»Und Mr. Winslow ist so freundlich, uns heute Nacht auf einem Heuboden schlafen zu lassen«, sagte Sam. »Morgen früh kommt hier ein Zug durch, vielleicht mit Verspätung durch Schneeverwehungen in den Bergpässen, wir werden sehen. Er wird uns schon mitnehmen — vorher müssen wir aber noch die Tickets kaufen.«
Rapture bedachte mich mit einem hochmütigen Blick, als ich ihm Lebewohl sagte. Dann wollte ich nur noch an eines denken: die aufregende Fahrt mit der Eisenbahn.
Sam ging voran, als wir uns der Menge der Möchtegernflüchtlinge näherten, die an der Bekohlungsstation kampiert hatten. Diese landlosen Leute kreisten zwischen Baracken und bunten Zelten, wo Verkäufer heiße Mahlzeiten, Handwaffen, Trödelkram und Glücksbringer verschacherten. Die meisten Reisenden, Verkäufer und auch Kunden, waren Männer, doch es gab auch ein paar Familien mit Kindern in der Menge. Ich fragte Sam im Flüsterton, was diese Leute hierher verschlagen habe.
Manche seien Arbeitsflüchtige aus den großen Landgütern im Westen, sagte er, auf der Flucht vor Vertrag und Gesetz. Manche seien wandernde Landarbeiter oder freie Fabrikarbeiter, gestrandet durch typische Bedingungen des Schwarzmarktreisens. Wieder andere seien Kleinbauern, verdrängt durch expandierende Landgüter. Viele seien Verbrecher der übelsten Sorte. Die meisten warteten auf den nächsten Zug nach Osten.
Ich hatte Angst, wir könnten gezwungen sein, mit diesen Menschen um einen Platz im Zug zu raufen. Vielleicht zogen wir den Kürzeren und mussten zurückbleiben — keine erfreuliche Aussicht mit dem Einbeinigen Willy Bass im Nacken —, doch Sam beruhigte mich und meinte, seine Rücklagen würden allemal für drei sichere Plätze reichen.
Sam verschwand in dem Holzgebäude, in dem die Büros des Bahn-Trusts untergebracht waren, und kam sobald nicht wieder. Also streunten Julian und ich ein bisschen zwischen den Verkaufsständen herum, besahen uns gefärbte Decken und Alkoholöfen, Taschenmesser und kleine Glücksschweinshaxen. Ein Verkäufer lockte mich mit Fleischspießchen, die über einem Holzkohlefeuer gegrillt wurden — der Duft machte mich nach Tagen, in denen wir aus der Satteltasche in den Mund gelebt hatten, förmlich kirre —, aber Julian meinte, das Fleisch stamme doch bestimmt von Tieren, die unser Mr. Winslow aus gewissen Gründen nicht mehr nach Osten verfrachten könne: älteren Maultieren und tuberkulösen Rindern. Mir verging der Appetit.
Schließlich trat Sam aus dem Bahngebäude und sah sich mit grimmiger Zufriedenheit nach uns um. Er hatte uns Plätze im allernächsten Zug gekauft, und wir brauchten nur noch ein Mal in Bad Jump zu übernachten …
Mr. Winslow zeigte sich unerwartet großzügig, und wir durften auch diese Nacht auf einem seiner Heuböden verbringen. Sam teilte drei Wachen ein. Julian übernahm die erste, Sam die zweite und ich die letzte — die Morgenwache, also die kälteste von allen. Als Sam mich aufweckte, warf ich mir die Decke um und nahm seinen Platz an der offenen Luke ein, durch die der Wind ungehindert Zutritt hatte, und überhäufte mich so lange mit losem Heu, bis ich nur noch aus zwei Augen bestand, die aus einem Heuhaufen lugten.
Ereignislose drei Stunden verstrichen, in denen ich gegen Kälte und Müdigkeit kämpfte. Dann bekam der Himmel jenen perlmuttartigen Glanz, mit dem die Dämmerung beginnt. Der westliche Horizont entblößte seine Wintersilhouette, und ich sah etwas, das mich in seinen Bann zog: eine pechschwarze Rauchsäule, weit weg, aber beständig näher kommend. Es war der Zug. (Die meisten Lokomotiven damals verbrannten mehr Bitumenkohle als Anthrazit, und ihre schmutzige Handschrift war an klaren Tagen weithin sichtbar.)
