Der zweite Akt trug den Titel Diversity oder An English Boy at Sea[101], und deckte Darwins aufregende Reisen an Bord des Forschungsschiffes Beagle ab. Auf diesen Reisen rings um Südamerika macht Darwin Beobachtungen an Meeresschildkröten und Finkenschnäbeln, um nur einiges zu nennen, obwohl wir das Wissenschaftliche auf ein Minimum beschränkten, um das Publikum nicht zu überfordern, und eine belebende Szene hinzufügten, in der ein wilder Löwe vorkam. Aufgrund seiner vielen ungewöhnlichen Beobachtungen beginnt Darwin die großartige Idee der Diversität des Lebens zu formulieren (was die Mannigfaltigkeit der Arten meint) und wie diese durch den Einfluss von Zeit und Umwelt auf die Fortpflanzung entsteht. Er beschließt, seine Erkenntnis zu veröffentlichen, obwohl er weiß, dass sie in ekklesiastischen Kreisen nicht willkommen ist. Zu Hause hat Wilberforce — jetzt ein junger Bischof in Oxford und fest entschlossen, noch mehr ekklesiastischen Einfluss zu bekommen — sein Familienvermögen bemüht, um die Beagle von einer Piratenbande versenken zu lassen. Der zweite Akt gipfelt in einem erbitterten Kampf auf offener See, in dessen Verlauf der junge Darwin auf dem Vordeck — wild mit Schwert und Pistole hantierend — musikalisch über die Auswirkungen von Zufall und »Fitness« auf den Ausgang eines Kampfes spekuliert. Der Kampf ist blutig, aber die »Fittesten« überleben (wie in der Natur) — Darwin ist glücklicherweise einer von ihnen.
Zu Beginn des dritten Aktes, The Descent of Man, hat die Kontroverse über Darwins Theorie ganz England erfasst. Darwin hat ein Buch über die »Entstehung der Arten« veröffentlicht; und Wilberforce, jetzt Erzbischof von Oxford, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Werk anzuprangern und seinen Autor lächerlich zu machen. Er will auf diese Weise einen Keil zwischen Emma Wedgwood und Darwin treiben; die beiden haben (auf Drängen von Emmas Familie) ihre Hochzeit auf den Tag verschoben, da sich die öffentliche Meinung wieder deutlicher zu Darwins Ehrbarkeit bekennt. Das scheint in weite Ferne gerückt zu einer Zeit, da Englands Kirchen widerhallen von antidarwinistischer Rhetorik, Oxford von randalierenden Fackelträgern bedroht wird und Emma vom Konflikt zwischen romantischer Liebe und religiöser Pflicht hin- und hergerissen wird. Der Sturm gipfelt in einer öffentlichen Debatte im überfüllten Londoner Rathaussaal, als Darwin und Wilberforce über die Verwandtschaft zwischen Mensch und Affe streiten. Darwin erläutert (singt) seine Theorie ausdrucksvoll und nicht ohne Humor; wohingegen Wilberforce, unter dem grellen Licht der Logik, als eifersüchtiger Wichtigtuer entlarvt wird. DARWIN, EIN GROSSER GELEHRTER!, titelt die London Times am Tag darauf und besänftigt die allgemeine Erregung und ebnet für Emma und Darwin den Weg zum Traualtar. Doch Wilberforce will die Demütigung nicht hinnehmen. Er bezichtigt Darwin der Gotteslästerung und Beleidigung und fordert ihn zum Duell heraus. Darwin nimmt widerstrebend an, weil er darin die einzige Möglichkeit sieht, den lästigen Bischof loszuwerden; und beide Männer erklimmen eine felsige Wiese hoch oben im wilden und stürmischen Gebirge, das über der Universität von Oxford dräut.
Dieses Duell ist eigentlich der Höhepunkt des Films. Darwin durchkreuzt alle gemeinen Tricks, die Wilberforce versucht. Es wird gesungen und mit Pistolen geschossen, und Emma schreit und wieder Pistolenschüsse, und es wird an Steilhängen gerungen, bis Darwin blutend, aber siegreich über dem erkaltenden Leichnam seines skrupellosen Feindes steht.
Gefolgt von einer feierlichen Hochzeit, Glockenläuten, Frohsinn und und und …
Julian war mit dem Konzept einverstanden, machte sich aber einen Spaß daraus, uns auf die Kluft zwischen unseren dramaturgischen Freiheiten und der historischen und anderweitigen Wahrheit hinzuweisen. (»Wenn Oxford Alpen hat, dann hat New York City einen Vulkan«, witzelte er. »Geografie ist nämlich eine der flexibelsten Wissenschaften.«) Es waren rhetorische und keine ernsten Einwände, die er machte; er sah ein, dass wir dem eigensinnigen Lehm der historischen und anderweitigen Wahrheit Gewalt antun mussten.
