Geflecht aus Fältchen, blickten unter elfenbeinfarbenen Brauen hervor. Er war nicht wirklich dick, aber er hatte die Statur eines Mannes, der im Sitzen arbeitet und gerne isst.
»Treten Sie ein, Mr. Hazzard«, sagte er auf die Karte schielend, die ihm seine Tochter gegeben hatte. »Ich freue mich immer, einen jungen Kollegen kennenzulernen. Die Abenteuer des Captain Commongold: von Ihnen, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich und war stolz, dass er davon gehört hatte.
»Ein schönes Buch, auch wenn die Zeichensetzung ein wenig exzentrisch ist. Und Sie haben ein neues geschrieben?«
Ich hielt es in der Hand. Ich hatte es mit einer persönlichen Widmung versehen. Meine Absicht hervorstammelnd, überreichte ich ihm das Geschenk.
»A Western Boy at Sea«, las er und betrachtete den Einband. »Und es kommt ein Krake darin vor!«
»Nein, nein … den Kraken hat sich der Illustrator einfallen lassen.«
»Ach … schade. Aber das Schwert und die Pistole?«
»Die kommen öfters vor.« Meine Verlegenheit tat schon fast weh. Warum hatte ich auch keinen Kraken eingebaut? Es wäre so einfach gewesen. Ich hätte schon vorher daran denken sollen.
»Das ist ja schön«, sagte Mr. Charles Curtis Easton; falls er enttäuscht war, ließ er sich nichts anmerken. Er legte das Buch beiseite. »Setzen Sie sich. Sie haben meine Tochter kennengelernt? Und meine Enkel?«
Ich machte es mir in einem Sessel bequem. »Um ehrlich zu sein, wir haben uns kaum gesprochen, aber Ihre Familie ist wirklich sehr nett.«
Er strahlte bei diesem bescheidenen Kompliment. »Erzählen Sie von sich, Mr. Hazzard. Sie scheinen mir keiner von den Hochgeborenen zu sein — bitte verstehen Sie mich nicht falsch —, und trotzdem pflegen Sie engen Umgang mit dem jetzigen Präsidenten, habe ich Recht?«
Ich schlug so knapp wie möglich einen Bogen aus dem tiefen Nordwesten, wo ich herkam, bis zu unserer momentanen Bleibe auf dem Palastgelände. Erzählte von der Hingabe des lesehungrigen Pächterjungen an sein, Eastons, Werk und dass ich ihm heute noch treu war und seine Bücher nicht selten weiterempfahl. Er nahm mein Lob mit reserviertem Dank zur Kenntnis und stellte Fragen über den Krieg und über Labrador und dergleichen. Er schien ernsthaft interessiert an meinen Antworten, und nach einer guten halben Stunde waren wir »alte Freunde«.
Doch ich hatte nicht vor, ihm lediglich zu schmeicheln, so sehr es ihm zugestanden hätte. Also dauerte es nicht lange, und ich brachte Julian Comstocks Interesse am Theater zur Sprache und seine Absicht, ein Drehbuch zu schreiben; und dass es bei dem Film um etwas gehe, das Julian sehr am Herzen liege.
»Für einen Präsidenten ein ungewöhnlicher Ehrgeiz«, bemerkte Mr. Easton.
»So ist es, Sir, aber Julian ist auch ein ungewöhnlicher Präsident. Seine Liebe zum Kino ist keine Tändelei, sie ist tief in ihm verwurzelt. Aber er ist auf Grund gelaufen, er hat sich festgefahren, und seine schriftstellerische Begabung reicht nicht, um die Geschichte wieder flottzumachen.« Ich ging dazu über, Leben und Abenteuer des großen Naturforschers Charles Darwin zu umreißen …
»Es dürfte nicht leicht sein, aus Charles Darwin und seiner biologischen Evolution einen spannenden Film zu machen«, sagte Mr. Easton. »Und was ist, wenn der Film am Ende nicht die Zustimmung des Dominions findet? Sehr religiöse Menschen sind nicht begeistert von Mr. Charles Darwin, wenn ich an meine Bibelstunden denke.«
»Sie haben ganz Recht. Allerdings hält Julian nichts von der weltlichen Macht des Dominions. Ich denke, in diesem Fall wird er die Einwände zurückweisen.«
»Kann er das?«
»Er sagt Ja. Nun ist das eigentliche Problem das Drehbuch. Es will kein Leben entfalten. Er hat mich um Rat gefragt, aber ich bin nur ein Anfänger. Und da dachte ich — nicht, dass ich Ihre Großmut strapazieren möchte …«
»Um das Drehbuch eines Neulings würde ich mich normalerweise nicht kümmern. Der Auftrag eines amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten ist natürlich etwas anderes. In der Vergangenheit habe ich an filmischen Adaptionen eigener Geschichten gearbeitet. Ja, wenn es erwünscht ist, würde ich mir sein Material ansehen und ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen.«
»Und ob es erwünscht ist, Sir, und ich bin überzeugt, Julian wird dankbar sein für alles, was Sie ihm zu sagen haben. Ich auch, Sir.«
»Haben Sie das Material dabei?«
»Ja«, sagte ich und zog die gerollten Seiten aus meiner Westentasche. »Handgeschrieben, fürchte ich«, denn ich sah, dass Mr. Easton eine Schreibmaschine besaß, die noch eleganter aussah als meine, die ich von Mr. Dornwood bekommen hatte, »aber Julian schreibt ziemlich leserlich.«
»Ich würde es gerne lesen. Würden Sie bitte unten warten, bis ich so weit bin?«
»Sie wollen es sofort lesen, Sir?«
»Wenn Sie so freundlich wären.«
»Natürlich, Sir.« Ich ging nach unten und unterhielt mich eine Weile mit seiner Tochter. Mrs. Robson teilte sich das Haus mit ihrem Vater, wohingegen ihr Mann oben in Quebec City ein Regiment kommandierte. Ihre vier Kinder (wenn ich richtig zählte) sprangen, während wir redeten, in unregelmäßigen Abständen durchs Zimmer, schrien nach Aufmerksamkeit und wischten sich den Schnodder vom Mund. Wann immer sie vorbeikamen, bedachte ich sie mit einem Lächeln und erntete meist nur Grimassen oder respektlose Geräusche.