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Ben Bova

Jupiter

Für Danny und T. J. meine Lieblings-»Jovianer«,

für Thomas Gold, der sich lieber auf Abwege begibt als langweilig zu sein,

und für Barbara, immer und ewig.

DANKSAGUNG

Mein Dank gilt Mark Chartrand, George W. Ferguson und Frederic J. Jueneman, die zu diesem Roman unschätzbaren Rat und Unterstützung beisteuerten. Die technische Genauigkeit des Stoffes ist zu einem guten Teil ihrer großzügigen Hilfe zuzuschreiben; alle Unrichtigkeiten rühren von meinem großzügigen Umgang mit den Tatsachen her.

Näheres über das Leben des Zheng He und die Hochseeflotte der Ming-Dynastie findet sich in Louise Levathes lesenswertem Buch When China Ruled the Seas, erschienen 1994 bei Simon & Schuster, New York.

PROLOG: ORBITALSTATION GOLD

Die waghalsige Behauptung, Gott habe den Menschen nach Seinem Ebenbild geschaffen, tickt wie eine Zeitbombe in den Fundamenten so mancher Glaubensgemeinschaft.

Arthur C. Clarke

Sechs von ihnen waren nötig, um ihn zu ertränken.

Zögernd und widerwillig hatte Grant Archer sich entkleidet, wie sie es ihm befohlen hatten. Aber als sie ihn zum Rand des großen Tanks stießen, wurde ihm klar, dass er sich nicht widerstandslos fügen würde.

Der aufgemöbelte Gorilla packte Grant beim rechten Arm; Sheena gab Acht, dass sie ihm keine Knochen brach, aber ihr kraftvoller Zugriff war auch so schmerzhaft genug. Zwei von den menschlichen Wachen hielten seinen linken Arm, während ein dritter ihm um die Mitte fasste und ein vierter seine bloßen Füße vom Deck hob, sodass seine wild zappelnde und augenrollende Gegenwehr keine Hebelwirkung entfalten konnte.

Dies alles ging in fast völliger Stille vor sich. Weder schrie oder brüllte Grant sie an, noch bettelte oder fluchte er. Die einzigen Geräusche waren das Scharren der Stiefel auf den kühlen metallenen Deckplatten, das angestrengte Schnaufen der Wachen und Grants panisches, verzweifeltes Keuchen.

Der Hauptmann der Wache umfasste Grants enthaarten Kopf mit seinen großen, fleischigen Händen und stieß ihn mit dem Gesicht in den Tank dicker, öliger Flüssigkeit.

Grant presste die Augen zu und hielt den Atem an, bis er das Gefühl hatte, seine Brust müsse zerspringen. Er brannte innerlich, erstickte, ertrank. Der Schmerz war unerträglich. Er konnte nicht atmen. Er wagte nicht zu atmen. Ganz gleich, was sie ihm gesagt hatten, er wusste im innersten Kern seines Wesens, dass ihn dies umbringen würde.

Keine Luft! Kann nicht atmen!

Der Reflex überwältigte seinen Verstand. Gegen seinen Willen und trotz seines Schreckens musste er Atem holen. Und würgte. Er wollte schreien, um Hilfe oder Gnade rufen. Eisige Flüssigkeit füllte seine Lungen. Sein ganzer Körper verkrampfte und schüttelte sich in einem letzten Aufbäumen von Hoffnung und Lebenswillen, doch dann stießen sie seinen nackten Körper mit einem letzten erbarmungslosen Stoß ganz in den Tank, und er sank hinab, tiefer und tiefer.

Er öffnete die Augen. Es gab Lichter da unten. Er atmete! Hustete und würgte, gequält von unkontrollierbaren Krämpfen. Aber er atmete. Die Flüssigkeit füllte seine Lunge und er konnte sie atmen. Genau wie gewöhnliche Luft, hatten sie ihm gesagt. Eine Lüge, eine bösartige Lüge. Sie war kalt und dick, völlig fremdartig, schleimig und grässlich.

Aber er konnte atmen.

Er sank zu den Lichtern hinab, blinzelte in ihr grelles Licht und sah, dass dort andere nackte, haarlose Körper auf ihn warteten.

»Willkommen in der Mannschaft«, dröhnte eine sarkastische Stimme in seinen Ohren, tief, langsam und hallend.

Eine andere Stimme, nicht so laut, aber in einem noch tieferen Basso profundo, sagte: »In Ordnung, machen wir ihn bereit für die Chirurgie.«

ERSTER TEIL

Mein Gott, mein Gott, was hast du mich verlassen, und stehst so ferne meinem Angstgeschrei und meinen Klagerufen?

