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Anfangs haben wir Emily Godwin auf der Tasche gelegen, die so viel vom Comstock-Vermögen mitgebracht hatte, dass es für eine Villa in einer kleinen Küstenstadt reichte. Aber weder ich noch Sam waren zufrieden, auf diese Weise ausgehalten zu werden. Schließlich gelang es Sam, im Pferdehandel Fuß zu fassen: Er lieh sich so viel von Emily, dass er eine Auswahl an Zuchtstuten aus dem Osten des Kaspischen Meeres importieren konnte, und baute damit ein gut florierendes örtliches Geschäft auf. Sam hat sich inzwischen einen guten Ruf erworben.

Calyxa singt regelmäßig in den örtlichen Tavernen und wird manchmal zu einem Auftritt im Hafen von Marseille aufgefordert. Ihr Akzent, auf den die Menschen im Alltag eher abschätzig reagieren, wird beim Singen als »charmant« empfunden; und aus diesem Widerspruch hat sie eine sprudelnde Geldquelle gemacht. Außerdem findet sie von Zeit zu Zeit Arbeit als Synchronstimme für amerikanische Frauen in französischen Filmen, denn die Filmindustrie blüht im mediterranen Frankreich. Hier gibt es kein Dominion, das die Originalität der Produktionen zunichtemacht (obwohl sich die Regierung immer mal wieder einmischt), und die Aufzeichnung von Ton gehört hierzulande fast schon zum Standard. Vor kurzem hat Calyxa ihre Stimme für eine französische Übersetzung von Julians Life and Adventures of the Great Naturalist Charles Darwin zur Verfügung gestellt; dabei wurde ihre Stimme mechanisch aufgezeichnet. Kopien des Films wurden in die mitteleuropäischen Mandatsgebiete nördlich von Lyon geschmuggelt, wo sie, wie verlautet, ein enthusiastisches Publikum finden. Erst gestern erreichte uns die Nachricht von einer öffentlichen Vorführung in Brüssel, in deren Verlauf es zu tumultartigen Szenen kam.

Flaxie ist jetzt eine junge Frau. Sie hat schon früh gelernt, Englisch und Französisch zu lesen, und sie beherrscht beide Sprachen meisterlich. Sie ist beliebt bei den Jungs der Stadt, von denen meines Erachtens kein Einziger für sie infrage kommt, obwohl sie anderer Meinung ist. Sie liebt Bücher und Musik, und ihr dunkles, glänzendes Haar ist so dicht gelockt wie das ihrer Mutter, das jetzt immer mehr silberne Strähnen bekommt. Sie hilft Sam in den Ställen, weil sie Pferde mag, was sie sicher nicht von mir geerbt hat, und sie liebt lange Ritte in den Hügeln nördlich der Stadt.[122] Wir sind sehr stolz auf sie.

Was mich betrifft, so verdiene ich meinen Lebensunterhalt mit dem Federhalter (genau genommen mit der Schreibmaschine, obwohl Mr. Dornwoods Maschine betagt und weit gereist ist und inzwischen ein paar Teile verloren hat). Die Druckereien von New York City hatte das Feuer verschont, und unter Präsident Fairfield war der Buchhandel trotz der Edikte eines geschwächten Dominions aufgeblüht. Ich sei eine Hauptstütze dieses Geschäfts, heißt es, obwohl meine Manuskripte per Schiff in die Staaten geschickt werden und nicht selten ein nasses Ende nehmen.

Mein letztes Buch (vor diesem) heißt American Boys on the Moon — es verkauft sich gut, auch ohne Stempel des Dominions.[123] Das Buch wurde von Mr. Charles Curtis Easton gelobt; er hatte das Feuer auch überlebt, ist inzwischen älter als meine ehrwürdige Schreibmaschine und denkt daran, sich endgültig zur Ruhe zu setzen. Beim Schreiben von American Boys on the Moon ließ ich mich von meinem Exemplar der History of Mankind in Space inspirieren. Dieses antike Buch liegt jetzt auf meinem Schreibtisch, zusammen mit anderen Erinnerungsstücken, die ich aus Amerika herübergerettet habe — ein verblasster Brief, der mit »Liefste Hanni« beginnt; ein Zugbillett für die Fahrt von Montreal nach New York City; ein Comstock-Dollar mit dem Konterfei von Deklan dem Eroberer (Julian ist nicht lange genug Präsident gewesen, um seine eigene Münze geprägt zu bekommen); ein Programm des Broadway-Debüts von Darwin; ein dekorativer Knocker (sehr fleckig) und noch ein paar Dinge. Morgen werde ich sie wieder wegräumen.

