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Sie ereiferte sich weiter über Jugend und Schönheit, das Altwerden und Verwelken. Irgendwann stand sie vor dem Spiegel und riss den Mund auf, streckte ihre Zunge heraus und sah in ihren Hals, genau wie Junipers Vater es vor einigen Tagen getan hatte. Sie zog an ihren Augenlidern, zerrte an ihren Haaren und stocherte zwischen ihren Zähnen herum, als würde sie nach etwas suchen. Junipers Mutter löste sich direkt vor den Augen ihrer Tochter in Luft auf. Es war, als wären ihr Körper und ihr Geist tatsächlich von einer fremden Macht angegriffen und eingenommen worden. Sie hatte sich kaum noch unter Kontrolle.

Mrs. Berry verpasste dem Waschtisch einen Stoß. »Das ist nicht fair!«, rief sie. »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin! Ich bin nicht ich! Ich bin nicht ich! Ich bin leer!« Sie griff sich an die Wade. Ihre Fingernägel bohrten sich tief in die Haut und kratzten die ganze Wade von unten bis oben auf. Als sie die Hand wegzog, tropfte helles Blut herab. Ihre flackernden Augen folgten jedem fallenden Tropfen bis zum Boden. »Bin ich das? Ist das wenigstens meins?« Sie fasste Juniper an den Schultern und ihre Finger hinterließen rote Flecken. »Sag es mir!«

Voller Angst riss sich Juniper los und rannte mit wild klopfendem Herzen aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Kitty folgte ihr.

Sie fand ihren Vater im Arbeitszimmer. Er saß an seinem Schreibtisch und hatte der Tür und ihr den Rücken zugewandt. Sie konnte nur den oberen Teil seines Kopfes und ein kleines Stück von seinen Armen und Beinen sehen, aber sie bemerkte trotzdem, dass er zitterte. Sein Arm fiel herab und Blut tropfte von seinen Fingern auf den Teppich, genau wie bei seiner Frau.

»Es wird nicht sehr viel übrig bleiben«, murmelte er. »Ich glaube, ich löse mich auf. Ich verschwinde.«

»Dad?«

Er fuhr herum und zog seine Ärmel wieder über die Handgelenke. Müde sah er sie an, dann wanderte sein Blick zu dem Foto auf seinem Schreibtisch. Er nahm den Rahmen in die Hand, wobei er ein paar Blutflecken auf dem Glas hinterließ, und studierte das Bild. Schließlich nickte er. »Juniper. Richtig.« Er hielt den Rahmen hoch. »Ich habe deinen Namen auf das Bild geschrieben, damit ich ihn nicht vergesse. Ich bin in letzter Zeit so furchtbar vergesslich.«

»Was machst du da? Was ist los?«

»Ich arbeite.«

»Nein, tust du nicht.«

»Ich versuche es«, sagte er. »Ich bin wieder gegen die Mauer gestoßen.«

»Dad, du blutest!«

»Nein, nein, nein. Es ist nichts.« Er zeigte auf das Drehbuch. »Die Worte sagen mir nichts mehr.« Mit dem Blut an seinem Finger malte er ein trauriges Gesicht unten auf die Seite.

»Warum hörst du nicht einfach auf?«, fragte Juniper bittend. »Nimm dir eine Auszeit. Du hast so viele Filme gedreht, alle lieben dich, du brauchst nie wieder eine Rolle zu spielen!«

»Verstehst du nicht? Die Schauspielerei ist alles, was ich habe.«

»Und was ist mit mir? Mit Mom? Mit unserer Familie?«

Er sah noch einmal auf das Foto, während er den Kopf schüttelte. »Sei still, Juniper. Was wäre ich ohne meine Rollen? Nimm sie weg, und es bleibt nichts von mir übrig. Ich kann nicht aufhören. Die Show muss weitergehen. Die Schauspielerei ist mein Leben.«

»Dein Leben? Was ist das für ein Leben, Dad? Was ist mit uns?«

Ihr Vater starrte sie mit leeren Augen an. Juniper erkannte ihn kaum wieder. Und plötzlich sah sie alles ganz klar.

»Ich dachte, ich will so sein wie ihr. Aber das stimmt nicht. Wenn ich jemals eine Schriftstellerin werde, ist es mir egal, ob irgendjemand meine Bücher liest. Es ist mir egal, ob ich berühmt werde oder nicht.«

»Woher willst du dann wissen, dass du lebst?«

»Ich weiß es eben. Genauso wie ich weiß, dass du nicht lebst!« Ärger stieg in ihr auf, Verwirrung, Mitleid und Ekel, und sie lief aus dem Zimmer.

