Grant rang sich ein Lächeln ab. »Na gut, diesmal bin ich in die Falle getappt, wie es scheint.«
»Das will ich meinen!«
Sie redeten noch ein paar Minuten, doch sobald er konnte, entschuldigte sich Grant und ging zurück zum Aufenthaltsraum und seinen Studien. Als er durch den kurzen Gang schritt, der durch die Mitte des Wohnmoduls führte, machte er sich seine Gedanken über Tavalera. War der Ingenieur mehr als ein bloßer Witzbold? War das Gespräch über Juden eine Art Test? Die Neue Ethik hatte überall Agenten, die ständig nach aufrührerischen Ideen und Unruhestiftern schnüffelten. Beobachteten sie ihn, weil sie im Zweifel waren, ob er einen zuverlässigen Spion für sie abgeben würde? Beech hatte gesagt, dass sie ihn beobachten würden. Vielleicht war Tavalera verpflichtet, irgendeinem Vorgesetzten Meldung über Grants Verhalten zu machen.
Wahrscheinlich aber war er nicht mehr, als er zu sein schien, ein angehender Ingenieur, der die Eierschalen studentischen Humors noch nicht abgestreift hatte. Aber Grant dachte, dass Tavalera der Typ war, der abweichendes Verhalten dem nächsten Agenten der Neuen Ethik melden würde. Weil es sich in seiner Personalakte gut ausnehmen würde.
5. ANNÄHERUNG
Seit mehr als einer Woche verbrachte Grant jeden Tag Stunden mit der Beobachtung der abgeflachten Kugel Jupiters, die allmählich größer und fetter wurde, während die müde alte Roberts dem Riesenplaneten langsam näherkam.
Der Anblick des Mars war Grant entgangen; der Rote Planet hatte sich auf der anderen Seite der Sonne befunden, als sie seine Umlaufbahn gekreuzt hatten. Der Frachter war durch den Asteroidengürtel gesegelt, als ob er nicht da wäre, nichts als weite stille Leere, nicht ein Brocken kam in Sicht, nicht einmal ein Kieselstein. Das Bordradar hatte ein paar entfernte Echozeichen aufgefangen, aber nichts, was groß genug war, um einen Sonnenstrahl zu reflektieren.
Jupiter war etwas anderes. König unter den Planeten des Sonnensystems, groß genug, um mehr als tausend Erdbälle in sich zu verstauen, bot Jupiter Grants begierig spähenden Augen einen spektakulären Anblick. Wie ein wirklicher König war Jupiter von einem Gefolge begleitet. Tag für Tag beobachtete Grant, wie die vier größten Monde um ihren Herren kreisten. Er kam sich wie der alte Galilei vor, als er dieses Quartett neuer Welten sah, die den riesigen gestreiften Ball Jupiters umkreisten.
Ohne es zu merken, machte Grant ein Ritual aus seinen täglichen Beobachtungen. Gleich nach dem Frühstück in der Kombüse ging er in den Aufenthaltsraum, immer allein. Er hatte kein Verlangen nach Gesellschaft, schon gar nicht Tavaleras. Im Aufenthaltsraum angelangt, zog er seinen Taschencomputer und schaltete den Bildschirm auf die Bordkameras. Jeden Tag begann er damit, dass er eine Echtzeitwiedergabe Jupiters auf den Bildschirm brachte, ohne Vergrößerung. Er wollte den Planeten so sehen, wie er ihn sehen würde, wenn er draußen wäre und ihn mit unbewaffneten Augen beobachtete. Erst danach rief er das Vergrößerungsprogramm ab und begann den Planeten eingehender zu untersuchen.
Von Tag zu Tag wurde Jupiter größer. Grant sah inzwischen auch einige der kleineren Monde, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ihre Bahnen um den massigen Himmelskörper zogen. Selbst in der stärksten Vergrößerung der Kameras waren es nur winzige Punkte, zweifellos eingefangene Asteroiden, winzige Welten, die vom König angezogen und gezwungen worden waren, seine Majestät zu umkreisen, bis sie ihr eines Tages zu nahe kommen und von Jupiters enormer Gravitationskraft zu Staub würden zermahlen werden.
Es gab einige Enttäuschungen. Die Wolkenstreifen waren nicht so hell und farbenfroh, wie er erwartet hatte. Ihre Töne waren eher gedämpft, matter als die leuchtenden Farben, die er früher gesehen hatte. Offensichtlich waren die Videos, die er studiert hatte, Falschfarbenbilder gewesen, um die Färbungen der Wolkenstreifen klarer herauszuarbeiten und ihre Wirbel und Strömungen deutlich zu machen. Auch konnte Grant nicht die dünnen dunklen Ringe sehen, die Jupiters Mitte umgaben, so sehr er sich auch bemühte, sie zu finden. Die Bordkameras hatten einfach nicht das nötige Auflösungsvermögen.