Als wolle sie etwas beitragen, blättert eine Brise in dem Kalender, der an der Wand hängt. Kaum zu glauben, dass in nur acht Jahren das 23. Jahrhundert beginnt! Zeit ist etwas Geheimnisvolles für mich, ich kann mich nicht daran gewöhnen, wie sie verfliegt. Vielleicht bin ich nur altmodisch und bleibe zeitlebens ein Mensch des 22. Jahrhunderts.

Eben kommt Calyxa durch mein Arbeitszimmer — das muss sie immer, wenn sie in den Garten will. Unsere Villa steht nahe am Felsufer, und auf dem Grundstück wächst normalerweise nur Seegras und Sand; schon vor langer Zeit hat Calyxa ein rechteckiges Stück umfriedet und den Sand durch gute Erde ersetzt; seither pflanzt sie jedes Jahr Lavendel, Mimosen und Sonnenblumen. — Sie war mir eine unschätzbare Wissensquelle beim Schreiben von Julians Lebensgeschichte — konnte meinen vage erinnerten Eindrücken von Französisch den genauen Wortlaut geben und mir die Sätze mit Accent grave und Accent aigu und solchen Finessen in die Maschine tippen.

Heute bleibt sie stehen und bedenkt mich mit einem rätselhafen Lächeln. »Tu es l’homme le plus gentil et le plus innocent que je connaisse«, sagt sie. »Tu rends les laideurs de la vie supportables. Sans toi, elles seraient insoutenables.«

Das ist bestimmt wieder ein Scherz auf meine Kosten, denn Calyxa ist von Natur aus skeptisch und sagt ihre Ironien auf Französisch — auch nach sechzehn Jahren in diesem Land habe ich mit dieser Sprache noch Probleme. »Das denkst du also«, sage ich in solchen Fällen; sie lacht, als sie nach draußen geht und das weiße Kleid um ihre Fesseln spielt.

Ich will jetzt meine Schreibmaschine zurücklassen und Calyxa folgen. Der Nachmittag ist zu verlockend, um ihm zu widerstehen. Wir leben hier nicht im Paradies, nicht einmal annähernd; aber die Mimosen blühen, und die Seeluft ist kühl und angenehm. An solchen Tagen muss ich an den grünen, sich entwickelnden Gott des armen alten Magnus Stepney denken, der uns Menschen nach Eden scheucht. Die Stimme des grünen Gottes ist aber so vage, dass ihn nur wenige deutlich verstehen, und das ist vermutlich die Tragödie unserer Spezies … aber ich höre ihn eben ganz deutlich. Er fordert mich auf, hinaus in die Sonne zu gehen, und ich will tun, was er sagt.

Danksagung

Ich kann nicht alle Menschen namentlich aufführen, deren Großzügigkeit und Unterstützung »Julian Comstock« erst möglich gemacht haben (unter ihnen ist wieder einmal meine unendlich geduldige Frau Sharry). Von den unzähligen Buch-Antiquaren, die ich im Zuge meiner Recherchen um Rat gefragt habe, verdienen zwei eine besondere Erwähnung: Jeffrey Pickell von Kaleidoscope Books & Collectibles in Ann Arbor, der mich als Erster auf das Werk von »Oliver Optic« (William Taylor Adams) aufmerksam gemacht hat, und Terry Grogan von BMV Books in Toronto, der mit nachtwandlerischer Sicherheit zur rechten Zeit das rechte Buch fand. Vielen Dank auch an Mischa Hautvast, Peter Hohenstein, Mark Goodwin und Claire-Gabriel Robert für ihre Hilfe bei den niederländischen und französischen Passagen — jeder Irrtum ist natürlich mein eigener. Und mein aufrichtiger Dank gilt nicht zuletzt Peter Crowther von PS Publishing, dessen ansprechende kleine Geschenkausgabe von »Julian: A Christmas Story« die Tür für diese viel größere Arbeit geöffnet hat.

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122

Aber nicht, um den parmentieristischen Rebellen, die sich in den Höhlen dort verstecken, Proviant zu bringen — von diesem Verdacht wurde sie freigesprochen.