Psalm 22

1. GRANT ARMSTRONG ARCHER III

Obwohl er in eine der ältesten Familien in Oregon hineingeboren wurde, wuchs Grant Archer in Verhältnissen auf, die von Reichtum weit entfernt waren. Zu seinen frühen Erinnerungen gehörte der Anblick seiner Mutter, wie sie im Laden des Spendenhilfswerks auf der Suche nach Pullovern und Turnschuhen, die für den Schulbesuch nicht zu schäbig waren, Haufen gebrauchter Kleider durchwühlte.

Sein Vater war Methodistenpfarrer im kleinen Vorort Salem, wo Grant aufwuchs. Man respektierte ihn als Geistlichen, nahm ihn aber in der Gemeinde nicht allzu ernst, weil er, mit den Worten einer der Golfklub-Witwen, »arm wie eine Kirchenmaus« war.

Arm, soweit es Geld betraf, aber Grants Mutter sagte ihm immer, dass sein Vater mit der Gabe der Intelligenz gesegnet sei. Hauptsächlich seine Mutter, die in einem der zahlreichen Büros der Neuen Ethik in der Hauptstadt des Bundesstaates arbeitete, förderte Grants Interesse an den Naturwissenschaften.

Die meisten Funktionäre der Neuen Ethik begegneten den Naturwissenschaften und den Wissenschaftlern mit Argwohn, weil diese sehr oft dem klaren Wort der Heiligen Schrift widersprachen. Sogar Grants Vater drängte seinen Sohn, einen Bogen um die Biologie und alle anderen naturwissenschaftlichen Fächer zu machen, die den prüfenden Blick von Ermittlern der Neuen Ethik auf sie lenken würden.

Für Grant war das kein Problem. Seit er alt genug gewesen war, in ehrfürchtig staunender Verwunderung zum Nachthimmel aufzublicken, hatte er Astronom werden wollen. In der Oberschule, wo er der beste Schüler seiner Klasse gewesen war, verengte sein Interesse sich auf die Astrophysik Schwarzer Löcher. Zwar konnte er sich auch für die Entdeckungen auf dem Mars und draußen unter den Jupitermonden begeistern, doch reichte alles das bei weitem nicht an die Faszination heran, die der Todeskampf von Riesensternen auf ihn ausübte. Wenn er lernen könnte, sagte er sich, wie zusammengestürzte Sterne im Bereich ihrer Schwerefelder die Raumzeit verformten, würde er vielleicht einen Weg finden, wie solche Verformungen sich für interstellare Reisen von Menschen nutzen ließen.

Er träumte davon, im Observatorium auf der erdabgewandten Seite des Mondes zu arbeiten und den Gravitationskollaps ausgebrannter Sterne weit draußen in den Tiefen des interstellaren Raumes zu studieren. Allerdings hatte er gehört, dass es sogar dort im Observatorium Spannungen und Gefahren geben sollte. Trotz aller Kritik von Seiten der Neuen Ethik und der strengen Regeln, die von den Direktoren des Observatoriums festgelegt worden waren, versuchten einige Astronomen noch immer Zeit für die Suche nach Anzeichen außerirdischer Intelligenz zu erübrigen. Wurden verbotene Aktivitäten dieser Art entdeckt, so löste das Direktorium den Arbeitsvertrag des Verantwortlichen und schickte ihn in Unehren nach Hause; seine Berufslaufbahn war damit so gut wie ruiniert.

Solche Geschichten störten Grant nicht weiter. Er hatte vor, eine saubere Weste zu behalten, die allgegenwärtigen Agenten der Neuen Ethik nicht gegen sich aufzubringen und die rätselhaften Schwarzen Löcher zu studieren. Er war so vorsichtig, dass er nicht einmal das Wort »Evolution« gebrauchte, wenn er über die Entwicklungszyklen von Sternen bis zu ihrem finalen Kollaps sprach. »Evolution« war unter den Lauschern der Neuen Ethik ein höchst gefährliches Wort.

Am Ende seiner Schulzeit war er zu einem ruhigen, breitschultrigen jungen Mann mit einem dichten aschblonden Haarschopf herangewachsen, der ihm oft in die Stirn und seine hellbraunen Augen fiel. Er war gutmütig und höflich; im erbarmungslosen Einschätzungssystem seiner Mitschülerinnen wurde er als ein »Delta« geführt: als Schulfreund in Ordnung, besonders wenn es um Hilfe bei Hausaufgaben und Schularbeiten ging, aber zu langweilig für Verabredungen, außer in einem Notfall. Einsachtzig groß und gertenschlank, spielte Grant in den Baseball- und Leichtathletikmannschaften der Schule. Er war kein Spitzensportler, aber ein zuverlässiger mittlerer Leistungsträger, der den Trainern nicht den Nachtschlaf raubte.