»Nun ja, wenigstens habe ich hin und wieder fleißige junge Schlauberger wie Sie zu befördern«, sagte der Kapitän und zeigte ein unerwartetes Lächeln. Grants Unbehagen verstärkte sich. Was wollte der Mann, der nie ein gutes Wort für ihn gehabt hatte?
»Ich, ah …« Er stand auf. »Ich habe noch eine Menge zu lernen. Und ich muss meiner Frau ein Video schicken. Das tue ich jeden Tag, und …«
Der Kapitän lachte herzhaft. »Ja, natürlich«, sagte er. »Ich verstehe, mein Junge. Keine Sorge.«
Er lachte und ging zur Kaffeemaschine. »Solange das VR-System funktioniert und der Eimer zusammenhält, haben Sie nichts zu befürchten.«
Grant sank auf seinen Stuhl zurück, während der Kapitän grinsend seine Tasse füllte und zur Tür ging.
Dort blieb er stehen und wandte sich um. »Übrigens gibt es neben der Brücke eine Beobachtungskuppel. Wenn Sie Jupiter mit bloßem Auge sehen wollen, haben Sie meine Erlaubnis, sie zu benutzen.«
Grant zwinkerte überrascht. »Äh … ja … danke«, stammelte er. »Vielen Dank. Es tut mir Leid, wenn ich …«
Aber der Kapitän hatte schon kehrt gemacht und stapfte den Gang zur Brücke hinunter.
Grant saß da und fragte sich, ob er den Kapitän missverstanden und sich lächerlich gemacht habe. Aber er hatte das VR-System erwähnt, und Grant hatte gehört, dass Simulationen virtueller Realität nicht nur Navigationszwecken, Standortbestimmungen und anderen Bordfunktionen dienten, sondern auch für Simulationen von Sex verwendet werden konnten. Hatte er womöglich das gemeint?
Grant schüttelte den Kopf und tat den Gedanken als abwegig ab. Dann machte er sich daran, eine weitere Videobotschaft für Marjorie aufzusetzen, natürlich ohne den Kapitän zu erwähnen. Aber beim Gedanken an Marjorie fragte er sich gegen seinen eigenen Willen, wie VR-Sex sein mochte.
6. ANKUNFT
Grant spähte durch das transparente Panzerglas der Beobachtungskuppel und stellte fest, dass Jupiter nicht nur immens war, sondern lebendig.
Inzwischen waren sie in einer Umlaufbahn um den Planeten, und seine gigantische Masse war so nahe, dass er nichts anderes sehen konnte, nichts als die Wolkenstreifen und -wirbel, die in sichtbarer Bewegung über Jupiters Antlitz zogen. Die Wolken strömten und veränderten sich vor seinen Augen, bildeten Wirbel von der Größe Asiens, veränderten ihre Konturen und schienen manchmal wie Lebewesen zu pulsieren. Blitzentladungen leuchteten in diesen Wolken auf, plötzliche Explosionen, die wie Signallampen im Dunst aufleuchteten.
Unter diesen Wolken war Leben, das wusste Grant. Gigantische ballonartige Wesen, die Clarkes Medusen genannt wurden und in den orkanartigen Winden trieben, die um den Planeten jagten. Lebewesen, die niemals Land gesehen hatten und ihre ganze Existenz treibend in den Wolken verbrachten. Mit Segeln wie Spinnweben, die mikroskopische Sporen und Nährstoffe fingen, Partikel wie langkettige Kohlenstoffmoleküle, die sich in den Wolken bildeten und allmählich abwärts zum globalen Ozean sanken.
Wie von ungefähr kamen ihm die Worte eines Psalms in den Sinn:
Und da war der Rote Fleck, ein gigantischer Wirbelsturm, der seit mehr als vierhundert Jahren tobte, größer als der ganze Planet Erde. Unaufhörlich zuckten Blitze um seine Ränder; für Grant nahmen sie sich wie die schlagenden Wimpern eines gigantischen Geißeltierchens aus, das sich über das Gesicht des Riesenplaneten arbeitete.
Irgendwo in einer engeren äquatorialen Umlaufbahn musste die Forschungsstation Gold sein, Grants Ziel, das größte von Menschen gemachte Objekt im Sonnensystem, ausgenommen die großen Raumstationen, die zwischen Erde und Mond kreisten. Aber Gold war ein unsichtbarer Punkt vor der enormen, überwältigenden Ausdehnung Jupiters.