»Die Welt denkt aber etwas anderes!«, rief ihr Vater ihr nach. »Die Menschen lieben mich! Sie lieben mich, du dummes Mädchen! Und sie werden mich auch noch lieben, wenn ich schon lange tot bin!« Er machte eine Pause. »Das müssen sie einfach! Worum geht es hier denn sonst? Dummes, beschränktes Mädchen! Sag meiner Frau Bescheid! Wir müssen reden!«

Und das taten sie auch, denn in dieser Nacht sah Juniper sie über den Rasen zum Baum gehen, wo Neptun sie mit einem Krächzen begrüßte. Sie griff nach ihrem Mantel.

Dieses Mal würde Juniper ihren Eltern bis ganz nach unten folgen.

Juniper schlich durch den Garten, ohne ihre Eltern aus den Augen zu lassen. Sie dachte kurz daran, Giles zu holen, auch wenn sie wusste, dass es unmöglich war. Sie hatte keine Ahnung, ob sie ihm noch trauen konnte, außerdem reichte die Zeit nicht. Doch sie wünschte sich trotzdem, ihn an ihrer Seite zu haben.

Ihre Eltern stiegen hinter dem Baum in die Tiefe und Neptun schloss sich ihnen an. Er saß brav auf Mr. Berrys Schulter und die beiden waren in ein Gespräch vertieft wie alte Freunde. Dann waren sie nicht mehr zu sehen.

Als Juniper den Baum erreichte, war die Öffnung noch da und sie folgte ihren Eltern schnell und leise die Stufen hinunter. Dieses Mal schien der Abstieg nur ein paar Sekunden zu dauern.

Als Juniper unten angekommen war, ließ sie ihren Blick durch die Halle wandern, doch es war niemand zu sehen. Vermutlich saßen ihre Eltern schon am Tisch und warteten begierig auf ihre Ballons.

Langsam schlich sie näher heran. Als die Stimmen ihrer Eltern an ihr Ohr drangen, ging sie in die Hocke, lehnte sich gegen eine geschlossene Tür, auf der ein riesiger Baum zu sehen war, dessen Zweige sich in den Himmel reckten, und belauschte das Gespräch.

»Die Abstände werden kürzer«, hörte sie Skeksyl sagen. Er stieß ein irres Kichern aus. »Hattet ihr nicht gesagt, dass ihr aufhören wollt?«

»Mach dich nicht über uns lustig. Gib uns einfach, weswegen wir hier sind.« Das war Junipers Mutter. In ihrer Stimme schwangen Panik und Verzweiflung mit.

»Natürlich, natürlich. Dasselbe wie immer?«

»Du weißt, was wir wollen. Hör auf, deine Spielchen mit uns zu spielen«, forderte Mr. Berry.

»Ihr müsst das verstehen, ich versuche, euren Besuch ein wenig in die Länge zu ziehen. Ich weiß nicht, wie viel ihr beide noch zu geben habt. Dies könnte unser letztes Treffen sein.«

Seine Worte gefielen Juniper ganz und gar nicht.

»Wovon redest du? Wir haben noch jede Menge Luft zum Atmen. Du wirst weiterhin bekommen, was du willst. Ich verstehe sowieso nicht, was dir diese Ballons nützen.«

»Ich versichere euch, dass meine Ballons für mich ebenso wertvoll sind wie eure für euch. Darum macht mich der Gedanke auch so traurig, euch heute vielleicht zum letzten Mal zu sehen.« Doch dann lachte er seltsamerweise.

Das ergab für Juniper nicht besonders viel Sinn.

»Lasst es uns hinter uns bringen«, sagte Mr. Berry. »Gib mir die Feder.«

»Wie geht es deinen Armen, mein Freund? Ich nehme an, dieser Weg fordert seinen Tribut und du kämpfst zweifellos noch dagegen an. Das wird dir nichts nützen. Und das weißt du auch. Gib einfach nach. Lass deinen Körper sich entfalten. Genieße deinen Erfolg und alles, was er mit sich bringt.«

»Es fühlt sich nicht so gut an, wie ich es mir vorgestellt hatte«, erwiderte Mr. Berry.

»Und doch bist du wieder hier.«

»Ja, ich bin hier. Und jetzt blas endlich diesen Ballon auf!«

»Ganz wie du …« Skeksyl verstummte. »Einen Moment.«

Juniper hörte einen Stuhl über den Boden schrammen. Ihre Eltern flüsterten miteinander und die Fackeln flackerten wie in einem leichten Luftzug. Was war da los?

Bumm … bumm … bumm. Skeksyls Stock. Die Ausläufer seines Schattens erreichten die Halle. Das Schlurfen seiner nackten Füße wurde schneller. Es blieb nicht viel Zeit. Er kam, um sie zu holen.