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Juniper starrte Skeksyl an, ohne etwas zu erwidern. Etwas in seiner Stimme besänftigte ihre Gedanken und versetzte ihre Seele gleichzeitig in Aufruhr. Er war voller Widersprüche.

»Nicht so schüchtern, ihr beiden! Zufälligerweise bin ich ein lieber Freund eurer Eltern. Aber das weißt du bereits, nicht wahr, Giles?« Unglaublicherweise wurde sein Lächeln noch breiter und es tauchten immer mehr Zähne hinter seinen Lippen auf.

Giles schluckte schwer und nickte. Ihm schlotterten die Knie und sein Gesicht wurde blass.

»Giles und Juniper. Juniper und Giles. Seid ihr auch gekommen, um eure Träume wahr werden zu lassen?«

Zweifelnd sahen sich die Freunde an. »Wir … wir sind wegen unserer Eltern hier«, sagte Juniper schließlich.

Skeksyl lächelte noch etwas breiter, wenn das überhaupt möglich war. »Oh, Juniper, ich kann so viel mehr für euch beide tun. Ich habe die Fähigkeit, euch alles zu geben, was ihr jemals wolltet, aber für unerreichbar gehalten habt. Keine Hindernisse, Fallen oder Rückschläge werden euch jemals wieder aufhalten. Eure Eltern verfügen über großes Talent, aber sie haben es aus eigener Kraft nicht geschafft, ihr Schicksal zu erfüllen. Nein, sie brauchten Hilfe. Meine Hilfe.« Er stieß ein böses, wahnsinniges Lachen aus, das schrill durch den Raum schoss und ihn mit Kälte erfüllte. »Ich kann Träume wahr werden lassen.«

Juniper und Giles tauschten einen fragenden Blick.

»Ah, ihr wollt bestimmt einen Beweis.« Skeksyl war ihr Zögern nicht entgangen. »Ihr wollt einen kleinen Vorgeschmack. Natürlich! Folgt mir.«

Neptun erhob sich in die Luft und Skeksyl ging an ihnen vorbei zurück in die Halle. Vor der ersten Tür blieb er stehen. Die Schnitzereien zeigten einen überlaufenden Kelch, in dessen Flüssigkeit Menschen schwammen. Oder ertranken sie? »Tretet durch diese Tür. Wenn ihr wieder herauskommt, werdet ihr frei von Zweifeln sein. Was ihr in diesem Raum seht, kann ich wahr werden lassen. Ich werde euch eure Träume in einer Handvoll Staub zeigen.«

Mühelos öffnete ihr grinsender Führer die Tür und winkte sie herein.

Alles in dem Raum war schwarz, die Wände, die Decke, der Boden. Hinter ihnen fiel die Tür ins Schloss, und sie konnten einander nicht mehr sehen, weder die Hand vor ihren Augen noch den Weg hinaus auch nur erahnen. Sie waren in der Dunkelheit gefangen und es war völlig still.

Juniper musste etwas sagen, um sicherzugehen, dass sie nicht allein war. »Giles?«

Seine Stimme fand ihren Weg durch die Dunkelheit. »Haben wir einen Fehler gemacht?« Er klang sehr nah, und kurze Zeit später fühlte sie eine Hand, die an ihrem Arm herabglitt, bis sich ihre Finger fanden und ineinander verflochten. Die zarte Berührung wärmte Junipers Herz. In diesem Moment brauchte sie nichts zu sehen, sie wusste, dass es Giles war. Ihre Hand schloss sich fester um seine.

Es wunderte sie nicht, dass sie spüren konnte, wie Giles zitterte. Von seinem Körper ging das ängstliche Zucken auf Juniper über. Für sie beide stand viel auf dem Spiel und sie hatten große Angst. Ihr einziger Trost war, dass sie einander hatten.

»Keine Sorge, alles wird gut.«

»Was, wenn er uns nicht wieder hinauslässt? Wenn das eine Falle ist?«

Aber Juniper konnte nicht mehr antworten. Plötzlich hatte sie das Gefühl zu fallen. Sie war ganz sicher, sich im freien Fall zu befinden. Ihre Haare wehten hinter ihr her, die Luft rauschte an ihrem Gesicht vorbei und ließ die Kleider an ihrem Körper flattern.

Jeglicher Orientierungssinn wurde in diesem rätselhaften Raum augenblicklich und vollkommen zerstört. Sie wusste nicht, ob sie aufrecht oder kopfüber fiel, wo die Tür war und ob sie sich überhaupt noch irgendwo in der Nähe des merkwürdigen Raumes befand.

Sie stürzte immer weiter in die Dunkelheit, als wäre ihr für alle Zeiten der Boden unter den Füßen weggezogen worden.

