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Und was ich vergessen hatte, konnte Julian gar nicht vergessen — die Menschen, die ihn gezeugt, geboren und erzogen hatten; selbst wenn er kein Wort über sie verlor, spukten sie in seinem Kopf herum …

Es stimmt, dass Julian eine Mimose war — ich erinnere mich an seine Zappeligkeit, als ich ihm die Rituale der Church of Signs beschrieb, und dass er manchmal aufschrie, wenn sich die Eichhörnchen nach einem unsauberen Schuss noch quälten. Doch heute Nacht, hier in den Ruinen, da war ich es, der enttäuscht und niedergeschlagen vor sich hindöste und mit den Tränen kämpfte, während Julian mucksmäuschenstill und berechnend wie ein Bankangestellter dasaß und wild entschlossen durch die staubigen Strähnen vor seinen Augen starrte …

Auf der Jagd hatte er mir oft das Gewehr gereicht und mich gebeten, den tödlichen Schuss abzugeben, weil er sich nicht traute. Diese Nacht — hätte sich die Gelegenheit geboten — hätte ich Julian das Gewehr gegeben.

Ich döste, wie gesagt, vor mich hin, um von Zeit zu Zeit aufzuwachen und den Reservisten zu sehen, wie er unverwandt dasaß und Wache hielt. Seine Augenlider standen auf Halbmast, doch ich führte das auf die Wirkung der Hanfblüte zurück, die er geraucht hatte. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen fuhr er auf wie bei einem Laut, den nur er hören konnte, um sich gleich wieder zurückzulehnen.

In einem Blechtopf hatte er reichlich Kaffee gekocht, wärmte ihn jedes Mal auf, wenn er Holz nachlegte, und trank genug davon, um nicht einzuschlafen. Das nötigte ihn, sich periodisch in einen entfernteren Teil der Ausgrabung zurückzuziehen, um in relativer Abgeschiedenheit seine Notdurft zu verrichten. Wir konnten allerdings kein Kapital daraus schlagen, da er sein Pittsburgh-Gewehr jedes Mal mitnahm; aber Julian und ich konnten ein, zwei Augenblicke unbemerkt miteinander flüstern.

»Der Mann ist kein Geistesriese«, sagte Julian. »Vielleicht kommen wir als freie Menschen hier raus.«

»Was uns aufhält, ist nicht sein Verstand, sondern seine Artillerie«, sagte ich.

»Vielleicht können wir das eine vom anderen trennen. Schau mal, Adam, hinter dem Feuer, siehst du? — Hinten im Schutt.«

Ich spähte in besagte Richtung. Da regte sich etwas im Dunkel … und mir begann zu dämmern, was es war.

»Die Ablenkung könnte hilfreich sein«, sagte Julian, »oder tödlich.« Und ich sah den Schweiß, der ihm auf die Stirn trat. »Aber ich brauche deine Hilfe«, setzte er hinzu.

Ich habe gesagt, dass ich an den seltsamen Riten der Church of Signs nicht teilnahm und Schlangen nicht meine Lieblingsgeschöpfe waren. So viel ich auch von der Aufgabe des eigenen Willens und der Hingabe an Gott gehört hatte — und ich hatte meinen Vater mit einer Massassauga-Klapperschlange in jeder Hand erlebt, bebend vor Hingabe, in einer Sprache redend, die nicht bloß fremd, sondern völlig unbekannt war (wiewohl sie lange Vokale und gestotterte Konsonanten favorisierte, ähnlich den Lauten, die Vater machte, wenn er sich die Finger am Kohleofen verbrannte) — trotz allem war ich nicht restlos davon zu überzeugen, dass Gott mich vor dem Biss der Schlange schützen würde. Zumal ein paar Gemeindemitglieder gebissen wurden. Sarah Prestley zum Beispieclass="underline" Ihr rechter Arm war vor lauter Gift schwarz angeschwollen, bis er schließlich vom Arzt in Williams Ford amputiert werden musste … Aber lassen wir das. Wichtig ist, dass ich Schlangen zwar nicht leiden kann, aber nicht sonderlich viel Angst vor ihnen habe — im Gegensatz zu Julian. Und ich kam nicht umhin, seine Selbstbeherrschung zu bewundern: Denn was sich da unweit von uns im Duster wand und krümmte, war ein ganzes Schlangennest: Die Tiere waren durch die Hitze des Feuers aus dem Winterschlaf gerissen worden.

