Es gab auch, wie der Titel versprach, eine Strandszene, in der Männer und Frauen in einer Bekleidung miteinander verkehrten, die so knapp gehalten war, dass sie fast splitternackt waren. Ein kurzer Blick, dachte ich bei mir, hätte Diakon Hollingshead in all seinen Vorurteilen über unsere Vorfahren bestätigt.
Unerklärliches passierte. Es gab Opfer bei einem Automobilrennen. Die Stadt wurde evakuiert, und eine Zeitung wehte eine leere Straße hinunter.[112] Julian folgte dem bruchstückhaften Film mit großer Aufmerksamkeit, dabei hatte er ihn schon viele Male gesehen; ich fand den Film sehr traurig und elegisch und fragte mich, ob das wiederholte Betrachten nicht noch mehr auf Julians Stimmung gedrückt hatte.
Der Film hörte unvermittelt auf. Julian schüttelte den Kopf wie jemand, der aus einer Trance erwacht, hielt den Projektor an und drehte die Beleuchtung auf. »Na?«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Julian. Ich hätte mir mehr Szenen von dem Unterwasserschiff gewünscht. Der Film ist gut, glaube ich. Aber warum sehen die Menschen so unglücklich aus? Dabei leben sie in einer Welt mit lauter Automobilen und Unterseebooten.«
»Es ist ein dramatischer Film — in einem Drama sind die Menschen selten glücklich.«
»Es gab keine Hochzeit am Ende, nichts Erbauliches.«
»Weiß man es? Den ganzen Film kennen wir ja nicht.«
»Das ist bestimmt ein seltener Einblick in das Leben der Säkularen Alten. So schlimm, wie das Dominion behauptet, scheinen sie jedenfalls nicht zu sein. Vollkommen waren sie aber auch nicht.«
»Ich bestreite nicht, dass sie unvollkommen waren«, sagte Julian geistesabwesend. »Ich sehe die Säkularen Alten durchaus kritisch, Adam. Es gab kein Laster, das sie nicht kannten, und sie begingen eine Sünde, die ich ihnen beim besten Willen nicht verzeihen kann.«
»Welche Sünde meinst du?«
»Uns hervorzubringen«, sagte er.
Es war wirklich an der Zeit, nach Hause zu gehen. Nicht mehr viele Stunden, und die Sonne würde aufgehen. Ich riet Julian, sich wenigstens hinzulegen — vielleicht komme ja ein ausgeruhter Geist mit der Präsidentschaft besser zurecht.
»Einverstanden«, sagte er wenig überzeugend. »Aber bevor du gehst, Adam, möchte ich dich um einen Gefallen bitten.«
»Gerne, Julian. Lass hören.«
»Meine Mutter schmiedet Pläne für den Fall, dass wir alle das Land verlassen müssen. Ich habe ihr wiederholt erklärt, dass es zu einem so drastischen Abgang nicht kommen wird. Aber man kann nie wissen. Es stimmt, dass ich mir Feinde gemacht habe. Ich habe mit der Geschichte gespielt und weiß nicht, was dabei herauskommt. Adam, siehst du die drei Filmdosen?« Er zeigte auf den Tisch an der Tür.
»Nicht zu übersehen. Was ist das? Frisch aus dem Archiv?«
»Nein, das ist The Life and Adventures of the Great Naturalist Charles Darwin. Alle drei Akte, das Original samt Partituren, Textbuch und Bühnenanweisungen. Vielleicht ist es kindisch, aber der Gedanke, der Film könnte ein für alle Mal verlorengehen, gefällt mir nicht. Wenn die politische Situation umschlägt oder mir etwas zustößt, möchte ich, dass du Darwin mitnimmst.«
»Mache ich! Du hast mein Wort. — Aber du kommst doch mit nach Frankreich, wenn wir hier wegmüssen.«
»Sicher, Adam; aber ich wäre beruhigt, wenn ich nicht der Einzige wäre, der sich darum kümmert. In dem Film steckt das Beste von mir. Die Menschen sollen ihn sehen.«
»Ganz Manhattan wird ihn sehen. Ein paar Wochen noch, dann ist Premiere.«
»Natürlich. Aber du tust mir den Gefallen, ja?«
Nichts leichter als das. Ich versprach es mit Handschlag. Dann verließ ich — ohne besagte Verbeugung auch nur anzudeuten — das Studio. Auf dem Weg nach oben hörte ich, wie der Projektor wieder losschnurrte.
