Packe sie da, wo bei anderen Tieren der Hals ist, nämlich hinter dem Kopf; kümmere dich nicht um den Rest der Schlange, egal wie sehr er um sich schlägt; und schlage auf ihren Schädel ein, so oft und so lange wie nötig, um sie zu bezwingen.
Also tat ich genau das — bis ich die Gefahr bezwungen hatte.
Julian kam mit unseren Waffen aus dem düsteren, unliebsamen Teil der Ausgrabung zurück.
Er staunte nicht schlecht über den Reservisten, der mit blutigem Kopf vor meinen Füßen lag — ich hatte den Kopf so oft und so lange wie nötig gegen einen Betonpfeiler geschlagen.
»Adam«, sagte er. »Als ich den Rat deines Vaters erwähnte — da meinte ich die Schlangen.«
»Die Schlangen?« Etliche wuselten noch herum. Da fiel mir ein, dass Julian nur wenig über Schlangen wusste. »Das sind bloß Kornnattern«, erklärte ich. »Sie sind groß, aber ungiftig.«[12]
Julian hatte die Augen aufgerissen und verarbeitete die Neuigkeit.
Dann blickte er wieder auf die seltsam verkrümmte Gestalt des Reservisten.
»Hast du ihn getötet?«
»Hoffentlich nicht«, sagte ich.
7
Wir schlugen unser Nachtlager in einem weniger bevölkerten Teil der Ruinen auf und behielten die Straße im Auge … Im Morgengrauen näherte sich aus dem Westen ein einzelner Reiter. Es war Sam Godwin.
Julian sprang auf, jubelte und schwenkte die Arme. Sam kam näher, und der Anblick seines Schützlings schien ihn einigermaßen zu erleichtern, mich musterte er hingegen mit einem eher forschenden Blick. Ich bekam heiße Ohren, als ich daran dachte, wie ich ihn beim Gebet gestört hatte (obwohl diese Art zu beten ziemlich unorthodox war, aus rein christlicher Sicht) und wie dämlich ich auf seine Erklärung reagiert hatte, er sei Jude. Doch ich sagte nichts, und Sam sagte nichts, und die Beziehung zwischen uns schien geregelt, seit er wusste, dass ich Julian zu Hilfe geeilt war und dadurch meine Loyalität (oder Unzurechnungsfähigkeit) unter Beweis gestellt hatte.
Es war Weihnachtsmorgen. Vermutlich nichts von Bedeutung, sicher nicht für Julian oder Sam, aber ich war mir dieses Datums schmerzlich bewusst. Der Himmel war wieder blau — in den dunklen Morgenstunden war ein Schneegestöber durchgezogen, und der Schnee lag ringsherum, tief und frisch und eben.[13] Selbst die Ruinen von Lundsford waren in etwas Wohlgerundetes und seltsam Schönes verwandelt, und ich wunderte mich, wie leicht es der Natur fiel, den Mantel der Reinheit und des Friedens über den Zerfall zu breiten.
Aber der Frieden sollte nicht lange dauern, und Sam sagte, warum: »Mir ist mehr als eine Schwadron auf den Fersen, während wir reden. Es gab ein Telegramm aus New York: Julian darf nicht entkommen! Wir müssen sofort von hier verschwinden.«
»Und wohin?«, fragte Julian.
»Viel weiter nach Osten ist zwecklos. Da gibt es nicht genug Futter für die Tiere und herzlich wenig Wasser. Früher oder später müssen wir nach Süden und uns zur Eisenbahn oder zur Mautstraße durchschlagen. Ich fürchte, das heißt halbe Ration und hart reiten, und wenn uns die Flucht gelingen soll, müssen wir uns falsche Namen zulegen. Wir werden kaum was Besseres sein als Drückeberger und Arbeitsflüchtige, und ich denke mal, dass wir eine ganze Weile in dieser Gesellschaft verbringen müssen, zumindest bis New York City. In New York finden wir Freunde.«
Es war ein Plan, gewiss, aber was vor uns lag, war gewaltig und trostlos und schlug mir aufs Gemüt.
»Wir haben einen Gefangenen«, eröffnete Julian seinem Mentor, und wir kehrten mit Sam zu der besagten Ausgrabung zurück, um ihn aufzuklären, wie die Nacht verlaufen war.
Der Reservist saß noch da. Wir hatten ihm die Hände auf den Rücken gebunden, und er war noch schwer angeschlagen von der groben Begegnung mit dem Betonpfeiler, aber nicht so schwer, dass er nicht die Augen aufmachen und uns böse anstieren konnte. Julian und Sam brauchten eine Weile, um sich zu einigen, wie man mit dieser Belastung umgehen wollte. Mitnehmen konnten wir ihn auf keinen Fall; die Frage war vielmehr, wie wir ihn heimschicken konnten, ohne uns unnötig in Gefahr zu bringen.
