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»Er unterhält eine kleinere Ausgabe oben in einem Lagerhaus an der 9ten.«

»Du meinst, da würde Julian sich aufhalten, trotz des Feuers?«

»Eine Eingebung«, murrte ich, und vielleicht war sie ja falsch; doch die Idee, die beiden könnten hierhergekommen sein, hatte mich nicht mehr losgelassen.

»Du könntest Recht behalten«, sagte Lymon unvermittelt, zügelte sein Pferd in eine Gasse und winkte mir, ihm zu folgen. »Schau mal.«

Wir blieben im Schatten, als ein Trupp vorbeiritt, nicht vom Feuer weg, sondern auf das Feuer zu, in unsere Richtung also. Dann begriff ich, was Lymon meinte: Es handelte sich um ekklesiastische Polizisten, kenntlich an ihren goldbetressten Uniformen, angeführt von Diakon Hollingshead. Ich war mir sicher, dass es der Diakon war, denn ich hatte das hasserfüllte Gesicht des Mannes nicht vergessen, der Calyxa derart zugesetzt hatte.

Er hatte uns im Vorbeireiten mit einem Blick gestreift; doch die Schutzmasken machten uns unkenntlich, und er war zu sehr auf sein Vorhaben fixiert, um sich näher mit uns zu befassen.

Er hatte dasselbe Ziel wie wir. Als wir das Lagerhaus sehen konnten, auf dessen Dachboden sich Magnus Stepneys Kirche befand, waren Hollingshead und seine Männer bereits abgesessen. Das halbe Dutzend ekklesiastischer Polizisten umstellte flugs das Gebäude und blockierte jeden Ausgang. Lymon und ich verfolgten das Manöver aus sicherer Entfernung.

Es waren keine Feuerwehrleute in der Nähe — die Straße war verwaist, die Anwohner längst geflohen. Seit meinem letzten Besuch hier hatte sich das Straßenbild geändert, hauptsächlich weil Julian das Verbot sogenannter Freikirchen aufgehoben hatte. Noch vor einem Jahr war hier ein fragwürdiges Viertel aus Haschischläden, Pensionen und anderen zwielichtigen Geschäften gewesen. Und das war auch jetzt noch so — nur dass zwischen den Tavernen und Schmuddelhotels Tempel, Moscheen und andere Kultstätten aus dem Boden geschossen waren, viele davon in grellbunten Farben, mit wunderlichen Symbolen und Sprüchen, als sei ein Volksfest der Religionen ausgebrochen.

Die Löschfahrzeuge waren allesamt unten am Kanal beschäftigt, hinter uns und westlich von uns. Das Einwandererviertel brannte ungehemmt, und überall schwebten Glutteilchen herab, doch weder das Lagerhaus, in dem sich die Church of the Apostles etc. befand, noch irgendein anderes Gebäude in der näheren Umgebung hatte bis jetzt Feuer gefangen.

»Wie du vermutet hast«, sagte Lymon Pugh. »Der Diakon lauert Julian auf. Schau mal, wie sie die Ausgänge versperren — sehr professionell für Dominion-Leute, aber nicht für eine Armee-Patrouille.«

»Und gut bewaffnet sind sie«, fügte ich hinzu, denn in den Händen der ekklesiastischen Polizisten funkelten Pittsburgh-Gewehre. »Wären wir bloß die Ersten gewesen!«

»Nein, Adam. Wären wir die Ersten gewesen, wären wir jetzt drinnen bei Julian und den Launen des Diakons ausgesetzt. So wie die Dinge liegen, haben wir die Überraschung auf unserer Seite.«

»Wir sind nur zwei!«

»Wir müssten unsichtbar sein«, sagte Lymon Pugh, »aber es lässt sich machen.«

»Ich habe nicht mal eine Pistole.«

»Überlass das mir. Sie teilen sich auf, Adam, siehst du? Sechs Männer und der Diakon, und er hat gerade drei Mann ums Haus geschickt, um die Ausgänge zu besetzen.«

»Das sind immer noch drei bewaffnete …«

»Dominion-Polizisten! Na, hör mal, von denen schick ich dir ein Dutzend zu Boden — alles schon da gewesen, da war noch kein Denken an die Armee.«

Trotz allem, was Lymon mir über seine Zeit als Straßenkämpfer und Rindfleischentbeiner erzählt hatte, fand ich sein Vorhaben reichlich riskant. Aber er war fest entschlossen: Ich solle zurückbleiben und die Pferde beruhigen, während er einen Bogen um das Lagerhaus schlage. Sobald die rückwärtigen Wachen außer Gefecht seien, nehme er die Gewehre an sich, der Rest sei ein Kinderspiel — falls ich denn wirklich zu Julian wolle! Da ich es bis hierher geschafft habe, erwiderte ich, wolle ich die Sache auch zu Ende bringen — aber nur, wenn wir eine vernünftige Chance hätten, das Ende zu überleben.

