Grant trat ein und warf seine Reisetasche aufs Bett. Das ist gut, sagte er sich. Das ist sehr gut. Hier kann ich mich wohl fühlen.
Karlstad schloss die Tür und ließ ihn in seinem neuen Quartier allein, bevor Grant ihn nach dem seltsamen Anhängsel fragen konnte, das aus der Station ragte. Doch als er sich auf sein Bett warf, um die Federung zu prüfen, sagte er sich, dass er sich darüber keine Gedanken machen müsse. Die Leute, die diese Station betrieben, würden keine Anbauten machen, die ihre eigene Sicherheit gefährdeten. Das wäre verrückt.
Grant brauchte nicht lange zum Auspacken seiner paar Habseligkeiten. Seine Kleider füllten kaum ein Zehntel des reichlichen Schrankraumes und der Schubladen. Er setzte sich an den Schreibtisch, machte sich mit dem Datenanschluss vertraut und verband seinen Taschencomputer mit dem Wandbildschirm. Dann verfasste er als Erstes eine lange, optimistische Botschaft an Marjorie, meldete ihr seine wohlbehaltene Ankunft und zeigte ihr, indem er seinen Schreibtischsessel schwenkte und den Taschencomputer mit der eingebauten Videokamera in der Hand hielt, wie geräumig und komfortabel sein neues Quartier war. Darauf schickte er seinen Eltern in Oregon eine beinahe identische Botschaft.
Aber während er noch damit beschäftigt war, rumorte in ihm die Erinnerung an dieses seltsame Anhängsel, das wie ein Pilz aus der Station wuchs. Eine abgeflachte runde Form, einem dick geratenen Diskus ähnlich und groß: der Durchmesser musste mehrere hundert Meter betragen. Es gab seiner Phantasie Nahrung, und nachdem er die Botschaft an seine Eltern abgesandt hatte, rief er die Daten der Station ab, wie er es auf der Anreise ungezählte Male getan hatte. Nichts. Nirgendwo fand sich im Speicher seines Taschencomputers ein Hinweis auf solch eine Struktur.
Hatte er sich das Ding nur eingebildet? Er schüttelte den Kopf. Es gab keinen Zweifel, er hatte es gesehen.
Nun versuchte er sein Glück über den festen Datenanschluss in seinem Quartier und forderte Material über die Station an. Auch darunter gab es nichts. Stirnrunzelnd machte er sich an eine systematische Durchsuchung der Stationsdateien. Viele waren gesperrt und mit dem Hinweis ZUGANG NUR FÜR AUTORISIERTES PERSONAL versehen. Endlich fand er, was er suchte: Ansichten der Station in Echtzeit, aufgenommen von anderen Satelliten in Umlaufbahnen um Jupiter.
Zuerst war er fasziniert vom Anblick des Riesenplaneten selbst, dem Kaleidoskop verschiedenfarbiger wirbelnder und dahinjagender Wolkenstreifen. Es bedurfte einiger Willensanstrengung, nach Ansichten der Station weiterzusuchen.
Und da war er, der dicke Wulst aus stumpfem, zernarbtem Metall, klein und zerbrechlich wirkend vor dem überwältigenden Hintergrund der brodelnden Jupiteratmosphäre. Und da war auch der pilzförmige Auswuchs, der an einer unmöglich dünnen Röhre an der Rundung der Station hing.
Grant hielt die Darstellung fest, rahmte den Auswuchs auf dem Wandbildschirm ein und sagte: »Computer, bring die Pläne und Daten des bezeichneten Objekts auf den Bildschirm.«
Keine Antwort vom Computer. Der Datenanschluss summte bloß vor sich hin, und die Darstellung auf dem Wandbildschirm veränderte sich nicht. Grant fühlte sich herausgefordert. Er verband die Tastatur mit seinem Taschencomputer, tippte den Befehl noch einmal ein und bekräftigte ihn durch das Symbol für Dringlichkeit.
Der Bildschirm wurde einen Moment leer, und Grant lächelte siegessicher. Aber dann erschien für einige Sekunden ZUGANG VERWEIGERT, und der Bildschirm erlosch.
»Verdammt!«, knurrte Grant, dann bedauerte er seinen Mangel an Selbstbeherrschung.
