Tavalera saß im Gemeinschaftsraum am Tisch, einen dampfenden Kaffee vor sich und einen verlegenen Ausdruck in seinem Pferdegesicht. Er wischte sich das Kinn mit einer wiederverwendbaren Serviette. Grant sah, dass sein Overall auf der Brust befleckt und nass war.
»Geben Sie Acht beim Trinken«, warnte Tavalera. »Bei voller Schwerkraft fließt das Zeug viel schneller.«
Grant dachte, dass er die Warnung nicht nötig habe. Seine schmerzenden Beine sagten ihm alles, was er über die Schwerkraft wissen musste. Schwer ließ er sich gegenüber von Tavalera auf den anderen Stuhl fallen.
»Dies wird unser letzter Tag zusammen sein, nehme ich an«, sagte der junge Ingenieur.
Grant nickte schweigend.
»Hab heute Morgen meine Dienstanweisung bekommen«, sagte Tavalera mit einem Gesichtsausdruck zwischen Besorgnis und Hoffnung. »Bordingenieur auf einem Sammlerschiff: der Glen P. Wilson.«
Grant sagte noch immer nichts. In der täglichen Bekanntmachung eingegangener Nachrichten war keine ihn betreffende Anweisung gewesen. So viel er wusste, sollte er sich an Bord der Forschungsstation melden und dort sein Aufgabengebiet erfahren.
»Ein altes Schiff, hörte ich, knarrt und quietscht und hat seine Mucken, aber zuverlässig. Hohe Leistungseinstufung.«
Es hörte sich an, als suchte er sich selbst von etwas zu überzeugen, an das er nicht wirklich glaubte.
»Zwei Jahre«, fuhr Tavalera fort, »dann gehe ich nach Haus, frei und ungebunden.«
»Das ist gut.«
»Sie werden vier Jahre hier draußen sein, oder?«
»Das ist richtig.«
Tavalera schüttelte den Kopf wie ein Mann, der sich im Besitz überlegenen Wissens weiß. »Die haben Sie sauber hereingelegt, was? Vier Jahre!«
»Dann werde ich die anderen zwei nicht ableisten müssen, wenn ich fünfzig bin«, erwiderte Grant. Dann fügte er ein wenig boshaft hinzu: »Aber Sie müssen.«
Wenn Tavalera Grants Irritation spürte, ließ er es sich nicht anmerken. Er wedelte nur mit einem langen Zeigefinger in der Luft und sagte: »Vielleicht muss ich, vielleicht nicht. Bis ich fünfzig bin, könnte ich so wichtig sein, dass die Neue Ethik sich nicht an mich herantraut.«
Wieder überlegte Grant, ob Tavalera seine Loyalität auf die Probe stellen wollte. Und er fragte sich, ob das Gespräch abgehört wurde.
Mit leicht erhobener Stimme entgegnete er: »Ich bin immer der Überzeugung gewesen, dass man den Dienst am Gemeinwohl mit Freuden tun sollte. Man gibt der Gemeinschaft etwas zurück. Das ist wichtig, meinen Sie nicht? Man muss etwas gegen das Anspruchsdenken tun.«
Tavalera lehnte sich auf dem Stuhl zurück und warf Grant einen schlauen Blick zu. »Ja, sicher. Aber es gibt wichtige und es gibt wirklich wichtige Dinge. Verstehen Sie, was ich meine?«
Das Schiff erzitterte. Es war nur ein leises Vibrieren, aber so ungewöhnlich, dass Grant und Tavalera beide sofort aufblickten. Grant gab es einen Stich durch die Eingeweide. Tavalera sperrte einen Moment die Augen weit auf.
»Andockmanöver«, sagte Tavalera nach dem ersten Schreck.
»Ja, natürlich«, sagte Grant, bemüht, einen unbekümmerten Ton anzuschlagen.
Tavalera stemmte sich mithilfe der Tischplatte von seinem Stuhl hoch und sagte: »Kommen Sie, gehen wir hinunter zur Beobachtungskuppel. Es gibt was zu sehen.«
»Aber der Kapitän sagte …«
Tavalera ging lachend zur Tür. »Na los, Sie brauchen doch nicht jede Sekunde von jedem Tag in Ihrem Käfig zu bleiben. Was kann er uns schon anhaben, wenn er uns erwischt? Uns über Bord werfen?«
Am Bildschirm ertönte das Kommunikationssignal. »Eingehende Botschaft für Grant Archer«, verkündete die synthetische Stimme der Kommunikationsanlage.
Dankbar für die Unterbrechung, sagte Grant: »Bitte auf den Bildschirm legen.«
Der Bildschirm blieb leer. »Es ist eine private Botschaft«, sagte der Computer.
