Juniper wurde von horizontalen Wolkenschichten eingehüllt, die sich in unterschiedlichen Richtungen und Geschwindigkeiten um den Gasplaneten bewegten. Es sah aus, als würde der Planet vom Himmel abgeschraubt.
Sie flogen zwischen den Ringen des Saturn hindurch und stellten fest, dass sie aus Eis- und Gesteinsbrocken bestanden, von denen einige so groß wie Autos und andere so klein wie Kieselsteine waren. Vielleicht handelte es sich um die Überreste eines früheren Mondes, die nun in ihrer Umlaufbahn gefangen waren.
Auch Uranus und Neptun waren von Ringen umgeben, wie sie wenig später feststellten, wenn auch von wesentlich kleineren. In eisiger Stille kamen sie an Pluto vorbei, und Juniper dachte, dass es sich bei ihm tatsächlich nicht um einen Planeten handelte.
Sie reisten zum Ende des Sonnensystems und darüber hinaus, sahen Welten über Welten, außergewöhnliche Farben und Formen, kosmischen Staub und Meteore, Monde und Kometen, Asteroide, Rote, Braune und Weiße Zwerge, Gasriesen, Sonneneruptionen, Pulsare, Quasare, galaktische Halos und kosmische Nebel – Himmelsobjekte, die das Vorstellungsvermögen überstiegen.
Hand in Hand rasten sie an Sternen vorbei, durch unzählige Galaxien und waren so glücklich wie nie zuvor.
»Das ist ein Wunder«, sagte Giles. Und auch Juniper erschien es so. Ein Wunder. Aber war das die Wahrheit?
Diese Frage veranlasste sie, das Nachtsichtgerät auf ihr Fernglas zu setzen. Doch ausnahmsweise fiel es ihr schwer, das Fernglas an die Augen zu führen. Was würde sie sehen? Sie wollte diese wunderbare Erfahrung nicht zerstören. Aber sie musste die Wahrheit wissen. Sie war in ihrem Leben oft genug betrogen worden. Ihre Eltern waren nicht mehr ihre Eltern und sie wollte nicht länger getäuscht werden.
Langsam hob sie das Fernglas an ihre Augen.
Als sie durch die Linsen blickte, verschwand das unendliche Universum. Sie sah dieselben vier Wände, in denen sie zuvor gestanden hatten. Giles neben ihr schwebte nicht, sondern stand mit beiden Füßen auf dem Boden. Sie hatten die Erde niemals verlassen. Es war eine Illusion, eine Fälschung. Auch wenn sie noch so echt erschien, es war nicht die Realität. Wenn dieser Freizeitpark-Ausflug zu Ende ist, werden wir durch dieselbe Tür hinausgehen, durch die wir hereingekommen sind. Es gab keine Wunder.
Gibt es so etwas überhaupt?, fragte Juniper sich traurig.
Enttäuscht ließ sie ihr Fernglas sinken. Plötzlich wurde sie durch das Universum geschleudert wie das Licht eines explodierenden Sterns. Die Geschwindigkeit war unglaublich, sie verdrängte jedes Geräusch, und Juniper hatte keine Ahnung, ob Giles immer noch neben ihr war. Sie ließ das Fernglas los und befand sich wieder im Weltraum, flog an den Planeten in umgekehrter Reihenfolge vorbei und schoss direkt auf die Erde zu wie ein Asteroid. Die blauen und grünen Wirbel ihres Heimatplaneten nahmen allmählich Formen an. Als Juniper in die Atmosphäre eintrat, wurde die Oberfläche schnell größer. Sie flog immer näher. Oder fiel sie? Sie durchbrach die Wolken wie ein Blitz und der Boden kam rasend schnell auf sie zu.
Juniper hielt sich beide Hände vors Gesicht. Gleich würde es einen schrecklichen Aufprall geben. Sie konnte die Berge und Flüsse sehen, dann die Städte und Gebäude, dann die Häuser und Straßen, dann …
Sie stand auf einem roten Teppich. Hunderte von Leuten umringten sie. Langsam drangen die Geräusche wieder an ihr Ohr und sie konnte das begeisterte Kreischen der Menge hören. Ihre Hände wurden rechts und links von jemandem festgehalten. Sie hob den Kopf und blickte in die warmen Augen ihrer Eltern.
Fotoapparate knipsten unentwegt, Kameras surrten, ihr Vater hob sie hoch, ihre Mutter küsste sie auf die Wange und sagte, sie solle ihren Fans zuwinken. Und Juniper gehorchte mit einem strahlenden Lächeln. Sie winkte so lange, bis ihr der Arm wehtat. Ihr Name stand in großen Leuchtbuchstaben ganz oben neben dem ihrer Eltern an der Fassade des Gebäudes: Geschrieben von Juniper Berry.
Alles und jeder strahlte vor Glück, doch Juniper war sich sicher, dass ihre Augen am allermeisten strahlten. Sie zitterte, überwältigt von verloren geglaubten Gefühlen.
Ihre Eltern begleiteten sie die Treppe hinauf ins Kino. Kaum hatte sie die Eingangshalle betreten, wurden ihr Dutzende von Mikrofonen unter die Nase gehalten. Alle wollten einen Kommentar von ihr.