Das umfriedete Palastgelände war ein Rechteck, das zweieinhalb Meilen lang und eine halbe Meile breit war. In alten Zeiten hatte es ein Mann namens Olmsted aus dem Boden Manhattans gestampft. Wohltuend und grün am Tag, nach Mitternacht einsam und verlassen. Das Gelände hatte eine ständige Bevölkerung an Beamten, Dienstpersonal und Gardisten; doch die allermeisten schliefen bereits seit Mitternacht. Inzwischen war sogar der Trubel der Wrap Party erloschen. Kaum etwas erinnerte an das, was hier am frühen Abend stattgefunden hatte, abgesehen von einem Ästhetenpaar, das in den Korbsesseln an der großen Piazza des Palastes schnarchte.
Von der Republikanischen Garde durften natürlich nicht alle schlafen. Die Gardisten hielten Wache, in Schichten wie die Matrosen auf hoher See. Sie bemannten rund um die Uhr die vier großen Gates und patrouillierten ständig an der hohen Umfassungsmauer. Einer von ihnen war Lymon Pugh, und er begegnete mir, als ich aus dem Palast kam. »Hallo, Lymon, immer noch Dienst?«
»Wurde eben abgelöst. Wollte mir noch ein bisschen die Beine vertreten, die Nacht ist so lau.«
Der Mond war aufgegangen. Nebel stieg vom nahen Weiher auf und streckte seine bleichen Finger in die Götterbaumhaine am Rand des Rasens. »Dieses Wetter ist mir nicht geheuer«, sagte ich. »In Athabaska hatten wir so oft Schnee gegen Erntedank, natürlich auch in Labrador. Und hier? — In diesem Jahr jedenfalls nicht.«
»Gehn wir ein paar Schritte, Adam. Ich habe nichts mehr zu erledigen, und schlafen kann ich sowieso nicht.«
»Der Schlaf ist manchmal wie ein scheues Baumhörnchen«, nickte ich. »Arbeitest du gerne für Julian?«
»Gern ist übertrieben. Es war nett von ihm, mich auszuwählen. Eine großartige Beförderung war nicht damit verbunden. Auf die Dauer … ich weiß nicht. Nichts gegen Julian Commongold — ich meine, Comstock —, aber ob er unterm Strich in das Amt passt?« Lymon wiegte den Kopf.
»Wie kommst du darauf?«
»Nach dem, was ich so gesehen habe, macht er im Grunde den Job eines Packstraßenaufsehers in einem Abpackbetrieb — der Job belohnt Rücksichtslosigkeit und tötet alle guten Charaktereigenschaften. Ich kannte einen Mann aus Seattle, der in der Fabrik, wo ich arbeitete, als Packstraßenaufseher eingestellt wurde, ein freigebiger Mann, lieb zu seinen Kindern, überall gern gesehen; aber man hat einen Packstraßenboss aus ihm gemacht, und nach einer Woche hörte ich, wie er jemandem die Gurgel durchzuschneiden drohte, wenn er nicht schneller spurte. Das war keine leere Drohung. Seitdem trug er ein Rasiermesser in der Gesäßtasche und spielte ab und zu damit herum.«
»Und mit dem vergleichst du Julian?«
»Julian ist kein schlechter Kerl. Überhaupt nicht. Das ist es ja. Ein richtig mieser Typ hätte es leichter als Präsident und käme auch vorwärts in dem Job.«
»Muss ein Präsident denn schlecht sein?«
»Denk ich mal. Aber ich weiß nicht viel von der Vergangenheit — vielleicht war es nicht immer so.« Unter unseren Schritten knirschte leise der Kies. »Ich will damit sagen«, fuhr Lymon fort, »dass Julian kein erfolgreicher Präsident ist, warum auch immer. Ich weiß, dass ihr eure Flucht plant.«
»Wer hat dir das erzählt?«
»Niemand, aber man hört dies und das. Du musst nicht darüber reden, Adam, ich hab nichts gesagt.«
»Nein — du hast ja Recht. Ich hoffe nicht, dass wir fliehen müssen. Aber es tut nicht weh, wenn man weiß, wo die Hintertür ist. Komm einfach mit, wenn das Fass überläuft, was Gott verhüten möge. Nach Frankreich. Das mediterrane Frankreich hat es Calyxa angetan.«
»Danke für das Angebot, Adam. Das ist Balsam für meine Seele. Aber was soll ich im Ausland? Ich kann Französisch nicht von Kanaanäisch unterscheiden. Wenn es dazu kommt, schnappe ich mir einen Gaul und reite nach Westen, wenn es sein muss, bis nach Willamette Valley.«
112
Ich fragte Julian, ob es hier um die