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Und dabei blieb es (so lange, dass es schon fast zum Himmel stank), denn was folgte, waren Jahrzehnte, in denen es laufend zu Zusammenstößen zwischen amerikanischen und mitteleuropäischen Kriegsschiffen kam, in denen immer wieder Vorwürfe wegen Piraterie erhoben wurden, Geplänkel entlang der Laurentischen Berge an der Tagesordnung waren und regelmäßig scharfe diplomatische Noten ausgetauscht wurden … Dennoch hatte ein Modus Vivendi die Oberhand gewonnen: Die Kontinuität der wirtschaftlichen Beziehungen schien wichtiger als der nationale Stolz. Die sogenannten Pius-Präsidenten, die in diesem Intermezzo regierten, waren mehr damit beschäftigt, die Macht des Dominion of Jesus Christ zu etablieren und die Landnutzung der Westprärie zu regeln, als gegen Fremde zu kämpfen.

In der langen und sonnigen Regierungszeit der Pius-Präsidenten wuchsen Macht und Wohlstand der Nation. Unser großartiges Schienennetz wurde vervollkommnet und ausgebaut, während das Landgüter-System Rechtssicherheit in den bisherigen Flickenteppich und die dort geltenden Arbeitsverhältnisse brachte. Nahrung gab es reichlich, die Bevölkerungszahl begann nach dem katastrophalen Massensterben während der Falschen Drangsal zu steigen, die Pocken rafften in dieser Zeit weniger Kinder dahin, und der internationale Handel verwandelte unsere Häfen in ansehnliche Großstädte mit Zehntausenden von Einwohnern.

Das war der Zustand der Nation, als Julians Großvater Emmanuel Comstock Präsident wurde. (Julians Schilderung war, wie gesagt, nicht so trocken und straff wie meine, sonst wären seine Zuhörer sicher weggeblieben. Es waren in der Tat seine dramaturgischen Instinkte, die ihm an diesen entspannten Sonntagnachmittagen zugutekamen. Er redete in flotten Kadenzen, nahm komische Stimmen und Posen an, die seiner Sache dienlich waren, strich sich über den dünnen Bart, um die Pius-Präsidenten nachzuahmen … Und als er über die Comstock-Dynastie sprach, wurden seine Ausführungen pointierter und bissiger — ich glaube aber nicht, dass es jemand bemerkt hat.)

Emmanuel Comstock, der erste der imperialen Comstocks, war ein brutaler, aber weitblickender Präsident, der es sich zur Aufgabe machte, die Armeen zu modernisieren und sie der Church of the Dominion zu unterstellen. Seine Arbeit war erfolgreich, und es dauerte nicht lange, da verfügte die Nation über eine Streitmacht, die ihresgleichen suchte — eine Streitmacht, die Emmanuel Comstock nicht zögerte unverzüglich einzusetzen. Die frisch reformierte Laurentische Armee griff die Deutschen nördlich des Sankt Lorenz an, während die rot-weiße Flotte von Admiral Finch den Mitteleuropäern vor Groswater Bay empfindliche Verluste beibrachte.

Während dieser Konflikte nahm Emmanuel Comstock die Tochter eines Senators zur Frau, und im fünften und sechsten Jahr seiner Regierung brachte die Verbindung zwei Söhne hervor: Deklan und Bryce Comstock, in dieser Reihenfolge. Emmanuel Comstock wollte unbedingt verhindern, dass seine Söhne zu aristokratischen Müßiggängern wurden, und ließ die Brüder von Kindesbeinen an als Krieger und Staatsmänner trainieren; kaum herangereift, bekamen sie militärische Vollmacht, damit sie Gelegenheit hatten, ihre Führungsqualitäten unter Beweis zu stellen: Deklan wurde Generalmajor der Laurentischen Armee und Bryce, der jüngere Bruder, bekam einen vergleichbaren Rang in der Kalifornischen Armee.

So verschieden die Brüder waren — der freundliche, glücklich verheiratete Bryce und der brütende Einzelgänger Deklan —, sie erwiesen sich beide als fähige Kommandeure. Die Siege des Ersteren hatten die Mitteleuropäer zwar zurückgedrängt, aber nicht aus Nordamerika vertreiben können: Die Statthalter oder deutschen Gouverneure hatten sich in den Weiten des Nordostens, die sie so viele Jahre lang regiert und ausgebeutet hatten, zu fest eingeigelt. Doch die Laurentische Armee unter Deklan Comstock eroberte und besetzte ganz Neufundland, und die Eisenbahntrasse zwischen Sept-Iles und Schefferville fiel in amerikanische Hände.

