Und nun ließ ich das alles zurück.
Meine Gefühle rückten Darwins Arie über die Zeit und das Alter der Erde in ein schärferes Licht, obgleich mir diese Gedanken nicht neu waren, denn ich hatte sie oft genug von Julian gehört. Die Berge, die ich so bewunderte, hatte es nicht immer gegeben, der Weizen, von dem ich mich ernährte, wuchs auf dem Grund eines Urmeeres, und es waren Äonen von Eis und Feuer vergangen, ehe sich die ersten Menschen den Rocky Mountains genähert und die Gegend von Williams Ford entdeckt hatten. Alles fließt, pflegte Julian einen Philosophen zu zitieren; und man könne es sehen, wäre man nur imstande, ein Weltalter stillzuhalten.
Für mich hier unten am Orchestergraben war diese Vorstellung nicht weniger beklemmend als für Bischof Wilberforce da oben auf der Leinwand. Ich konnte Wilberforce nicht leiden, er trachtete Darwin nach dem Leben und stellte der armen Emma nach; aber ich empfand eine unerwartete Sympathie für ihn, als er in die zerklüftete Wiese des Mount Oxford kletterte (in Wirklichkeit irgendeine schroffe Landzunge oben am Hudson), in der Hoffnung, die Evolution zu erschießen und obendrein die Ungewissheit zu ermorden.
Es war Calyxas Stimme, die mich aus der Talsohle holte. Emma Wedgwood sang:
Und sie sang es so rückhaltlos und mit einer so gewinnenden Stimme, dass ich Julinda Pique auf der Leinwand vergaß und vor meinem geistigen Auge Calyxa singen sah; und ich wurde zu Darwin, der um seine Liebste kämpfte. Diese Analogie stellte sich nicht von ungefähr ein, denn Calyxa war durch Julians Scheitern als Präsident ebenso sehr bedroht wie Emma Wedgwood durch die Schüsse und Winkelzüge dieses Bischofs.
Diese Schüsse und Winkelzüge wurden geschickt dargestellt, und das Publikum ächzte und jubelte bei jeder Kehrtwende; ich gewann den Eindruck, dass Julians Life and Adventures of the Great Naturalist Charles Darwin ein großer Erfolg war und immer volle Häuser haben würde, wo immer der Film gezeigt werden durfte. Doch am Ende hatten sich so viele Ängste in mir angestaut, dass ich den Nachspann nicht mehr abwarten konnte, sondern in den Orchestergraben sprang, um die Leinwand bog und schnurstracks die Kabinen der Synchronstimmen und Geräuschemacher aufsuchte.
Das war sicher unvernünftig, denn die Gerüchte von Feuer und Abdankung hatten schon genug Nervosität gestiftet. Den Zuschauern war der Schreck in die Glieder gefahren, als sie mich und meinen verzerrten Schatten hinter der Leinwand verschwinden sahen, und als ich über eine Marschtrommel strauchelte, mit der Schüsse nachgeahmt wurden, und einen Krach vom Zaun brach, der von einem heftigen Schusswechsel hätte stammen können, verebbte der Applaus, und die Leute räumten fluchtartig den Saal, wobei eine Platzanweiserin in arge Bedrängnis geriet.
Calyxa war erst überrascht, mich zu sehen, und dann ein bisschen verstimmt, weil es nun nicht mehr zum Ruf vor den Vorhang kam. Ich packte sie beim Arm und eröffnete ihr, wir müssten heute Abend noch Manhattan verlassen; Flaxie und Mrs. Godwin seien schon an Bord der Goldwing. Sie bewahrte eine stoische Ruhe, und nachdem sie noch ein paar Komplimente ihrer Kollegen entgegengenommen hatte, verließen wir durch eine Seitentür die Bühne.
Die Menschenmenge vor dem Theater hatte sich weitgehend zerstreut, nur ein Kordon wurde noch aufrechterhalten für die präsidialen Besucher. Man ließ uns durch.
Sam winkte uns zu sich. Er schien verbittert.
»Wo ist Julian?«, fragte ich.
»Weg«, sagte er.