»Sehen Sie sich Io an, junger Mann.«
Grant blickte erschrocken auf und sah den Kapitän in der offenen Tür des Aufenthaltsraums stehen. Er war ein stämmiger, finster blickender Mann mit ergrauendem blonden Haar, das militärisch kurz geschnitten war und sein hartes, kantiges Gesicht betonte. Sein verblichener olivgrüner Overall war zerknittert, abgewetzt und fleckig. Seine schwieligen Wurstfinger hielten eine leere Plastiktasse.
»Prometheus ist ausgebrochen«, sagte er.
Es war das erste Mal auf der ganzen langen Reise, dass er zu Grant nicht in einem widerwillig knurrenden Ton gesprochen hatte. Grant war zu überrascht, um zu antworten. Er saß wie erstarrt am Tisch des Aufenthaltsraumes.
Mit missmutig gerunzelter Stirn kam der Kapitän an den Tisch, beugte sich über Grants Schulter und sprach knappe Befehle in den Taschencomputer. Der Bildschirm an der Wand blinkte und zeigte dann die fleckige, orangerote Kugel Ios, des Innersten der vier großen Galileischen Monde.
»Die Pizzawelt«, murmelte er.
Grant sah, dass Io tatsächlich einer Pizza ähnelte, allerdings von heißem Schwefel überzogen, nicht von Käse; gefleckt und gepunktet mit Kratern und Vulkanen statt Tomatenpüree und Pilzen.
Der Kapitän gab einen weiteren Befehl, und die Kamera holte einen Abschnitt des Mondes heran, so schnell, dass Grant beinahe schwindelte. Die Krümmung des Mondes zeigte helles, schwefliges Orangegelb vor dem schwarzen Hintergrund des Raumes, und Grant sah eine schmutzig-gelbliche Wolke in die Dunkelheit aufsteigen.
»Prometheus zeigt wieder, was er in sich hat«, sagte der Kapitän lachend.
Endlich fand Grant Worte. »Danke, Kapitän.«
»Warten Sie«, sagte der. »Sie brauchen nicht gleich wegzulaufen.« Er beugte sich wieder über Grants Schulter und gab dem Computer einen weiteren Befehl. Grant bekam seinen leicht ranzigen Schweißgeruch in die Nase und fühlte die Wärmeausstrahlung seines Körpers.
»Geduld«, sagte der Kapitän und richtete sich auf, während das Bild des Mondes Io wieder zurückwich.
Grant beobachtete den Bildschirm. »Wonach sollte ich Ausschau halten?«
»Werden Sie gleich sehen.« los fleckige rötlichgelbe Scheibe erlosch, und Grant bemerkte verspätet, dass der Mond in Jupiters breiten, tiefen Schatten eingetreten war.
»Warten Sie einen Moment«, raunte der Kapitän hinter ihm.
Grant sah ein schwaches grünliches Leuchten erscheinen, ein geisterhaft blasses Licht wie von einem unheimlichen Tiefseebewohner. Er war zu überrascht, um zu sprechen.
»Energiereiche Partikel aus Jupiters Magnetosphäre bringen Ios Atmosphäre zum Leuchten. Man sieht es nur, wenn Io im Schatten ist.«
Richtig, dachte Grant. Er erinnerte sich, irgendwo darüber gelesen zu haben. Sauerstoff- und Schwefelatome wurden von Kollisionen mit Partikeln der Magnetosphäre angeregt. Die Erscheinung ähnelte den Nordlichtern auf Erden, es war der gleiche physikalische Mechanismus. Trotzdem war der Anblick eine Überraschung, ein Geschenk der Natur.
»Danke, Kapitän«, sagte er wieder und wandte sich vom Bildschirm ab, um zu ihm aufzublicken.
Der Kapitän hob die massigen Schultern. »Als ich in Ihrem Alter war, wollte ich Wissenschaftler werden. Das Sonnensystem erforschen. Neues Leben suchen, neue Entdeckungen machen.« Er seufzte schwer. »Stattdessen bin ich mit diesem Eimer unterwegs.«
»Es ist ein wichtiger Job«, sagte Grant.
»O ja, sicherlich.« Er sprach mit einem Akzent, den Grant nicht genau zu deuten wusste. Russisch? Polnisch? »So wichtig, dass das Schiff die meiste Zeit vom Computer gelenkt wird und ich nichts zu tun habe als aufzupassen, dass die Mannschaft keinen Mist macht.«
Darauf wusste Grant nichts zu erwidern.