Ich sollte hinzufügen, dass es in solchen kollabierten Ruinen üblicherweise von Schlangen, Mäusen, Spinnen und giftigen Insekten nur so wimmelte. Tod durch Biss oder Stich gehörte zum Berufsrisiko der Kipper — hinzu kamen Gehirnerschütterung, Blutvergiftung und versehentliche Beerdigung. Die Schlangen mussten, nachdem die Kipper ihre Arbeit bis zum Frühjahr eingestellt hatten, in diese Kluft gekrochen sein, weil sie dort unten auf einen ungestörten Schlaf gehofft hatten, den wir und der Soldat leider durchkreuzt hatten.

Der Reservist — der ein bisschen wacklig von seiner Notdurft zurückkam — hatte die eigentlichen Bewohner der Grabungsstätte noch nicht bemerkt. Es setzte sich wieder auf seine Kiste, blickte finster zu uns herüber und begann sich eine zweite Pfeife zu stopfen.

»Wenn er alle fünf Schuss abgefeuert hat«, flüsterte Julian nervös, »dann haben wir eine Chance, ihn zu überwältigen oder an unsere eigenen Waffen zu kommen. Aber Adam …«

»Mund halten«, nuschelte der Reservist.

»… denk an den Rat deines Vaters«, beendete Julian den Satz.

»Ich sagte, Mund halten!«

Die Zeit zu handeln war unübersehbar gekommen. Julian räusperte sich und wandte sich direkt an den Reservisten. »Sir, ich muss Sie auf etwas aufmerksam machen.«

»Und das wäre, mein kleiner Drückeberger?«

»Ich fürchte, wir sind hier unten nicht allein.«

»Nicht allein!«, sagte der Reservist und ließ nervös den Blick schweifen. Dann atmete er auf und blickte Julian aus schmalen Augen an. »Kein Mensch zu sehen.«

»Ich meine nicht Menschen, sondern Vipern«, sagte Julian.

»Vipern!«

»Mit anderen Worten — Schlangen.«

Der Reservist fuhr auf, vielleicht noch benebelt vom Hanfrauch; dann feixte er und sagte: »Mit mir nicht — da musst du eher aufstehen, Kleiner.«

»Das ist kein Witz, Sir. Da kommen mindestens ein Dutzend Schlangen aus dem Dunkeln, und eine nimmt eben Kontakt mit Ihrem rechten Stiefel auf.«[11]

»Ha«, machte der Reservist, musste aber unwillkürlich in die vorgegebene Richtung blicken, wo eine der Schlangen — ein fettes und überlanges Exemplar — den Kopf gehoben hatte und die Luft über seinem Schnürsenkel sondierte.

Die Wirkung trat unverzüglich ein und ließ keine Zeit zum Überlegen. Der Reservist war mit einem Satz von der Holzkiste, stieß rückwärts tanzend Verwünschungen aus und versuchte gleichzeitig sein Gewehr in Anschlag zu bringen und der Gefahr zu begegnen. Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass er es nicht mit einer, sondern mit Dutzenden von Schlangen zu tun hatte, und drückte ab. Der Schuss ging daneben. Die Kugel schlug in unmittelbarer Nähe des Hauptnestes ein, was bewirkte, dass sich die übrigen Schlangen verblüffend rasch auf die Umgebung verteilten, als hätte sich eine Dose mit gespannten Sprungfedern schlagartig geöffnet — zum Leidwesen des glücklosen Soldaten, der direkt in ihrem Weg stand. Er fluchte und feuerte noch viermal. Die Mehrzahl der Schüsse wurde zu harmlosen Querschlägern; einer traf mitten in die Leitschlange, die sich wie ein blutiges Tau um ihre eigene Wunde knotete.

»Jetzt, Adam«, schrie Julian, und ich sprang auf die Füße und dachte: Rat meines Vaters?

Mein Vater war ein wortkarger Mann, und die meisten seiner Ratschläge hatten mit den Pferdeställen auf dem Landsitz zu tun. Ich zauderte einen ratlosen Moment lang, während Julian sich den sichergestellten Waffen näherte und dabei wie ein Derwisch zwischen den überlebenden Schlangen tanzte. Der Reservist, seine Fassung wiedergewinnend, sprang auf dasselbe Ziel zu; und dann fiel mir der einzige Rat meines Vaters ein, von dem ich Julian erzählt hatte:

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11

Julians Timing war perfekt — vielleicht deswegen, weil er ein Faible fürs Theater hatte.