Er nahm den Taschencomputer zur Hand und versuchte es wieder. Er verlor das Zeitgefühl, war aber entschlossen, das dumme Computersystem zu überlisten. Doch wie er sich auch bemühte, jeder Versuch endete mit derselben Botschaft ZUGANG VERWEIGERT und der automatischen Abschaltung.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn schließlich aus seiner Konzentration. Mit ärgerlichem Grunzen stand er auf und war überrascht, wie steif er sich fühlte; er musste Stunden am Computer gesessen haben.
Egon Karlstad stand vor der Tür, die Andeutung eines spöttischen kleinen Lächelns im blassen Gesicht.
»Sie müssen etwas Besonders sein«, sagte er und trat in den Korridor zurück. »Dr. Wo möchte Sie sprechen.«
»Dr. Wo?«, fragte Grant.
»Er ist der Direktor der Station«, sagte Karlstad. »El supremo.«
»Er will mich sprechen? Weshalb?«
Karlstad fuhr sich mit einer Hand durch sein weißblondes Haar. »Keine Ahnung. Er zieht mich nicht sehr oft in sein Vertrauen. Aber wenn er die Glocke läutet, tun Sie gut daran zu speicheln.«
Grant trat in den Korridor hinaus und schloss die Tür hinter sich. »Zu speicheln?«
»Pawlows Hunde«, sagte Karlstad, als er sich in Bewegung setzte. »Konditionierter Reflex und so weiter.«
»Ah, ich erinnere mich … im Biologieunterricht.«
»Ich bin Biophysiker, wissen Sie.«
»Wirklich? Was tun Sie hier? Sind die Biologen nicht alle auf den Galileischen Monden?«
Karlstad winkte ein paar Frauen zu, die ihnen entgegen kam, bevor er erwiderte: »Hier ist das Hauptquartier für alle Arbeit auf den Monden. Die Leute können nicht länger als ein paar Wochen am Stück dort draußen bleiben. Zu hohe Strahlung, wissen Sie.«
»Und hier sind wir abgeschirmt?«, fragte Grant.
»Selbstverständlich. Supraleitende Magneten wie an Bord der Raumschiffe, nur größer. Und wir kreisen nahe genug um den Jupiter, dass wir innerhalb der van Alien-Gürtel sind, unter den stärksten Strahlungsfeldern.«
»Das ist gut.«
»Untertreibung des Jahres!«
Sie wanderten den Korridor entlang, bis Grant das Gefühl hatte, sie hätten Kilometer zurückgelegt. Karlstad schien beinahe dahinzugleiten, blass und schmal und scheinbar schwerelos. Wie ein Geist, dachte Grant. Ein bleiches, substanzloses Phantom. Die meisten Türen, an denen sie vorbeikamen, waren geschlossen, obwohl sie einmal durch einen weiten, offenen Bereich kamen, der offensichtlich eine Kantine oder Cafeteria war. Leute standen mit Tabletts Schlange, beluden sie mit Speisen und Getränken und trugen sie zu Tischen, wo sie sich zum Essen niedersetzten. Herzhafte Düfte von warmen Speisen und Gewürzen wehten durch den großen Raum, und Grant begann wirklich zu speicheln.
»Ist jetzt Mittagszeit?«, fragte er.
»Abendessen«, antwortete Karlstad. »Ihre Uhr geht sieben oder acht Stunden nach.«
Grant hatte nicht bemerkt, dass auf dem alten Frachter eine andere Uhrzeit galt. Er hatte angenommen, dass alle Raumfahrzeuge nach gleicher Uhrzeit operierten.
Sie kamen an weiteren offenen Bereichen vorbei, Werkstätten und Sporthallen, dann folgte ein langer Abschnitt, wo die Abstände zwischen den Türen geringer waren. Hier war der Teppichbelag neuer und dicker, obwohl er vom gleichen einförmigen Grau wie anderswo war. »Das Territorium der Führungsebene«, murmelte Karlstad. Jede Tür war mit einem Namensschild versehen.
Endlich machten sie vor einer Tür Halt, die eine besondere Aufschrift trug:
»Da sind Sie«, sagte Karlstad.
»Sie gehen nicht mit hinein?«
Karlstad hob die Hände in gespieltem Entsetzen. »Er will Sie sprechen, nicht mich. Ich bin bloß der Laufbursche. Außerdem«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu, »je weniger ich vom Alten sehe, desto besser.«
8. LI ZHANG WO
Karlstad ging davon und ließ Grant allein vor der geschlossenen Tür des Direktors stehen. Grant fühlte sich ein wenig nervös, ballte die Faust und hob sie, um an die Tür zu klopfen, zögerte dann.