Giles ging es nicht anders, und dennoch blieben Juniper und er völlig gelassen. Sie wurden von einer seltsamen Ruhe erfüllt. Keiner von ihnen sprach, sie genossen einfach die Schwerelosigkeit und das Gefühl absoluter Freiheit. Juniper spürte, wie sich ihre Probleme auflösten und ihre Sorgen zerbröckelten. Sie hätten noch einmal Babys sein können, die sicher und sanft in den Schlaf geschaukelt wurden. Es war so verlockend, sich diesem angenehmen Gefühl einfach hinzugeben.

Minute um Minute verrann, und sie fielen noch immer, ohne etwas sehen zu können. Wenn in ihrem friedvollen Geist Platz für beunruhigende Gedanken gewesen wäre, hätten sie sich gefragt, ob es möglich ist, für immer zu fallen. Kann man schlafen, wachsen und sein Leben leben, während man fällt? Und wenn sie irgendwo landen sollten, was würde mit ihnen passieren? Würden sie am Boden zerschellen?

Doch solche Ängste kamen ihnen nicht in den Sinn und schließlich hörten sie auf zu fallen. Sie landeten nicht, es gab keinen Ruck oder Aufprall, nur einen sanften Übergang in den Ruhezustand, als würden sie in die Schwerelosigkeit gleiten.

Juniper und Giles, die sich immer noch an den Händen hielten, schwebten nun zwischen Millionen von Sternen.

In ihrem Licht konnten sie ihre erstaunten, fassungslosen Gesichter sehen. Obwohl es eiskalt hätte sein müssen, wärmte das Funkeln der Sterne ihre Körper von Kopf bis Fuß, innen und außen. Und obwohl es ihnen eigentlich nicht hätte möglich sein dürfen zu atmen, war jeder Atemzug berauschend. Sie befanden sich in den Tiefen des Weltalls!

Eine riesige Raumstation flog geräuschlos an ihnen vorbei, als würde sie nicht mehr wiegen als eine Luftblase. Sie hatte die Größe einer kleinen Stadt. Juniper und Giles konnten jede Einzelheit erkennen, jede Schraube, jeden Kratzer, die Streifen im Anstrich und auch die Astronauten im Inneren. Ein wahres Wunderwerk der Menschheit!

Dann, als sie sich in der weiten Leere des Weltraums umwandten, um die Bahn der Raumstation zu verfolgen, entdeckten Juniper und Giles etwas, das noch beeindruckender war. Weit hinter sich in der Ferne erblickten sie die Erde in ihrer ganzen Schönheit.

Es war ein gewaltiger, ein unvergesslicher Moment. Mitten im All wirkte der Himmelskörper so ungewöhnlich friedlich. Alles, was Juniper das Leben schwer gemacht hatte, all die schlimmen Nachrichten, die täglich von jedem Fernseher und Computer verbreitet wurden, das Flimmern von Billionen großer und kleiner Bildschirme, nichts davon existierte hier oben. Hier gab es nur Schönheit und Stille. Dieser Anblick erfüllte Junipers Herz. Es war ein unvergleichliches Gefühl, das die Macht besaß, einen alles glauben zu lassen.

Juniper wurde von Ehrfurcht erfasst. Es war das Schönste, was sie je gesehen hatte, und sie wusste sofort, dass sie diese Erfahrung mit anderen teilen musste. Die Menschen mussten davon erfahren. Dieser Anblick konnte das ganze Leben verändern. Sie drückte Giles’ Hand noch etwas fester. Passierte das wirklich? Hatten sie tatsächlich die Erde verlassen?

Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit begannen sie, durch das All zu fliegen. Wie winzige Meteoriten glitten sie am Mond vorbei in die weiter entfernt liegenden Bereiche des Sonnensystems. Sie stiegen mit dem Sternenlicht in die Höhe und dennoch sahen sie alles gestochen scharf. Kein Fernglas hätte ihnen diese Welten zeigen können.

Kurze Zeit später hatten sie den Mars erreicht und schwebten über seine mit roten Gesteinsbrocken übersäte Oberfläche. Sie sahen eine NASA-Raumsonde, die sich durch den Boden grub, um den Planeten zu kartografieren und nach Anzeichen von Wasser zu suchen. Sie flogen um den Jupiter herum, warfen einen Blick in seinen wirbelnden Großen Roten Fleck und sahen die Blitze, die sich dort fortwährend entluden. Allein in den Großen Roten Fleck würde die Erde dreimal hineinpassen, während der Planet selbst mehr als tausendmal so groß war. Das war eine Dimension, für die ein Gefühl wie Ehrfurcht nicht mehr ausreichte.