Nachricht von Marjorie, dachte Grant. Tavalera wird gehen, damit ich sie allein empfangen kann; tut er es nicht, kann ich ihn dazu auffordern.
»Auf den Bildschirm, bitte«, wiederholte er.
Zu seiner Überraschung erschien das Doppelsiegel der Internationalen Astronautischen Behörde und der Zensurbehörde der Neuen Ethik. Bevor Grant reagieren konnte, verschwand die Darstellung und wurde von einem längeren Textdokument abgelöst, das mit den Worten GEHEIME VEREINBARUNG überschrieben war.
Grant sah, dass Tavalera entgeistert auf den Bildschirm glotzte, und sagte: »Ich sollte lieber in die Kabine gehen und das auf meinem Taschencomputer lesen.«
»Wird wohl besser sein, nehme ich an«, sagte Tavalera mit dünner Stimme.
Als Grant sich an ihm vorbei in den Gang hinausdrängte, sagte Tavalera: »Ich hätte dich nie für einen NE-Agenten gehalten.«
»Bin ich auch nicht«, stieß Grant hervor. Und er wünschte, es wäre wahr.
»Ja, natürlich nicht.«
Grant eilte in das klaustrophobische Abteil, das er mit Tavalera teilte, während der junge Ingenieur in die andere Richtung zur Beobachtungskuppel ging. Allein in seiner engen Koje, las Grant sehr sorgfältig die geheime Übereinkunft. Zweimal, dann ein drittes Mal. Er war angewiesen, das Dokument zu unterzeichnen. Der Text ließ ihm keine Wahl. Verweigerte er die Unterschrift, konnte die Neue Ethik seinen Dienstvertrag annullieren und ihn »nach dem Belieben des IAB-Personals der Station« zur Erde zurückschicken. Das bedeutete, dass die gesamte Reisezeit zum Jupiter und zurück vollständig vergeudet sein würde. Und dazu noch die Zeit, während er auf den Rücktransport wartete.
Damit nicht genug, hatte Grant das sichere Gefühl, dass man ihm nach seiner Rückkehr in die Heimat die niedrigste, unangenehmste und schmutzigste Arbeit im öffentlichen Dienst zuweisen würde, die sich für ihn finden ließ. Mit Andersdenkenden und Gegnern ging man unsanft um.
So unterzeichnete er die geheime Übereinkunft. Im Grunde war sie ein einfaches Dokument. Darin wurde festgestellt, dass sämtliche Informationen, Daten, Erkenntnisse und Tatsachen, die er während seiner Dienstzeit sammeln würde, der Geheimhaltung unterlagen und keiner außenstehenden Person, Institution oder elektronischen Datenvernetzung zugänglich gemacht werden durften. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurden strafrechtliche Konsequenzen angedroht.
Grant fühlte sich verunsichert. Die Neue Ethik wollte, dass er über alles berichte, was die Wissenschaftler taten; die IAB wollte ihn auf strikte Geheimhaltung einschwören. Er konnte es sich nur so erklären, dass beide Institutionen einander nicht trauten. Die IAB und die Neue Ethik mochten die Verantwortung für den Betrieb der Station Gold miteinander teilen, aber sie trauten einander nicht. Sie hatten nicht viel füreinander übrig. Und sie hatten ihn in die Mitte gesetzt, zwischen zwei Stühle. Was er auch tat, konnte ihn in Schwierigkeiten bringen.
Zu der Frage, was unter den Forschern der Station vorging, das so geheim gehalten wurde, gesellte sich der Wunsch, dass beide Seiten ihn in Ruhe lassen würden. Er unterzeichnete das Dokument und hielt, wie es die gesetzliche Vorschrift für Unterzeichner von Verträgen und amtlichen Dokumenten verlangte, seinen Taschencomputer zuerst an das rechte, dann an das linke Auge, sodass seine Unterschrift durch beide Retinaabdrücke beglaubigt wurde.
All diese Vorkehrungen verunsicherten Grant, bereiteten ihm Sorgen und ärgerten ihn. Aber sie hatten wenigstens eine gute Wirkung. Sobald Roberts das Andockmanöver mit der Raumstation vollzogen hatte und Grant seine Reisetasche zur Luftschleuse trug, verabschiedete sich Tavalera mit neu erwachtem Respekt in den Augen von ihm.
Es war beinahe komisch, dachte Grant. Die meiste Zeit der Reise war er halb überzeugt, dass Tavalera ein Informant der Neuen Ethik sei. Nun war Tavalera überzeugt, dass Grant einer sei. Er lachte beinahe, als er Tavalera zum Abschied die Hand schüttelte.