Das war der berühmte Sommerfeldzug von 2160.[24] In seinem Kielwasser marschierten Kerntruppen der Laurentischen Armee nach New York City, um dort eine Siegesparade abzuhalten. Bald darauf[25] starb Emmanuel Comstock an den Folgen eines Sturzes (beim Jagen auf dem Gelände des Regierungspalastes hatte sein Pferd gescheut), und Deklan übernahm mit Zustimmung eines machtlosen Senats die Präsidentschaft.

(Hier rief Julian seine Zuhörer ganz nah zu sich heran, um sicherzugehen, dass »Deklans« gereizte und schrille Stimme nicht etwa von einem vorbeikommenden Offizier gehört wurde. Sam war nicht da, sonst hätte er Julian Einhalt geboten. Sam hatte ihn bereits vor Darstellungen atheistischer oder aufwieglerischer Szenen gewarnt; doch Julian sah nicht ein, warum die Rekrutierung seinem liebsten Steckenpferd im Weg sein sollte.)

Deklan hatte seinen Status als Vorzeige-General durchaus verdient, wurde aber ein eifersüchtiger und argwöhnischer Präsident. Er misstraute vor allem seinem jüngeren Bruder Bryce, in dem er einen möglichen Rivalen sah, und beschwor, nicht zuletzt um Bryce in Gefahr zu bringen, den Isthmischen Krieg herauf.[26] Ein amerikanisches Kriegsschiff, die Maude, war bei der Ausfahrt aus dem Panamakanal explodiert — wahrscheinlich wegen eines defekten Dampfkessels; doch Deklan Comstock erklärte den Vorfall zum Sabotageakt und gab die Schuld den brasilianischen Bewachern des Kanals. Der Kanal sollte in amerikanische Hände gelangen; und nach einem kühnen Feldzug konnte ihm die Kalifornische Armee unter dem Kommando von Bryce Comstock diesen Wunsch erfüllen.

Panama hätte ein Juwel in Deklans Krone sein können. Doch der jüngere Bruder hatte die finsteren Erwartungen des älteren enttäuscht, und das nur, weil er am Leben geblieben war. Und Bryce erregte noch mehr Eifersucht durch die vieldiskutierte Brillanz seiner militärischen Karriere.

Die Westarmeen konnten nicht den weiten Weg nach New York kommen, nur um sich feiern zu lassen. Bryce wurde allein in diese Stadt beordert, angeblich, um den Verdienstorden entgegenzunehmen. Doch kaum hatte er den Zug verlassen, wurde er von Ostsoldaten umringt und wegen Hochverrats festgenommen.

(Ich will den Leser nicht ermüden und die »an den Haaren herbeigezogene« Anklage erläutern, wie Julian sie nennt, oder die brudermordende Logik, die aus einem siegreichen Offizier einen Feind der Nation macht. Es erübrigt sich zu sagen, dass die Auszeichnung, die ihm um den Hals gehängt wurde, nicht aus Gold, sondern aus Hanf war, und seine wahre Belohnung ein Platz im Thronsaal eines Herrschers ist, der weit mehr zu sagen hat, als der amtierende Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte.)

Und die letzten zehn Jahre, so Julian zu seinen gespannten Zuhörern, hatten wenig geändert — ein Patt in Labrador, ein Sieg am Isthmus von Panama und ein Deklan Comstock, der in den Marmorfluren des Präsidentenpalastes egozentrisch vor sich hin brütete. Zumindest bis zum letzten Jahr. Dass Amerika den Kanal annektiert hatte, hatte die mitteleuropäischen Mächte alarmiert; sie sahen sich nun, was ihre Verbindung zum Pazifik anging, einmal mehr auf die Nordwestpassage angewiesen; eine amerikanische Vorherrschaft über den pazifischen Raum wollte man nicht hinnehmen. Also hatten sie ihre restlichen amerikanischen Besitzungen befestigt, ihre Streitkräfte zu Land und zu Wasser verstärkt und schon bald die Laurentische Armee mit einem massiven Gegenangriff überzogen.

»Und das ist der Krieg, in dem wir kämpfen sollen?«, fragte Lymon Plugh, dessen Aufmerksamkeit durch Julians Ausführungen strapaziert schien.

»Das ist genau der Krieg, in dem wir kämpfen sollen«, sagte Julian, »und es sieht nicht gut aus. Die Deutschen werfen alles an die Front, wir haben bereits die Eisenbahntrasse nach Schefferville verloren, und der Feind steht vor Quebec City und Montreal. Die Laurentische Armee hat letzten Sommer schwere Verluste erlitten — Grund genug, so viele einzuziehen.«

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24

Beschrieben in dem Roman The Boys of’60 von Mr. Charles Curtis Easton.

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25

Zufällig oder so ähnlich heißt es in den Lehrbüchern.

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26

Siehe Mr. Eastons Gegen die Brasilianer.