Und was die Lieder anging, die so wichtig waren für den Erfolg solcher Produktionen — was hätten wir Besseres tun können, als Calyxas außerordentliche Talente in Anspruch zu nehmen? Julian versorgte sie mit Büchern aus dem Bestand des Dominion-Archivs, darunter eine Biografie Darwins und Bücher über die Taxonomie von Käfern, die Geografie Südamerikas und die Lebensweise von Seeräubern. Calyxa nahm ihre Aufgabe sehr ernst und las alle diese Bücher mit großer Aufmerksamkeit. Wenn die Haushaltshilfe nicht da war, musste ich mich nicht selten um Flaxies Belange kümmern (die zahlreich und meist unaufschiebbar waren), während Calyxa ihrer schöpferischen Arbeit an Schreibtisch und Klavier nachging.
In wenigen Tagen hatte sie Arien und Melodien für alle drei Akte entworfen. Sie führte sie Julian eines Abends vor, als er zusammen mit Pastor Stepney zu unserer wöchentlichen Drehbuchkonferenz stieß. Julian blätterte in Musik und Texten, und sein Mienenspiel verriet, dass er zunehmend Gefallen daran fand. Dann wandte er sich an Calyxa und sagte: »Du solltest uns das eine oder andere mal vorsingen. Magnus kann keine Noten lesen.«
»Die meisten Arien sind männlich besetzt«, sagte Calyxa, »abgesehen von ein, zwei Liedern, die Emma singt.«
»Das versteht sich. Hier«, sagte er und reichte ihr einen der ersten Abschnitte, in dem der junge Charles Darwin auf einer Käfer-Expedition in den Wäldern außerhalb von Oxford seine Kusine Emma erblickt.[102] Calyxa setzte sich ans Klavier und griff das Lied da auf, wo Darwin den Inhalt seines Keschers in Augenschein nimmt und singt:
»Stopp!«, rief Julian. »Was ist ein coccinellid?«
»Marienkäfer«, sagte Calyxa knapp.
»Sehr gut! Weiter.«
Julian unterbrach noch ein paarmal, wenn er etwas nicht verstand, aber im Großen und Ganzen konnte Calyxa ungestört singen — die gesamte Partitur, außer einem Duett (das sie alleine nicht bewerkstelligen konnte) und dem vielstimmigen Medley am Ende. Sie sang die männlichen Partien con effeto und die weiblichen in einem gefühlvollen Alt und schlug mit Begeisterung und Können in die Tasten. Klein Flaxie konnte bei dem Lärm unmöglich schlafen, und ihre Amme kam mit ihr nach unten und setzte sich zu uns. Am Ende hatte Calyxa uns fast eine Stunde lang herrlich unterhalten und rückte mit einem zufriedenen Lächeln vom Klavier ab. Sie löste das Tuch aus ihrem Haar, und über ihre schlanke Gestalt perlten schwarze Löckchen in seltener Fülle[104], während Julian applaudierte und wir alle einfielen. Es wurde eine lange Ovation. Sogar Flaxie wollte mitklatschen, obwohl sie darin noch unbeholfen war und ihre Händchen sich meist verfehlten.
102
Die Engländer jener Zeit zierten sich nicht, Kusinen zu umwerben und zu heiraten. Eine Praxis, die auch bei unseren Eupatriden gang und gäbe ist.
103
Diese Geschöpfe ähneln sich dennoch auf verblüffende Weise: sechs Beine an einem dreigeteilten Leib; äußere Schalen, die einen schlicht und andere bunt; manche haben Flügel oder Haken oder Haar — Unterschiede, ja, acht, zehn oder zwölf — und dennoch ähneln sie sich in ihrer Bauweise so sehr, wie ich meiner Kusine ähnele. Da kommt sie gerade! Und wie sie so innehält im Schatten der Bäume, hoffe ich, dass sie hersieht, diese junge und fromme Emma Wedgwood! Weißes Sommerkleid, blaues Sommerbonnet, an dem ein roter Marienkäfer hängt. Alles Lebendige fasziniert mich, das ist wahr, und dennoch finde ich in Wahrheit (die Wahrheit will ans Licht) Fräulein Emmas Beine interessanter als die Eier des Rochen-Egels …
104
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