Juniper trat einen Schritt vor. Sie drehte sich zu ihren Eltern um, die ihr lächelnd zunickten. In ihren Augen lag nichts als Liebe. Die Mikrofone wurden noch weiter nach vorne gestreckt. Die Menge beruhigte sich. Juniper straffte die Schultern, setzte ein strahlendes Lächeln auf und sagte mit Tränen in den Augen: »Das ist es, was ich immer wollte.«
Plötzlich verschwanden die Gesichter, das Licht erlosch, und Juniper und Giles waren wieder dort, wo ihre Reise begonnen hatte. Um sie herum ragten schwarze Wände auf, ein Raum wie eine leere Hülle.
Die Tür öffnete sich knarrend.
Im schwachen Schein der Fackeln wartete Skeksyl. »Also, können wir nun verhandeln?«
Als sie in den höhlenartigen Raum zurückkehrten, waren zwei Stühle vor den Tisch gestellt worden, die, genau wie der Tisch selbst, aus abgeschlagenen Ästen gebaut worden waren. Auf dem Tisch lagen ordentlich aufgereiht vier eingefallene Ballons. Neptun, der auf dem Stuhl seines Meisters hockte, wachte sorgsam über sie.
Skeksyl strebte zu seinem Stuhl. Sein Stock klopfte bei jedem seiner geschmeidigen Schritte auf den Boden, bis er am hinteren Ende des Tisches Platz genommen hatte. Mit einem Wink seiner mageren Hand lud er Juniper und Giles ein, sich zu ihm zu setzen, was sie nach kurzem Zögern auch taten.
Als alle es sich so bequem gemacht hatten, wie es die Stühle erlaubten, begann Skeksyl mit seiner heiseren Todesstimme zu sprechen. »Wie fandet ihr eure kleine Reise? Aufregend, nicht wahr?«
»Unglaublich!«, rief Giles.
Skeksyls knochiger Finger bewegte sich wie ein Pendel hin und her und verneinte den begeisterten Kommentar. »Nein, nein, nein. Sehr glaubhaft. So glaubhaft wie alles andere, was du je gesehen hast. Es wartet auf dich, Giles, am äußersten Rand deiner Realität. Es braucht nur einen kleinen Schubs. Eine kleine Starthilfe, damit es Wirklichkeit wird.«
Neptun, der jetzt auf Skeksyls Schulter saß, krächzte und flatterte, hob aber nicht ab. Es sah aus, als würde er Giles applaudieren wie ein verrücktes Maskottchen.
»Wie soll das gehen?«, fragte Giles. Er rutschte auf seinem Stuhl immer weiter nach vorne bis zur äußersten Kante.
»Erst wählst du aus, wer du sein willst. Du hast nur einen winzigen Blick in das Universum meiner Möglichkeiten geworfen, einen einzigen Aspekt von Millionen gesehen. Es ist so leicht für euch beide, all diese Gaben selbst zu besitzen.« Er wandte sich an Giles, und seine Fingernägel bohrten sich so tief in den Tisch, dass sie Kratzer hinterließen. Kleine Holzlocken kamen hervor, als er seine Hand zurückzog. »Giles, dir hat doch gefallen, was du gesehen hast, oder?«
Giles nickte.
»Also, was wünschst du dir? Wer möchtest du sein?«
»Ich möchte Astronaut sein.« Giles warf Juniper einen schnellen Blick zu. »Ich möchte die Erde hinter mir lassen und den Weltraum erforschen. So wie in diesem Raum.«
Sofort musste Juniper an all die Qualen denken, die Giles durchlitt, den Spott in der Schule, die Schikanen, die Einsamkeit, seine Eltern, die sich nicht mehr für ihn interessierten. Er wollte tatsächlich alles hinter sich lassen.
»Natürlich. Und genau das wirst du tun, mein Junge. Ich garantiere es dir! Du wirst Welten entdecken, von denen andere nicht einmal geträumt haben. Es gibt Orte, an denen du der König sein wirst, Orte, deren Bevölkerung du unter deinen Füßen zertreten kannst. Es gibt Planeten, die so atemberaubend sind, dass du unsere unbedeutende Erde völlig vergessen wirst. Du wirst nicht länger vernachlässigt und ignoriert werden. Du, Giles, bist für weitaus größere Dinge bestimmt.« Skeksyl kicherte ausgelassen, und die Schatten zuckten, als würden sie mitlachen. »Oh ja, all das kann ich dir geben. Und noch viel mehr. Aber ein Astronaut? Jetzt? In deinem Alter? Das würde dir überhaupt nichts nützen. Du bist noch viel zu jung, um solch ein Privileg in deiner Welt in Anspruch nehmen zu können. Eine Schande, wirklich. Man sollte die Einbildungskraft der Jugend nicht unterschätzen – wenn ich die Verantwortlichen nur in die Finger kriegen könnte! Doch leider musst du für diesen Wunsch in ein paar Jahren wiederkommen, wenn du erwachsen bist. Dann wirst du bereit sein für diese gewaltige Reise. Du wirst nach den Sternen greifen, das verspreche ich dir. Natürlich werden wir uns bis dahin häufig ausgetauscht und dich Schritt für Schritt darauf vorbereitet haben. Aber sag mir, was kann ich jetzt für dich tun? Was soll sich sofort ändern? Noch heute?«