Es war wie die Betrachtung eines abstrakten Gemäldes, dachte Grant, während er die dahinjagenden Wolkenstreifen betrachtete, blassgelb, rotbraun, grauweiß und rosa und blaugrau. Aber es war ein dynamisches Gemälde, das sich in ständiger Bewegung befand und von unheimlichen Flächenblitzen durchschossen war, lebendig.
Mars war eine tote Welt, kalt und still trotz seiner Staubstürme, seiner Flechten und der Ruinen in den Höhlen seiner Felswände. Venus war ein Backofen, erstickend und giftig und nutzlos. Europa, Callisto und Ganymed, die nahen Jupitermonde, beinahe von der Größe des Planeten Merkur, trugen empfindliche Ökologien mikroskopischer Lebensformen unter ihren immerwährenden Eisdecken.
Jupiter aber nahm sich in Grants ehrfürchtiger Betrachtung lebendig aus, machtvoll, siedend von Energie.
In den vergangenen vier Tagen hatte der Kapitän die Rotation des Schiffes allmählich beschleunigt, sodass der bewohnbare Teil sich jetzt schnell genug um den leeren Frachtrumpf drehte, um volle Erdschwerkraft zu erzeugen. Nach beinahe einem Jahr in halber Schwere fühlte Grant sich unter der schon ungewohnten Schwere seines Normalgewichts müde, weh und niedergeschlagen.
Anders war es nur, wenn er sich in der Beobachtungskuppel aufhielt. Wenn er dort in seinem gepolsterten Sessel saß und den gewaltigen Jupiter betrachtete, hatte er keine Zeit für seine Beschwerden; dann rasten seine Gedanken so schnell wie die wirbelnden, vielfarbigen Wolken. Er hatte keine klare Vorstellung davon, wie sein Auftrag in der Praxis aussehen würde, sobald sie die Station erreichten. Sicherlich hatte die Internationale Astronautische Behörde die teure Reise hinaus zum Jupiter nicht bezahlt, um Grant dort Pulsare und Schwarze Löcher studieren zu lassen, wie er es vorzugsweise getan hätte.
Nein, dachte er, ohne den faszinierten Blick vom Jupiter abzuwenden, das Hauptinteresse der IAB hier draußen im Jupitersystem galt den mikroskopischen Lebensformen auf den gefrorenen Monden Europa und Callisto, und den in der Jupiteratmosphäre lebenden Wesen. Sie sollten für diese Art Arbeit Biologen und Geologen einsetzen, nicht einen frustrierten Studenten der Astrophysik.
Die Neue Ethik behauptete jedoch, dass die Wissenschaftler insgeheim eine bemannte Sonde in die dichte Wolkenhülle Jupiters entsandt hatten. Konnte es wahr sein? Was hatten sie gefunden? Warum sollten sie solche Arbeit geheim halten? Wissenschaftler verhielten sich nicht so, überlegte Grant. Jemand in den Leitungsgremien der Neuen Ethik musste paranoid sein, und dafür musste er, Grant, mit vier Jahren seines Lebens bezahlen.
Mit wachsender Verzweiflung wurde ihm klar, dass die Wissenschaftler ihn wahrscheinlich zu einem Bohrturm auf dem Eis eines Jupitermondes schicken würden. Oder, schlimmer noch, unter das Eis in die kalte Schwärze eines Ozeans darunter. Dieser Gedanke ängstigte ihn. Unter das Eis in einen fremden Ozean zu tauchen, einer Welt völliger Finsternis, eingeschlossen in eine enge Druckkapsel, aufgehängt an einer kilometerlangen Nabelschnur mit angeschlossenem Luftschlauch. Grauenhaft.
»Andockmanöver beginnt in drei Minuten«, sagte die etwas blechern und kratzig klingende Stimme des Kapitäns aus dem Wandlautsprecher. »Alles nicht benötigte Personal in die Kabinen oder den Aufenthaltsraum.«
»Nicht benötigtes Personal«, murmelte Grant und stemmte sich aus dem gepolsterten Sessel. »Damit bin ich gemeint.« Und Tavalera, dachte er. Sein Körper fühlte sich schwer und träge an, als hätten seine Muskeln sich zurückgebildet.
Noch einen langen Moment blieb er mit schmerzenden Beinen in der engen kleinen Beobachtungskuppel stehen und starrte zum Jupiter hinaus. Es war schwierig, den Blick von seiner Pracht loszureißen. Die Forschungsstation war noch nicht in Sicht; oder wenn sie es war, befand sie sich außerhalb seines Blickwinkels. Widerwillig wandte er sich um, zog den Kopf ein, schlüpfte durch die Luke und in den Gang, der zum Aufenthaltsraum führte.