Es war eine Diskussion, zu der ich nichts beitragen konnte, also nahm ich Papier und Bleistift aus meinem Rucksack und schrieb einen Brief.
Er war an meine Mutter gerichtet, da mein Vater weder lesen noch schreiben konnte.
Du hast ganz bestimmt meine Abwesenheit bemerkt, schrieb ich. Es macht mich traurig, von zu Hause fort zu sein, besonders jetzt (ich schreibe am 1. Weihnachtstag). Aber ich hoffe, dass es dich tröstet, wenn du liest, dass es mir gutgeht und ich nicht in akuter Gefahr bin.
Das war eine Lüge, je nachdem, was man unter »akut« verstand; aber eine freundliche, fand ich.
Ich hätte jedenfalls nicht in Williams Ford bleiben können, denn ich wäre nicht am Militärdienst vorbeigekommen, auch wenn ich die Einberufung noch ein paar Monate hinausgeschoben hätte. Die Rekrutierung ist kein Spaß; ich gehe davon aus, dass sich der Krieg in Labrador festgefahren hat. Unsere Trennung war unausweichlich, so sehr ich Euch nachtrauere, meinem Zuhause und allen Annehmlichkeiten.
(Es hätte nicht viel gefehlt, und eine Träne hätte sich aufs Papier verirrt.)
Bitte nimm meine besten Wünsche und meine Dankbarkeit für alles an, was Ihr beide, Du und Vater, für mich getan habt. Ich werde wieder schreiben, sobald es die Umstände zulassen, was einige Zeit dauern kann. Du kannst darauf vertrauen, dass ich getreu den christlichen Tugenden, die Du mir vermittelt hast, meinen Weg gehen werde. Gott segne Dich in diesem und in allen Jahren.
Es hätte mehr gesagt werden müssen, aber die Zeit reichte nicht. Julian und Sam riefen nach mir. Ich setzte meinen Namen darunter und fügte ein Postskriptum hinzu:
Richte Vater bitte aus, dass ich seine Ratschläge zu schätzen weiß und einer mir schon tüchtig geholfen hat.
Noch einmaclass="underline" Euer Adam.
»Du hast einen Brief geschrieben«, bemerkte Sam, als er kam, um mich zu meinem Pferd zu scheuchen. »Aber hast du auch mal einen Gedanken darauf verschwendet, wer ihn überbringen soll?«
Ich räumte die Unterlassungssünde ein.
»Der Reservist kann ihn mitnehmen«, rief Julian, der schon hoch zu Ross war.
Der Reservist saß auch schon im Sattel, die Hände auf dem Rücken. Sam hatte das letzte Wort gehabt und entschieden, den Mann gefesselt auf sein Pferd zu setzen und Richtung Westen freizulassen, wo er über kurz oder lang auf andere Reiter stoßen würde. Der Mann war wach, aber, wie gesagt, noch nicht ganz Herr seiner Sinne; er bellte: »Bin ich vielleicht ein Depeschenreiter?«
Ich adressierte den Brief, und Julian nahm ihn und steckte ihn in die Satteltasche des Reservisten. Trotz seiner Jugend und seiner wüsten Frisur und der ramponierten Kleidung machte Julian eine gute Figur im Sattel. Er war natürlich ein Aristokrat erster Güte, doch ich hatte nie wirklich einen Hochgeborenen in ihm gesehen, bis zu diesem Augenblick, als er wie selbstverständlich diesen gebieterischen Ausdruck bekam. Zu dem Reservisten sagte er: »Wir haben dich gut behandelt …«
Der Reservist stieß eine Verwünschung aus.
»Sei still. Du bist in dem Konflikt verletzt worden, aber wir haben dich gefangen genommen und dich freundlicher behandelt als du uns, als die Seiten noch vertauscht waren. Ich bin ein Comstock und verbitte mir jede allzu grobe Erwiderung von einem Infanteristen. Du wirst den Brief des Jungen überbringen, und du wirst es gerne tun.«
Der Soldat war regelrecht bestürzt über die Behauptung, Julian sei ein Comstock — er hatte in der Annahme gehandelt, wir seien einfache Ausreißer —, aber er nahm seinen ganzen Mut zusammen und sagte: »Warum sollte ich?«
12
Einst auf den Südosten beschränkt, hatten sich die Kornnattern mit dem warmen Klima nach Norden ausgebreitet. Ich habe gelesen, dass manche der Säkularen Alten die Kornnattern als Haustiere hielten — ein weiterer Beleg für die gewollte Perversität unserer Altvorderen.
13
»… snow lay round about, deep and crisp and even.« Zeile aus dem englischen Weihnachtslied