»Schon zum Hafen, meinst du.«
»Nein, ich meine, weg, einfach nur weg — auf und davon. Hat sich mit Magnus Stepney im dritten Akt aus dem Theater gestohlen und mir diesen Brief hinterlassen.«
Sichtlich empört reichte er mir das gefaltete Blatt. Die Nachricht war unverkennbar von Julian verfasst. Die Zeilen waren hastig und mit fahriger Hand geschrieben:
Lieber Sam,
danke für die wiederholten Versuche, mich über die bevorstehende Abfahrt der Goldwing in Richtung Ausland zu unterrichten. Bitte richte meiner Mutter und Calyxa aus, dass ich ihre aufwendige und sorgfältige Planung für diesen Fall der Fälle zu schätzen weiß. Ich bedaure, dass ich die beiden Frauen, Dich und Adam und die anderen nicht begleiten kann. Ich wäre in Europa nicht sicher und brächte Euch nur in Gefahr. Aber es gibt noch andere persönliche und triftige Gründe, warum ich hierbleiben muss.
So unbefriedigend diese Erklärung ist, sie muss Euch reichen. Bitte versucht nicht, mich ausfindig zu machen, denn nichts kann meine Entscheidung ändern; Ihr brächtet mich nur in Gefahr.
Ich danke Euch allen für die Freundlichkeit, die Ihr mir über so viele Jahre gezeigt habt, und ich entschuldige mich für die Unbill, die Euch diese Freundlichkeit allzu oft eingebracht hat. Besonders Dir, Sam, danke ich, dass Du meinen Vater vertreten und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden hast, selbst dann, wenn ich mich widersetzt habe. Deine Lektionen waren nicht umsonst, und ich habe sie Dir schlimmstenfalls kurz verübelt. Bitte, sei nett zu meiner Mutter, sie wird sich nämlich furchtbar aufregen, weil ich nicht mitkomme. Wenn es etwas Unvergängliches gibt, dann meine Liebe zu ihr — sage ihr das, Sam.
Und richte Adam aus, dass ich ihm für seine grenzenlose Freundschaft und Nachsicht danke; und erinnere ihn an sein Versprechen!
»Weißt du, was er meint, Adam?«
»Ich denke schon«, sagte ich kleinlaut.
»Da weißt du mehr als ich! Verdammter Julian! Sieht ihm ähnlich, einfach querzuschießen! Aber das Versprechen …«
»Nicht der Rede wert.«
»Wärst du so nett, mich aufzuklären?«
»Nur eine Gefälligkeit. Du bringst Calyxa zur Goldwing, und ich komme gleich nach.«
Calyxa protestierte, aber ich blieb stur; sie kannte den metallischen Klang in meiner Stimme und schickte sich in das Unvermeidliche, wenn auch nicht anstandslos. Ich gab ihr einen Kuss und noch einen, den sie an Flaxie weitergeben sollte. Ich hätte noch mehr gesagt, aber dann wäre sie misstrauisch geworden.
»Nur eine Gefälligkeit«, wiederholte Sam, als Calyxa bereits in der Kutsche saß.
»Es dauert nicht lange.«
»Besser, es würde gar nicht dauern. Das Feuer soll sich rasch ausbreiten — der Wind bringt schon den Geruch mit. Wenn der Hafen in Gefahr ist, legen wir ab, ob du an Bord bist oder nicht.«
»Habe verstanden.«
»Hoffentlich. Vielleicht habe ich Julian verloren — ich kann es nicht ändern —, ich will nicht auch noch dich verlieren, Adam.«
Ich sah beiseite, um meine Verlegenheit zu verbergen. Sam drückte mir herzhaft die Hand (mit der einzigen, die er hatte). Dann stieg er zu Calyxa in die Kutsche; und als ich mich umdrehte, waren sie schon weg.
Alle Kinobesucher waren schon vorher weg gewesen. Bis auf ein paar Republikanische Gardisten, die noch Wache hielten, war die Straße nahezu leer. Nur ein Einspänner hielt am Bordstein. Er trug die Insignien der Bundesregierung.
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Es ist nicht einfach, einen Mann zu heiraten, der den Schöpfungsplan in der sich ewig häutenden Natur leugnet, und der eine bessere Erklärung in Naturgesetz und zufälliger Mutation findet. Auch wenn seine Theorie die Nation schockiert, so liebe ich ihn trotzdem …