Er grinste und duckte sich im großen Bogen davon.

Das Feuer jenseits des Kanals machte die Pferde nervös, sie wollten wiehern und stampfen. Ich band sie an einen der allgegenwärtigen Pfosten und gab mir Mühe, sie zu beschwichtigen. Die Flammen schlugen so hoch in den Himmel, dass alles in ein rötliches Zwielicht getaucht war, und der Rauch war so dicht, dass selbst die Schutzmaske nicht mehr half — der Hustenreiz wurde übermächtig …

Dann war ein Schuss zu hören, gefolgt von einer stotternden Gewehrsalve. Die Tiere scheuten und wieherten. Ich spähte über die Straße zum Lagerhaus hinüber. Die dortigen Dominion-Schergen eilten mit schussbereitem Gewehr um das Gebäude herum und ließen den Diakon zurück.

Der fackelte nicht lange, zog seine Pistole und ging durch den Vordereingang ins Lagerhaus.

Lymons Plan schien nicht aufzugehen, und ich musste tun, was ich für richtig hielt. Ich lief geduckt über die leere Straße, vorbei an umgestoßenen Mülleimern und nachglühenden Ascheflocken, betrat das Lagerhaus und heftete mich so leise wie irgend möglich an die Fersen des Diakons.

Ich brauchte meine Zeit, um die Treppe hinaufzufinden, denn das einzige Licht rührte vom Feuerschein hinter den Treppenhausfenstern. Ich fürchtete jeden Moment einen weiteren Schuss zu hören und Julian tot zu Füßen des Diakons zu finden. Doch dieser Schuss blieb aus; und als ich am Treppenkopf das Schild

CHURCH OF THE APOSTLES ETC.

God is Conscience

— HAVE NO OTHER —

Love Your Neighbor as Your Brother

sah, vernahm ich dahinter Stimmen. Die Tür war nur angelehnt.

Ich war mit wenigen Schritten am Eingang zu dem geräumigen Dachboden mit dem runden Giebelfenster, den Magnus Stepney zum Gotteshaus erkoren hatte. Ich steckte den Kopf hinein — keine Gemeindemitglieder, leere Bänke und Diakon Hollingshead, der mit dem Rücken zu mir stand und mit seiner Pistole auf Julian Comstock und Magnus Stepney zielte, die Schulter an Schulter auf der nächstgelegenen Bank saßen.

Mehr war im unsteten Widerschein des Rundfensters nicht zu erkennen, das aufs ägyptische Viertel blickte. Alles zitterte und flackerte in Schattierungen von Erdbraun über Orange bis Glutrot.

Noch hatte mich niemand bemerkt, und ich rührte mich nicht von der Stelle.

»Was mich herführt?«, sagte Hollingshead gerade. »Von allen Verbrechen, die Sie begangen haben, führt mich nur eines hierher, und das ist die Ermordung meiner Tochter.«

Magnus und Julian saßen aneinandergelehnt. Ihre Gesichter lagen im Schatten. Julians Stimme war kaum zu hören.

»Dann hätten Sie sich den Weg sparen können«, sagte er. »Ich habe Ihrer Tochter nichts zuleide getan.«

Der Diakon stieß ein wildes Lachen aus. »Nichts zuleide getan? Haben Sie nicht den Angriff auf Colorado Springs befohlen?«

Julian nickte langsam.

»Dann hätten Sie ihr auch einen Dolch in die Brust stoßen können! Mein Haus wurde durch Artilleriefeuer zerstört. Es ist völlig ausgebrannt, Mr. President. Niemand hat überlebt, auch meine Tochter nicht.«

»Tut mir leid um Ihr Haus …«

»Um mein Haus?«

»… und um alle Menschen, die bei dem Angriff getötet wurden — sinnlos vermutlich, obgleich künftige Generationen darüber entscheiden werden. Das Dominion hätte nachgeben können, und das ganze Blutvergießen wäre vermieden worden. Und was Ihre Tochter angeht — Ihre Tochter ist nicht tot, sie lebt.«

Hollingshead mochte fadenscheinige Ausreden oder eine Art Gnadengesuch erwartet haben. Doch diese beinah entwaffnende Erwiderung verblüffte ihn. Die Mündung der Pistole sank ein wenig, und ich überlegte kurz, ihn von hinten anzufallen, um ihm die Waffe zu entreißen, fand es dann aber doch zu riskant.