Ich befreite mich aus dem Stroh und wollte die anderen wecken, als Mr. Winslows Frau mir zuvorkam, sie war die Leiter aus dem Stall heraufgeklettert und rief energisch: »He, Jungs! Zug aus dem Westen — Kavallerie aus dem Norden! Seht zu, dass ihr wegkommt!«
Ganz Bad Jump schien zu wissen, dass die Kavallerie kam; bis wir gepackt und den Stall verlassen hatten, war der Teufel los.
Wir eilten zur Trasse hinüber und sahen dem Zug entgegen.
So sehr ich mich vor der Gefahr aus dem Norden fürchtete, die Ankunft der Lokomotive und die endlose Schlange aus Güterwagen schlugen mich in ihren Bann. Manche Waggons trugen Aufschriften wie SULFUR oder BAUXITE oder NITRE und mussten über Kalifornien und Kaskadien oder die schrecklichen Bergwerke der Desert Southwest gekommen sein. Manche transportierten Container aus Asien, die aus unseren pazifischen Häfen kamen; die chinesischen Schriftzeichen erinnerten an frisch gefallene Mikadostäbchen. Es gab Waggons, die nach Rindern stanken, nach Ziegen und Schafen, gefolgt von Waggons, die nach Holz und Eisen rochen. Die Lokomotive, die das alles hinter sich herschleppte, war in meinen Augen ein schönes Exemplar — die Pächterjungen in Williams Ford hätten sie »stählernes Streitross« genannt. Ihre Eisen-, Messing- und Stahlteile glänzten wie frisch poliert. Das Zugpersonal hatte zwischen Scheinwerfer und Schornstein ein Karibugeweih angebracht, damit sie wild aussah; und sie erreichte die Bekohlungsstation mit einem dampfenden Zischen und metallenen Klingen, dass ich wie gelähmt war vor Ehrfurcht. Wie die Faust eines Riesen fiel ihr Schatten über die Prärie.
Sam und Julian, die mehr Züge gesehen hatten als ich, zerrten mich am Kragen aus meinem Trancezustand, als die Flut der Möchtegernpilger zu den »Phantomwagen« schwappte. In diesen Waggons warteten Reiseagenten, wie man sie nannte — kleinere Angestellte des Schienen-Trusts, die ihr Einkommen aufbesserten, indem sie die Schwarzmarktpassagiere kontrollierten und einwiesen.
Nicht alle Entwurzelten von Bad Jump hatten Tickets gekauft, aber alle waren darauf bedacht, der anrückenden Kavallerie zu entkommen. Viele waren abhängige Arbeiter, die von ihren Landgütern geflohen waren und schon aus Angst vor der verbrieften Strafe nicht zu ihren Arbeitgebern zurückwollten; andere hatten Verbrechen begangen, die noch schwerer wogen als »Diebstahl zu entrichtender Arbeit«; oder hatten Angst vor der neuen Rekrutierungswelle. Und ihre Panik erzeugte ein unerwartetes Gedränge. Reiseagenten brüllten aus den offenen Türen der Phantomwagen, wollten von jedem das gültige Ticket sehen und wehrten verzweifelte Nachzügler ab. Sie packten ihre Gewehre, und in unserer Hörweite fiel ein Schuss, der den Mob noch mehr anstachelte.
»Bleibt dicht hinter mir!«, befahl Sam, als wir uns einen Weg durch den lebendigen Verhau aus Ellbogen und Knien bahnten. Es gab sechs Phantomwagen hintereinander; unserer trug die Nummer zweiunddreißig und war der letzte in der Reihe. Der verantwortliche Reiseagent war ein stämmiger Mann in einer ramponierten Trust-Jacke, an jeder Hüfte eine Pistole und in der linken Hand ein Gewehr. Er schoss zweimal in die Luft, während ich zusah; doch der Mob drückte weiter, und der Mann wurde sichtlich nervös.
»Der Zug wird nicht lange warten«, sagte Sam. Auffallend hastig wurden Kohle und Wasser nachgetankt. »Dahinten, seht ihr?«
Auf dem Kamm eines niedrigen Hügels im Nordwesten war eine Schar von Reitern aufgetaucht. Mehr war aus dieser Entfernung nicht auszumachen, doch ich war überzeugt, ihr Anführer war der Einbeinige Willy Bass.
»Nur mit gültigem Ticket«, schrie der Transportagent, als wir uns durch die Menge der heruntergekommenen Flüchtlinge drängten. »Zeigt eure Papiere, oder ich schieße! Kein Zutritt ohne Papiere!«